19 - Freundschaften

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Tom schließt hinter sich die Haustür und lässt im Flur seine Schlüssel auf die Ablage unter dem Spiegel fallen. Das Wochenende mit Karo war interessant, mehr als das. Er geht zum Kühlschrank und schenkt sich ein Glas Saft ein, das er mit ins Wohnzimmer nimmt. Nachdenklich betrachtet er sein Mobiltelefon. Ob er sie anrufen soll? Oder wirkt das zu aufdringlich? Schließlich hat er sich erst vor anderthalb Stunden von ihr verabschiedet. Definitiv zu aufdringlich.

Er legt das Handy auf den Salontisch und lehnt sich in seinem Lieblingssessel zurück. Besser er wartet, bis sie Zeit gefunden hat, den Laser neu auszurichten. Sie hat ihm fest versprochen, sich anschließend bei ihm zu melden, in ein oder zwei Tagen.
Was ist bloß mit ihm los? Noch vor kurzem beklagte er sich bitter bei Alfred über die Trennung von Sandy, und nun kann er es kaum erwarten, Karo wiederzusehen. Vielleicht sollte er sich stattdessen mit Alfred treffen. Der Rentner hat eine erstaunliche Begabung dafür, mit einigen wenigen gezielten Fragen seine Perspektive zurechtzurücken. Außerdem würde Tom allzu gerne wissen, was sein weiser Freund von diesem Weltenportal hält. Zu schade dass er Karo versprach, mit niemandem darüber zu sprechen.

Das Summen des Telefons, verstärkt durch die Glasplatte des Tischs, reißt ihn aus seinen kreisenden Gedanken. Auf dem Display blinkt Melanies Name. Was sie wohl will?
Tom setzt sein Glas ab und nimmt den Anruf entgegen.

„Tom Water, hallo?"

„Hey, Tom, hier ist Melanie. Entschuldige dass ich am Sonntag anrufe. Ich... okay, ich wollte fragen ob du Lust hast, mit uns zu essen. Es gibt nichts besonderes, Spaghetti um genau zu sein, aber Kathi hat nach dir gefragt und da dachte ich..."

Tom spürt förmlich, wie der Mut Melanie verlässt. Vermutlich ist ihr der Anruf nur noch peinlich. Er holt Atem.

„Nun, ich bin gerade erst von KHTravel heimgekommen..."

„Echt? Hast du etwas herausgefunden?"

Wieso hat er das bloß erwähnt? Melanies Interesse ist ungeheuchelt und er bringt es nicht über sich, sie zu enttäuschen.

„Also gut, ich liebe Spaghetti. Sagen wir in einer halben Stunde bei dir?"

Während Tom sich bereit macht, fragt er sich, wieviel er Melanie erzählen darf und will. Er bezweifelt bereits, dass es eine gute Idee ist, sie zu besuchen. Andererseits kann es nicht schaden, eine weitere Meinung einzuholen. Oder jemanden zu haben, der ihm den Rücken frei hält, falls etwas schief gehen sollte. Melanie benahm sich bisher wie eine rationale Person, also ist sie vielleicht genau die Richtige.

Unterwegs hält er an einem Blumenfeld, um einen Strauß frischer Blumen zu schneiden. Das ist ja das mindeste, wenn sie ihn zum Essen einlädt. Trotzdem ist er immer noch unschlüssig. Soll er sie ins Vertrauen ziehen? Sie hat zumindest eine Ahnung, worum es bei der Sache geht. Deshalb ist sie von all seinen Bekannten bestimmt am besten geeignet. Andererseits will er ihr keine Hoffnungen machen. Er ist gerade dabei, sich in Karo zu verknallen, soviel ist ihm klar. Gegen die attraktive und witzige Wissenschaftlerin hat Melanie nicht viel zu bieten, trotz ihrer freundlichen Art.

Er ist noch immer unentschlossen, als er die Klingel an der rot gestrichenen Wohnungstür drückt. Kathi öffnet ihm freudestrahlend und nimmt auch gleich den Blumenstrauß entgegen.

„Mama, guck mal!"

Schon ist sie in der Küche verschwunden und überlässt es Tom, die Tür hinter sich zu schließen. Er streift die Schuhe im Flur ab und folgt Kathi und einem appetitanregenden Duft in die kleine, aber ordentlich eingerichtete Küche. Melanie ist damit beschäftigt, die Teigwaren abzuschütten und lächelt ihm über den Topfrand zu.
„Ich bin gleich soweit. Würde es dir etwas ausmachen, die Blumen einzustellen, Tom? Eine Vase findest du im Schrank gleich hinter dir."

Schlüssel zu den Welten | Wattys 2018 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt