Lektion 5: Es geht auch anders!

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Sie stiegen wieder aufs Motorrad, aber sobald Raphel sich auf seinen Arm stützte, zog er schmerzerfüllt die Luft ein.

"Raphel, gehts?", fragte Liena.

"Jaja. Es muss.", antwortete dieser, bekam aber kaum die Maschine an. Er hatte Schwierigkeiten, das Motorrad gerade zu halten und fuhr Schlangenlinien. Liena krallte sich an seiner Hüfte fest. Bevor sie samt Motorrad umkippten, stoppte Raphel und stellte ein Bein auf den Boden.

"Das geht so nicht.", stellte Liena fest. Raphel schüttelte den Kopf.

"Nein, ich kann den Arm nicht belasten. Ich kann mich nicht abstützen. Du musst fahren."

"Was?!"

"Das ist nicht schwer."

"Ich kann das nicht, Raph! Ich bin noch nie Motorrad gefahren!"

"Willst du weiterlaufen? Na los, probier's doch mindestens mal."

"Ich-", protestierte Liena erneut, aber wenn sie die nächsten zweihundert Meilen nach San Francisco nicht laufen wollte, musste sie es versuchen.

Also stiegen sie ab und wechselten die Plätze. Liena war unfassbar nervös, als sie die Hände an den Griff legte.

"Also, hier links ist der Hebel für die Kupplung, da rechts das Gas. Die Kupplung musst du zu dir ziehen, dann mit dem linken Fuß hier unten nachher die Gänge schalten. Gleichzeitig Gas geben.", erklärte Raph. Liena versuchte ihm zu folgen und ließ den Motor einmal laut aufheulen. "Lass das Gas nicht zu schnell kommen, sonst killst du den Motor. Jetzt bist du im ersten Gang. Sobald du ein bisschen Geschwindigkeit hast, kannst du in den zweiten Gang schalten."

Liena versuchte vorsichtig loszufahren. Sie wusste, dass im Auto alles mit den Füßen gesteuert wurde, beim Motorrad aber mit den Händen am Lenker. Das war doch schwerer, als Raphel behauptet hatte. Schlussendlich schaffte sie es aber, anzufahren. Mit Raphel hinter sich hatte sie ein zusätzliches Gewicht und es war schwer das Gleichgewicht zu halten. Nach ein paar Schlangenlinien hatte sie die Balance gefunden und begann schneller zu fahren.

"Einen Gang höher.", hörte sie Raph in ihr Ohr sagen. Liena leistete Folge. Sie beschleunigte erneut und so langsam verstand sie, wie das Motorrad funktionierte. Und es begann ihr Spaß zu machen.

Sie schossen die Straße entlang, die schon lange nicht mehr wie ein gut gepflegter Highway, sondern wie eine alte Landstraße wirkte. Gras und Büsche wuchsen über die Ränder der Straße und Liena wunderte sich, wie schnell die Natur doch die Kontrolle übernahm, sobald Menschen aufhörten, sich darum zu kümmern. Große Schilder säumten in regelmäßigen Abständen die Straße. Die alten Poster, die früher mal ein Shampoo oder den neusten Film beworben hatten, zerfledderten und waren schon ganz ausgeblichen vom Wetter. Einige der Poster waren auch mit roter Grafitti-Farbe übersprüht, die noch ganz frisch aussah.

"TUMBLER TOWN!", kündigte ein Plakat an.

"COME TO TUMBLER TOWN!", sagte das nächste.

"EVERYBODY WELCOME!", das dritte.

"Weißt du, was Tumbler Town sein soll?", fragte Liena nach hinten.

"Nein. Noch nie davon gehört.", antwortete Raphel in Lienas Ohr. Auch Raphel hatte die Malereien auf den Schildern gesehen und je weiter sie fuhren desto mehr häuften sich die Graffiti. Auf jedem Schild stand etwas und sogar auf der Straße stand der Name groß angeschrieben.

Es dauerte nicht mehr lange, dann sahen Liena und Raphel bald, was Tumbler Town war. Sie fuhren direkt auf eine Stadt zu, die aber rundherum von einem hohen Zaun umgeben war.

"Mach mal langsam.", sagte Raphel. "Da kommt jemand."

Tatsächlich liefen zwei Gestalten auf sie zu, die sich beim Näherkommen als ein Mann und eine Frau entpuppten. Die Frau hatte lila Haare und trug eine wild bestickte Lederjacke. Der Mann war leger und unauffällig gekleidet. Keiner der beiden trug offensichtlich eine Waffe bei sich, was Liena doch schon sehr wunderte.

Signs of CainWhere stories live. Discover now