║Acht Tage danach║

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Ein lautes Poltern weckt mich. Stöhnend reibe ich mir meinen schmerzenden Kopf. Wir waren gestern noch was trinken. Es ist ziemlich spät geworden. Ächzend hieve ich mich aus meinem Bett und stolpere in die Küche. Ich habe wahnsinnigen Durst. Gerade als ich mir die halbvolle Literflasche Wasser an den Hals halten will, zucke ich zusammen.

„Hey, Luc."

Hinter mir steht Vincent. Seine Hände lässig vor der Brust verschränkt. Mit einem frechen Grinsen nimmt er mir die Wasserflasche aus der Hand und leert sie ohne abzusetzen. 

„Danke, Arsch. Aber so beschissen wie du aussiehst, hast du das Wasser nötiger als ich."

Vincent zuckt mit den Schultern und schiebt mich dann beiseite um die Wasserflasche unter dem Wasserhahn wieder aufzufüllen.

„Hast du was von Max und Fynn gehört?", frage ich und lehne mich an den Küchentisch. 
„Ja", antwortet Vince nach einem letzten Schluck Wasser. „Fynnyboy ist gestern Nacht mit ner heißen Brünetten abgezogen. Ist wohl zu beschäftigt, um zu schreiben. Von Max hab ich ne Nachricht, dass er heute den ganzen Tag mit Lou unterwegs ist." 

„Und du? Noch was besonderes vor?", frage ich und angle mir die Wasserflasche zurück.

„Mein Bruder wollte übers Wochenende vorbeischauen. Aber der kommt frühestens

um..." Vincents Blick wandert zur Uhr. „In einer halben Stunde!"

Schweigend sehe ich zu wie Vince auf dem Weg nach draußen hektisch seinen Krempel zusammenrafft. 

„Grüß Marius von mir. Und dusch vorher, sonst ist dein kleiner Bruder schneller wieder weg, als du seinen Namen sagen kannst."

„Jaja, mach ich. Ciao Luc, wir sehn uns!"

Weg ist er.

Stille flutet meine Wohnung. Ziellos laufe ich von der Küche ins Wohnzimmer, ins Schlafzimmer, durch den Flur zurück in die Küche. Ohne Plan hebe ich Sachen auf und räume sie irgendwo hin, wo ich vermutlich nie nach ihnen suchen werde. Auch der Suche nach einer Beschäftigung setze ich mich auf die Couch und zappe wahllos durch Fernsehprogramme. Nachrichten. Krieg in Syrien. Twitterdrohungen von Trump an Nordkorea. Ein frisch geborenes Pandababy im Zoo. Krawalle bei Kölner Fußballspiel.

Bilder ziehen flackernd vorüber. Ich kann mich kaum konzentrieren.

„Am gestrigen Abend lieferten sich gegen 23:00 Uhr zwei Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren auf dem Auenweg nahe des Rheinparks ein illegales Autorennen. Bei der knapp zehnminütigen Fahrt entstand ein Sachschaden in der Höhe von mehreren tausend Euro. Ein unbeteiligtes Mädchen geriet an ein Fahrzeug und wurde lebensbedrohlich verletzt. Mehr dazu jetzt, Mariele Daube."

Ich kriege nicht mehr mit, was die Reporterin noch zu erzählen hat. Stumm starre ich auf den pechschwarzen Bildschirm. Mein Finger ist noch immer auf den Powerknopf gepresst.

Ich ertrage es nicht. Die Bilder von flackernden Blaulichtern, das Geräusch heulender Sirenen. Ich schaffe es nicht.

Wütend auf mich selbst fege ich die gläserne Schüssel vom Couchtisch. Rutschend kippt sie über die Tischkante und verteilt ihren Inhalt über meinen Teppich.

Ich fühle mich nicht besser.

Schließich stehe ich auf und stelle Musik gegen die erdrückende Stille an, so laut, dass ich den Bass vibrieren spüre. Ich schließe die Augen, nehme die Musik völlig in mich auf. Es hilft mir dabei, die dunklen Gedanken zu vertreiben. Wenigstens, sie zu lichten. Doch die drückende Leere in meiner Brust bleibt.

Es reicht nicht.

Irgendwann halte ich es nicht länger aus. Entgegen Max' Rat schnappe ich mir meine Jacke und verlasse das Haus. Die Musik klingt in meinen Ohren nach und verstummt erst, als die Haustür hinter mir mit einem Knacken ins Schloss fällt. Frischer Wind pustet mir ins Gesicht. Erleichtert atme ich tief durch. Ich bin dabei alle meine Vorsätze von gestern zu brechen. Das ist schlecht.

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt