║Zehn Tage danach║

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Ich gehe wieder zur Uni. Und diesmal bleibe ich auch.

Es ist Montag und bitterkalt. Fröstelnd sehe ich zum Himmel hinauf. Riesige hellgraue Wolken türmen sich am Horizont auf. Ich denke, es wird heute noch schneien.

Meine Finger sind steif von der Kälte und schmerzen, als sie in der Wärme des Unigebäudes wieder langsam auftauen. Ich freue mich, Max zu sehen. Er sieht gelassen aus. Sein Lou-Wochenende scheint gut gelaufen zu sein.

Mir ist langweilig. Die Vorlesungen ziehen sich endlos hin und das, was der Professor da vorne so monoton vor sich hin quakt, ist nicht ansatzweise interessant. Normalerweise ist dies die Zeit des Tages unter der mein Handyakku am meisten zu leiden hat. Über die Monate habe ich mir ein ansehnliches Repertoire an Handyspielen zugelegt, mit denen ich mir sonst in solchen Momenten die Zeit totschlage.

Neben mir starrt Max angestrengt auf seinen Bildschirm. Mit dem Daumen wischt er zügig nach oben und lässt seine Spielfigur über ein Hindernis springen. Kaum berühren seine Füße wieder den Boden, weicht er geschickt einem Zug aus, der ihm mit einem irren Tempo entgegenkommt. Ich löse meinen Blick von Max' Handy und beobachte stattdessen seinen Gesichtsausdruck von der Seite. Seine Stirn ist in Falten gelegt und er beißt sich konzentriert auf seine Zunge, während er mit zusammengekniffenen Augen sein Handydisplay fixiert. Ich wende meinen Blick nicht von ihm ab. Ich hab ja schließlich nichts Besseres zu tun, was meine Konzentration verlangen würde. Max fängt meinen Blick auf, als seine Figur nicht schnell genug ausweicht und gegen einen heranrollenden Zug klatscht.

„Das war Highscore", jubelt er gedämpft und grinst mich an. Ich lache leise. Max ist trotz seiner 21 Jahre manchmal echt noch ein Kindskopf. 

Als die Vorlesung endlich vorbei ist, ist es schon Mittag und ich atme erleichtert auf, als ich endlich in der Mensa sitze. Ich denke, mein Magen ist genauso froh wie ich, als ich endlich warmes Essen vor mir stehen habe. Hähnchencurry mit Reis. Gar nicht mal übel.

Max lässt sich auf dem Platz gegenüber von mir fallen. „Endlich gibt's mal was Leckeres", nuschelt er mit vollem Mund nach einem Schluck Wasser. „Nicht immer dieser Veggie-Scheiß." Er stopft sich eine Gabel Reis in den Mund. Ich grinse. Wenn es ums Essen geht, ist Max wie ein Staubsauger. Er isst einfach alles, solange es ihn satt macht.

„Ich weiß einfach nicht, wie man von so einem bisschen Getreide sattwerden soll."

Max schluckt und trinkt einen weiteren Schluck Wasser.

„Aber die Veganer sind noch schlimmer", sagen wir beinahe synchron und lachen. Ich kenne Max einfach zu gut. Es ist so herrlich unkompliziert mit ihm.

Nach und nach füllt sich unser Tisch mit Freunden von Max und mir, Vince und Fynn gesellen sich auch zu uns. Sofort verwickelt Max sie in ein angeregtes Gespräch, das schon bald in einer hitzigen Diskussion ausartet. Ich schalte ab, blende die lauten Stimmen um mich herum aus. Plötzlich ist es ganz still.

Draußen fängt es an zu schneien.

Der frische Schnee knirscht unter meinen Füßen. Es ist vier Uhr am Nachmittag. Alle Vorlesungen für heute sind vorbei und Max und ich sind auf dem Weg nach Hause. Wir gehen zu Fuß. Es ist nicht weit bis zu unseren Wohnungen. Außerdem gehe ich gerne zu Fuß. 

Weiße Flocken wirbeln dicht vor meinen Augen. Vielleicht nehme ich daher nicht sofort war, wo wir sind. Es ist die Kreuzung. Die Kreuzung. Die, wo alles begann.

Ich hätte sie fast nicht wiedererkannt.

Die weiße Schneeschicht, lässt alles so unwirklich aussehen, verzerrt die wahren Formen und Umrisse. Es sieht alles so rein aus. Weiß, die Farbe der Unschuld.

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt