Lektion 6: Wer offen ist, lebt besser!

4.7K 216 58
                                    

"Warum brauchen wir Ohrstöpsel?" Sashah lachte nur laut.

"Ich möchte euch nur herumführen, nicht gleich traumatisieren. Aber lasst euch einfach überraschen."

Liena und Raph folgten Sashah weiter die Straße entlang. Sie kamen an einem großen Haus vorbei, an dessen Fassade "Kunsthaus" gemalt war. Viele Fenster standen offen, aus einem drang laute Musik. Just in diesem Moment schrie eine Person aus dem Fenster: "Kennt jemand ein gutes Rezept für Schokopudding? Erstens brauche ich es für mein Buch und zweitens habe ich Hunger!"

Jemand anderes schrie nicht leiser: "Kann jemand Hände zeichnen?"

Ein Typ, der an Liena vorbeilief, seufzte genervt, formte Hände zu einem Trichter und brüllte zurück: "Ich habe dir gestern schon gezeigt, wie man Hände zeichnet, Mary Sue!"

Für eine Sekunde war es still, dann rief dieselbe Stimme zurück. "Dann hast du es scheiße erklärt, Gavin, denn ich kann es immer noch nicht, du Idiot!"

"Ich shippe es!", rief eine zittrige Stimme aus dem ersten Stock.

"Sei still, Helen." Liena war mit offenem Mund stehen geblieben. Sie konnte niemanden im Haus erkennen, aber sie fand es faszinierend, wie diese Leute ihr Leben auf der Straße austrugen.

Ein Stockwerk über Helen widmete man sich anspruchsvolleren Themen. "Wie sagt man seinem Freund während des Dates, dass man seinen Olivenbaum angezündet hat?"

"Warum willst du einen Olivenbaum in deinem Buch verbrennen?", fragte eine andere Person verwirrt zurück.

"Wissenschaft!", verkündete die erste Person feierlich. Auch unten an der Eingangstür diskutierten zwei Mädchen miteinander.

"Weiß jemand, wie weit Margaret mit ihrer Fangeschichte ist?", fragte das eine Mädchen mit blauen Haaren und schwarzem T-Shirt das andere mit rotem Karohemd.

"Ich wäre schon längst fertig, wenn du mich nicht alle zwei Minuten danach fragen würdest!", erklang es aus dem Fenster neben der Haustür.

"Ich shippe es immer noch."

"Sei still, Helen."

Plötzlich trat ein junger Mann im Bademantel auf einen Balkon im obersten Stockwerk und brüllte schmerzerfüllt aus tiefster Seele auf. Liena erschrak. Was hatte er? War er verletzt?

"Wir fühlen mit dir!", stöhnte die Hälfte des Hauses mitfühlend mit.

"Ähm, ich glaube, das reicht für hier", mischte sich Sashah ein und schob Liena und Raphel schnell weiter. "Hier haben die Künstler genügend Raum, um ihre Geschichten zu schreiben oder zu malen. Da bald wieder Vollmond ist, ist die Stimmung gerade etwas gereizt."

"Das sind lauter Verrückte!", brachte Liena schockiert hervor, Raphel lachte auf.

"Ist doch schön zu sehen, wie nah Genialität und Wahnsinn beieinander liegen. Hier zumindest ist ein gutes Beispiel dafür. Da vorne leben dann die, die in deinen Augen "normal" sind. Arbeiten still und leise. Dort könnt auch ihr unterkommen, wenn ihr wollt."

In Sashahs Stimme schwang ein leicht spöttischer Unterton mit, aber Liena störte es nicht. Der Block, auf den sie jetzt zu liefen, sah nett aus. Sashah führte sie zu einer Tür und blieb dann davorstehen.

"So, hier könnt ihr übernachten. Oder euch gerne auch einrichten. Das überlasse ich euch. Wir würden uns freuen, wenn wir euch beim Essen heute Abend begrüßen dürften. Die Mensa ist die Straße nach vorne und dann links. Kaum zu verfehlen. Und wenn doch, fragt einfach jemanden. Der wird euch sicher helfen."

Damit verabschiedete sich Sashah und lief federnden Schrittes davon. Liena und Raph blieben vor dem Haus zurück. Sprachlos und erstmal überfordert. Liena sah Raph an und lachte ratlos.

Signs of CainOn viuen les histories. Descobreix ara