║Zweiundzwanzig Tage danach║

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Heute ist mein Geburtstag.

Ich mag keine Geburtstage. Schon gar nicht meinen eigenen.

Nicht, weil ich mich dadurch alt fühle; nicht, weil ich Stunden an Vorbereitungszeit in eine Party stecke, auf der sich sowieso alle nur haltlos besaufen.

Im Gegenteil. Ich mag es, Partys zu feiern oder zu veranstalten. Ich genieße es, unter Leuten zu sein. Und wenn die Party gut ist, spielt es auch keine Rolle, ob ich die Leute kenne oder nicht. Ich liebe es, die Musik in meinem Blut pulsieren, den Bass in meinen Ohren vibrieren zu spüren. Ich mag kein begnadeter Tänzer sein, aber auf jeder ordentlichen Party gibt es diesen einen Zeitpunkt, ab dem alles egal ist. Es ist egal, ob man sich im Takt bewegt oder nicht, die Töne trifft oder nicht, noch Stimme hat oder nicht. Wenn es egal ist, ob man sich den siebten oder achten Kurzen in Folge hinunterkippt, wird man nicht mehr gesehen, gehört, geschweige denn verstanden. Alles geht in ein verschwimmendes Egal über. Ein Egal von bunten Farben, die zu einem leuchtenden Wirbel verwischen, von Musikstücken, die zu einem pulsierenden Rhythmus zerfließen und von Stimmen und schemenhaften Gestalten, die man sieht, aber nicht erkennt, die man hört, aber nicht versteht.

Ich mag Partys. Ich mag das Gefühl des Egal-Seins. Alles fällt von einem ab.

Alles ist egal.

Ein Zustand, aus dem man hart und schmerzvoll am nächsten Morgen erwacht. Wenn sich alles dreht und wendet, wenn selbst das winzige bisschen Licht durch den Spalt unter der Tür zu viel ist, wenn man an einem Ort aufwacht, an dem man vorher noch nie war, dann ist das Egal vorüber und es geht einem um ein Vielfaches schlechter als vor dem Egal.

Aber auch dieser Zustand hat wie alle Zustände ein Ende. Früher oder später setzt der Alltag wieder ein.

Darauf verlasse ich mich. Es bringt mich in die Wirklichkeit zurück. Ich brauche das.

Seit ich denken kann, war Max morgens der Erste, der mir gratuliert hat. Im Kindergarten, wie in der Schule. Er hat mir jedes Jahr einen Schokomuffin mitgebracht, weil er weiß, dass ich Schokomuffins am liebsten esse.

Ich habe ihn jedes Jahr mit ihm geteilt, weil ich weiß, dass er Schokomuffins genauso liebt wie ich.   

Obwohl ich meinen Geburtstag nicht mag, veranstalte ich eine Party. Das Haus, in dem sich meine Wohnung befindet, hat glücklicherweise einen geräumigen Keller, der sich gut zum Feiern eignet. Über die Jahre haben Vormieter den Raum mit Sofas, Klapptischen und einer kleinen Theke ausgestattet. Sogar eine alte Musikanlage gibt es. Sie funktioniert noch.

Gegen halb zehn trudeln die ersten Gäste ein. Einen offiziellen Beginn gibt es nicht. Die Musik ist an und die Getränke stehen kalt. Mehr habe ich für dieses Jahr nicht vorbereitet.

Um elf habe ich den Überblick über meine Gäste verloren. Mir kommt es vor, als kämen jede Minute neue dazu. Viele Gesichter kommen mir bekannt vor. Die meisten kennen mich von der Uni. Einige kenne ich beim Namen. Mit ein paar bin ich gut befreundet.

Etliche habe ich noch nie gesehen.

Ein Großteil der Gäste bringt Alkohol als Geschenk mit. Sie selbst sorgen dafür, dass der Fluss nicht versiegt. Nicht einmal darum muss ich mich noch kümmern.

Irgendwann übernimmt ein guter Kumpel von mir die Rolle des DJs. Die Stimmung ist ausgelassen. Und sie steigt stetig mit dem Alkoholpegel der Anwesenden.

Ich verliere das Gespür für Zeit.

Irgendwann merke ich, dass ich an der Grenze zum Egal stehe. Ich bin gerade dabei, sie zu überschreiten, als mir etwas bewusst wird. Etwas, was ich den ganzen Tag über mit bester Kraft verdrängt habe.

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt