Lektion 15: Es ist schwer, Gefühle zu teilen!

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"Wow." Zu mehr war Liena nicht fähig.

Wie in Zeitlupe war sie aus dem Auto gestiegen und stand fassungslos am Rand der Klippe. Mit offenem Mund staunte sie über den Anblick, der sich ihr bot.

Der Grand Canyon war atemberaubend. Er erstreckte sich soweit das Auge reichte und strahlte in allen möglichen Rottönen. Das Tal war mehrere hundert Meter tief, aber Liena fühlte keine Höhenangst. Die Sonne schien auf die Steinwände und Felsen, sodass es fast aussah, als würden sie glitzern.

Raph trat neben Liena. "Es ist wunderschön, oder?" Liena bemerkte erst, wie nah er bei ihr stand, als seine Hand die ihre berührte. Verwundert sah sie zu ihm auf, aber er sah nur die Weite. Sie folgte seinem Blick und verlor sich total. So etwas Schönes hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Es wirkte so friedlich. Nichts störte diese Ruhe, die hier herrschte, nur Vögel zwitscherten und der Wind wehte leicht. Liena spürte zum ersten Mal seit Wochen keinen Verfolgungswahn. Sie genoss diesen Moment, sie fühlte sich nicht durch Zombs oder andere gefährliche Menschen bedroht.

"Ja.", hauchte sie. Sie spürte, wie Raphels Hand ihre wieder berührte, aber diesmal ergriff er und drückte sie. Und komischerweise genoss Liena auch das; es fühlte sich nicht ungewohnt oder falsch an, seine Hand zu halten. Es war das erste Mal seit dem Kuss vor zwei Tagen, dass sie sich wieder berührten. Liena hatte diesen Kuss schon fast vergessen, ja fast verdrängt. Das Zusammentreffen mit Nikole hatte sie so sehr davon abgelenkt. Sie hatte sich so sehr auf ihren Ärger gegenüber Nikole konzentriert, dass sie alles andere vergessen hatte. Aber jetzt wallte ein Kribbeln in ihrem Bauch auf, während sie Raphels warme Hand an ihrer spürte und sie konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken.

"Es ist so friedlich hier.", sagte Liena leise.

"Ja. Ich habe den Grand Canyon immer nur auf Bildern vorher gesehen, aber dass es so schön hier ist, hätte ich nicht gedacht."

"Weißt du woran das liegt? Wir sind alleine hier. Keine anderen Menschen, nur wir. Deshalb ist es so still und friedlich."

"Du hast Recht. Und einmal kein Sabbern und Knurren der Zombs hinter uns." Die Sonne begann langsam unterzugehen. Der Himmel färbte sich gelb und orange und die wenigen Wolken sorgten sogar für einen rosa Schimmer am Horizont. Liena könnte hier ewig so stehen bleiben.

Für weitere Minuten standen Liena und Raph Hand in Hand und sahen der Sonne dabei zu, wie sie tiefer sank, bis sie die Felsentürme fast erreicht hatte.

"Liena.", sagte Raph plötzlich und wandte seinen Blick ihr zu.

"Hm?"

"Ich wollte mich noch einmal entschuldigen, dass ich dich gegenüber Nikole nicht verteidigt habe. Sie war wirklich unverschämt. Ich habe probiert ihr zu sagen, dass sie es lassen soll. Aber sie war schon immer stur und ignorant. Und es tut mir auch leid, dass ich dich vielleicht nicht richtig ernst genommen habe. Aber ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst, dass ich dich hierhergeschleppt habe. Ich hab's nur gut gemeint."

Liena sah Raphel erstaunt an. Mit so einer plötzlichen Entschuldigung hatte sie nicht gerechnet.

"Danke.", antwortete sie leise. Das bedeutete ihr mehr, als sie gedacht hatte. Ihr wurde ganz warm ums Herz. Doch anscheinend war Raphel noch nicht fertig.

"Und der Kuss im Casino letztens. Ich will, dass du weißt, dass ich das nicht mit jeder mache."

Liena musste laut lachen. "Als ob du so viel Auswahl hättest!"

"Stimmt.", grinste Raphel. "Aber ich würde das gerne nochmal wiederholen." Plötzlich wurde er dann ganz ernst und sah Liena tief in die Augen. Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust. Langsam neigte er seinen Kopf und Liena streckte sich ihm entgegen. Sie konnte sich nicht zurückhalten, sie wollte so sehr, dass er sie küsste. War es nur die Atmosphäre, der Platz, an dem sie sich befanden? Hatte sie je für jemanden so etwas empfunden wie für Raphel? Seit wann gestand sie sich diese Gefühle überhaupt ein? War das Verliebtheit?

Signs of CainWhere stories live. Discover now