Lektion 3: Erzähle einem Fremden nicht deine Lebensgeschichte!

7K 307 99
                                    

"Wie weg?", fragte Raphel verwirrt.

Liena zuckte die Schultern. "Keine Ahnung. Ich weiß nicht wo er ist."

"Ist er tot?" Wie von der Tarantel gestochen fuhr Liena auf und zeigte mit dem Finger drohend auf Raphel.

"Wage es ja nicht, so etwas von Josh zu behaupten!", fauchte sie. Raphel hob wie zum Schutz die Hände. Dass Liena gleich so aggressiv reagierte, hätte er nicht gedacht, vielleicht war das gerade aber auch ein wenig unsensibel von ihm gewesen.

"Okay, woah... beruhige dich. Tut mir leid. Aber was heißt denn dann er ist weg?"

"Verdammt noch mal! Ich weiß nicht wo er ist! Ich war krank und er wollte Medizin holen gehen und er kam nie wieder zurück. Ich habe ihn gesucht, überall, aber er ist verschwunden. Vielleicht ist er gefangen oder verletzt, ich weiß es nicht, aber er IST NICHT TOT!!!"

Raphel schluckte und nahm ein wenig Abstand von Liena. Sie sah irgendwie bedrohlich aus, wie sie vor ihm stand, fuchsteufelswild. Doch in ihren Augen erkannte er Verletztheit und Einsamkeit. Und Angst. Sie tat ihm leid. Vorsichtig stand er auf.

"Bleib weg von mir. Was willst du überhaupt hier?! Geh einfach wieder und lass mich allein. Ich habe dich nicht gebeten hier zu sein."

"Liena...", sagte Raphel ganz leise und ging vorsichtig einen Schritt auf sie zu. "Es tut mir leid." Sie drehte sich weg. Er hörte, wie sie schniefend Luft holte und leise schluchzte. Obwohl sie versuchte, es zu unterdrücken, merkte Raph doch, dass sie weinte. Oh je, weinende Frauen...

"Hör mal...", begann Raphel, er wusste aber selbst nicht genau, was er Liena sagen wollte. "Ich... das war vielleicht ein wenig unsensibel von mir. Entschuldigung. Du vermisst ihn wohl sehr."

"Das geht dich gar nichts an."

Okay, sie schien ziemlich sauer auf ihn zu sein. Das hatte er ja toll hinbekommen. Da traf er einen lebenden normalen Menschen und kannte diesen vielleicht gerade mal einige Stunden und schon hatte er es versaut. Normalerweise verfielen die Mädchen seinem Charme immer. Aber diesmal... Er war zwar kein Experte, aber vielleicht war Liena so sehr in ihrer Trauer um Josh gefangen, dass sie für anderes gar kein Auge mehr hatte. Raph glaubte zu wissen, was Liena jetzt brauchte.

Er umarmte sie einfach. Verwirrt wand sich Liena, als Raphs Arme sie umschlangen.

"Was machst du da?", fragte sie langsam.

"Shhh. Es wird wieder gut. Vertrau mir."

"Raphel... Lass mich los." Mit ein wenig Kraft befreite sich Liena aus seinen Armen. Raphel trat einen Schritt zurück.

"Besser?", fragte er.

"Es war auch schon davor gut.", erwiderte Liena.

"Na... ich dachte, vielleicht brauchst du eine Umarmung. Frauen brauchen so was doch, wenn sie traurig oder allein sind.", antwortete Raph selbstsicher. Auch wenn Liena verwirrt aussah, weinte sie wenigstens nicht mehr. Also hatte er Recht gehabt.

"Aha. Du bist also Experte und weißt, was Frauen brauchen?"

"Ja!"

Liena machte ein Würgegeräusch. "Boah, das ist ja eklig. Du bist ja schlimmer als so ein eingebildeter Junge aus nem Teenager-Film."

"Tja, aber ich bin gutaussehender als so ein Junge aus nem Teenager-Film.", konterte Raphel sofort. Beleidigen ließ er sich hier von Liena schon mal gar nicht, vor allem nach dem er sie so toll getröstet hatte.

"Na...", machte Liena und zog das Wort zweifelnd in die Länge. "Da wäre ich mir nicht so sicher.", antwortete sie und betrachtete Raphel kritisch. Es war natürlich nur Spaß. Raphel hatte sie irgendwie gefesselt seit ihrem ersten Treffen. Ja, er war unsensibel und kannte das Wort Privatsphäre anscheinend nicht, aber er hatte es tatsächlich geschafft, sie von ihren dunklen Gedanken von Josh abzulenken. Ihr gefiel es irgendwie, sich mit ihm zu kabbeln, auch wenn sie sich theoretisch gar nicht kannten. Es machte ihr Spaß, sich mit jemandem zu unterhalten, auch wenn sie das vor Raphel niemals zugeben würde.

Signs of CainWhere stories live. Discover now