18 - Ein zerbrochener Topf

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Nach vier Stunden am Bildschirm ist Tom völlig geschafft. Eigentlich hat er nicht geplant, die halbe Nacht bei KHTravel zu verbringen. Aber Karos Begeisterung ist ansteckend und die Zeit vergeht schneller, als er dachte.
Zunächst ging er davon aus, dass er der Wissenschaftlerin kaum bei der Arbeit helfen könne, aber das stellte sich rasch als Irrtum heraus. Karo spannte ihn wie selbstverständlich für Ihre Tests ein und ließ ihn bald selbständig Simulationen laufen, um die Konfiguration von Lous Schlüssel zu replizieren.

Die notwendigen Daten sind alle noch im System vorhanden, müssen aber mühsam wieder zusammengesucht werden. Leider fanden es weder Karo noch Lou damals nötig, die genauen Zielkoordinaten der Welt zu speichern, die Lou besuchen wollte. Warum auch, sie besassen ja einen funktionierenden Schlüssel.
Zerknirscht gab Karo vor einigen Stunden zu, dass sich dies als entscheidender Fehler herausstellte, der ihr als Entwicklerin eigentlich nicht hätte unterlaufen dürfen. Tom kann sich allerdings gut vorstellen, dass die Speicherung in der Aufregung über das Portal als Nebensächlichkeit vergessen ging. Er kennt Louisa, sie kam bestimmt nicht auf die Idee, alles doppelt abzusichern.

Nach dem letzten Besuch stellte Tom sich das Weltenportal als eine Art Zeitmaschine vor. Erst im Verlauf des Abends begreift er, dass dieses Konzept der Anlage nicht gerecht wird. Das Portal erlaubt keine eigentliche Reise in der Zeit, zum Beispiel in die Vergangenheit, sondern nur in eine andere Realität. Diese besteht gleichzeitig mit der seinigen, in einer anderen Dimension der Wahrscheinlichkeit.

Als Karo vorschlägt, die Arbeit zu unterbrechen und in ein kleines Restaurant zu fahren, um etwas zu essen, willigt er gerne ein. Unterwegs bemüht sie sich geduldig, ihm das Prinzip zu erklären. Aber es ist bereits spät, und Quantenphysik ist Tom schon in seinen besten Momenten zu hoch. Er hat keine Chance zu verstehen, was seine Begleiterin ihm wortreich schildert, schon gar nicht mit knurrendem Magen. Schließlich gibt Karo lachend auf.

„Nun, eigentlich ist alles, was du wissen musst, dass es unendlich viele andere Dimensionen gibt, die wir mit unserem Portal erreichen können. Allerdings ist menschliches Leben nur in den wenigsten davon denkbar, in jenen, die unserer eigenen Realität ähnlich sind. Wir haben für unseren Test eine davon herausgegriffen und zunächst Datensonde rübergeschickt. Die Aufzeichnungen bestätigten, dass diese Welt oder Realität, wenn du lieber willst, der unseren sehr ähnelt. Wir könnten problemlos dorthin auswandern. Das ist natürlich eine Grundvoraussetzung, wenn wir diese Welten erschließen wollen. Lou glaubte sogar, auf einem der Bild der Sonde einen menschlichen Fußabdruck im Sand zu erkennen."

Für Tom klingt das eher beängstigend als beruhigend. Was, wenn die Menschen in dieser anderen Welt etwas gegen Besucher haben? Er kann nach wie vor nicht verstehen, weshalb Lou sich auf dieses Experiment einließ. Aber Karo fährt unbeirrt fort.

„Die erste Sonde war sehr limitiert, es handelte sich mehr oder weniger um eine kleine Drohne, die wir mit dem Schlüssel und einer Kamera bestückten. Danach sandten wir einen Roboter los, der uns Bodenproben und Blätter von Pflanzen zurückbrachte. Die Analysen zeigten klar, dass die Welt da drüben der unserer gleicht wie ein Zwilling, allerdings ein eineiiger. Das war von Beginn an unser Ziel. Niemand von uns wollte beim ersten Besuch in einer Eiswüste oder Vulkanlandschaft landen. Als das geklärt war, wurde es Zeit für einen Augenschein."

Und damit für Louisas tollkühnen Einsatz, denkt Tom. Während des Essens verstummt die Unterhaltung und auch auf der Rückfahrt hängt er seinen eigenen Gedanken nach. Zurück im Labor versucht Karo ihn aufzuheitern.

„Hey, wir sind heute schon weit gekommen. Noch ein paar Plausibilitätstests und wir sind bereit, einen neuen Schlüssel zu brennen. Ich hätte das schon längst tun können, aber da ich nicht wusste, warum das Portal nicht funktionierte, schien es mir sinnlos."

Schlüssel zu den Welten | Wattys 2018 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt