Lektion 2: Manche Männer sind schlauer, als sie aussehen!

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"Liena.", antwortete sie knapp und hatte nicht vor, noch mehr von sich preiszugeben. Dieser Raphel jedoch schien sich damit nicht zufrieden zu geben.

"Und bist du allein? Oder wartet zu Hause jemand auf dich?"

"Und wenn?", wich Liena der Frage aus.

"Nichts. Es ist nur immer gut zu wissen, ob nach jemandem gesucht wird, bevor man ihn entführt." Mit einem Seitenblick sah sie sein schelmisches Grinsen. Dieses Grinsen hatte irgendwas an sich, dass sie ebenfalls lächeln lassen wollte.

"Ach so. Na dann, ja, mein Bruder Josh wartet auf mich. Du kannst versuchen mich zu entführen, aber ich warne dich.", ging Liena auf seine scherzhafte Antwort ein und schwang ihre Holzkeule in seine Richtung. Das schwarze Zombblut war mittlerweile fast getrocknet. Das helle Holz darunter war kaum noch mehr zu sehen. Sie wusste nicht, warum sie log.

"Oh, wenn du mir so drohst, dann wage ich es doch lieber nicht.", lachte Raphel. Liena grinste. Dann hielt sie plötzlich wieder inne. Raphel hatte sie zum Grinsen gebracht. Es war kein Lachen, aber es kam dem schon sehr nahe.

Sie hatte schon lange nicht mehr gelacht. Das letzte Mal.... mit Josh. Kein anderer hatte es wie Josh geschafft sie so sehr zum Lachen zu bringen, dass sie Bauchweh bekam oder ihr das Trinken aus der Nase schoss. Seit Josh nicht mehr da war, hatte sie überhaupt nicht mehr gelacht. Aber sie musste zugeben- es tat ein wenig gut. Sich mit jemandem zu unterhalten, mit jemandem zu reden, dem man nicht gleich den Kopf abschlagen wollte. Raphel war ihr ungewollt sympathisch. Seiner Kleidung nach zu urteilen, ging es ihm wohlstandstechnisch sicher nicht besser als ihr, jedoch hatte er seinen Humor und etwas, dass ihn ein wenig interessant für Liena machte. Sie fand ihn aber nicht attraktiv – nur um das klar zu stellen!

Und sie würde ihn nicht mit zu sich in ihre Kellerwohnung nehmen. Er war immerhin ein Fremder und sie kannte ihn kaum. Wer wusste schon, wo er wirklich herkam und was für Absichten er hatte. Sie konnte und durfte ihm nicht so schnell vertrauen, das war wichtig.

Beide verstummten schließlich und liefen still nebeneinander her. Liena lief absichtlich einige Umwege.

"Wie alt bist du?", fragte Raphel. Liena schaute ihn von der Seite misstrauisch an.

"Warum willst du das wissen?"

Raphel lachte auf. "Typisch Frau. Da probiert man ein bisschen Smalltalk zu halten und sie blockt alles ab."

"Einundzwanzig.", gab Liena nach. "Du?"

"Dreiundzwanzig. Und wo kommst du her?"

"Kleines Kaff, etwa 100 Meilen von hier. Kennst du nicht.", antwortete Liena. Sie musste ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, dass sie aus besserem Hause kam. Und so gelogen war es gar nicht. Schließlich war sie ja in Blackridge aufgewachsen.

"Ich komm aus Killville. Ist n' ganz passender Name.", sagte Raphel. Liena blieb erschrocken stehen.

"Killville?! Ernsthaft?" Raphel nickte. Liena konnte es irgendwie nicht fassen. Killville war einer der ärmsten Teile Lost Angeles. Dort waren Gewalt, Waffen und Drogen an der Alltagsordnung. Also waren es gewesen. Jeder, der nicht in Killville wohnte, wagte sich dort gar nicht erst hin und jeder der dort wohnte, blieb auch dort, denn man kam dort nicht heraus. Gangs hatten sich in Killville gebildet und geherrscht und viele Menschen lebten in starker Armut. Das war alles was Liena über Killville wusste. Sie hatte nie das Bedürfnis verspürt, sich das Viertel mit eigenen Augen selbst anzusehen und hatte es bis heute nicht vor. Die grausamen Taten, die teilweise in den Medien gezeigt wurden, hatten es erfolgreich geschafft, alle ungebetenen Gäste aus Killville fernzuhalten. Außerdem hatte ihr Vater ihr da noch immer ins Gewissen geredet. Es war auch wirklich besser so. Und Raphel kam da wirklich her? Sie hatte sich Killvilles Bewohner irgendwie anders vorgestellt. Bedrohlicher vielleicht. Überall tätowiert. Aber ganz sicher nicht so wie Raphel.

Signs of CainWhere stories live. Discover now