28 - Melanie und Tom

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Melanie kostet ihren Kaffee und kontrolliert zum wohl hundertsten Mal das Display ihres Handys. Immer noch keine Nachricht von Tom. Die freundliche Empfangsdame zog sich hinter die Glastüre zurück, nachdem sie ihr und Alfred einen Kaffee angeboten und serviert hatte. Nun sitzt sie an ihrem Schreibtisch und konzentriert sich auf ihren Bildschirm. Von ihrem Platz aus kann Melanie nur ihren Haarknoten über dem Rand des Flachbildschirms sehen. Wenn sie bloß wüsste, ob Tom überhaupt hier ist!

Ihr Blick wandert zu Alfred, der sich entspannt in der Sitzgruppe zurücklehnt. Wie schafft er es bloß, einen so ruhigen und kompetenten Eindruck zu erwecken? Dass er nicht ganz so unbeteiligt ist, wie es den Anschein macht, erkennt Melanie einzig an seinen Augen, die in unregelmäßigen Intervallen zur Glastür wandern. Dieses Mal bleibt Alfreds Blick unverwandt daran hängen und sein Gesicht nimmt einen angespannten Ausdruck an. Melanie versucht, den Kopf möglichst unauffällig wieder in die gleiche Richtung zu drehen.

Ihr fällt ein Stein vom Herz als sie Tom erkennt, der sich mit der Empfangsdame unterhält. Sein verschmitztes Lächeln wirkt völlig natürlich und spontan. Was die beiden wohl zu besprechen haben? Mit gerunzelter Stirn versucht sie, seine Lippen zu lesen. Aber das ist eine Kunst, die sie nur ungenügend beherrschet. Endlich nickt Tom der Frau mit dem strengen Haarknoten zu und kommt zur Tür. Melanie hält unwillkürlich den Atem an, während sich die Glasscheibe langsam zur Seite schiebt.

Tom tritt mit einem Lächeln auf die unangemeldeten Besucher zu.

„Hallo Melanie, Alfred, was verschafft uns die Ehre?"

Melanie stellt mit zitternder Hand die Tasse auf den niedrigen Glastisch und steht auf. Es kostet sie Mühe, nicht geradewegs auf Tom zuzustürzen, getrieben von Erleichterung. Am liebsten würde sie ihn in die Arme schließen. Aber im letzten Moment hält sie sich zurück und greift statt dessen nach seinen Händen.

„Tom, bin ich so froh, dich zu sehen. Ich konnte dich nicht erreichen. Es ist etwas passiert."

„Kathi?"

Überrascht starrt sie ihn an. Dass er gleich an ihre Tochter denkt, kommt völlig unerwartet. Sie schüttelt ansatzweise den Kopf.

„Nein, Kathi ist bei Stefanie Berger. Es geht ihr bestimmt gut. Aber...  Silvio... wo ist er?"

Toms zunächst besorgtes Gesicht entspannt sich etwas. Trotzdem glaubt Melanie beinahe, das Klicken der Zahnräder seiner Gedankenmühle zu hören.

„Er ist drüben, auf der Suche nach Lou. Nach dem ursprünglichen Plan sollte er schon lange zurück sein, aber er konnte aus technischen Gründen erst Stunden verspätet los. Was..."

„Ich weiß nicht genau. Hast du Silvio noch gesehen, bevor er durch das Portal ging?"

„Nein, ich bin auch gerade erst hier angekommen. Vor einer halben Stunde vielleicht."

Das heißt, dass sie sich völlig vergeblich Sorgen machte. Melanie kann sich einem vorwurfsvollen Ton nicht verkneifen.

„Eine halbe Stunde. Schaust du eigentlich auch mal auf dein Handy?"

Ein Hauch von Röte schießt Tom ins Gesicht, als er sein Telefon aus der Tasche zieht und all die verpassten Anrufe sieht. Melanie hat fast ein wenig Mitleid mit ihm.

„Entschuldige, ich hatte das Ding stumm geschalte, weil ich in einer Sitzung war. Danach muss ich es vergessen haben. Seid ihr etwa deshalb hierher gefahren?"

Nun ist es an Melanie, zu erröten. Soll sie zugeben, wie sehr sie sich sorgte? Hilfesuchend sieht sie zu Alfred hinüber. Der Rentner zuckt die Schultern und lächelt ihr zu. Sie holt tief Luft, um ihre Bedenken in Worte zu fassen. Aber Alfred kommt ihr zuvor .

Schlüssel zu den Welten | Wattys 2018 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt