- Kapitel 65 -

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Amara

"Miguel, wir sind da.", wecke ich ihn absichtlich unsanft, weil ich noch immer sauer bin. Er tut so, als wäre das vorhin nicht passiert. Als würde er ohne mich noch immer leben. Genervt steige ich aus dem Wagen aus, laufe um die Motorhaube herum.

Ohne Vorwarnung reiße ich die Beifahrertür auf.
"Miguel, wir sind da. Steh auf."

"Rede nicht so mit mir.", gähnt Miguel und schnallt sich mit halb geschlossenen Augen ab. Stöhnend drückt er sich aus dem Auto hoch und fixiert mich absichtlich mit seinen Augen. Er will mich durch seinen Blick einschüchtern, aber diesmal falle ich nicht drauf ein.

"Wo sind die Haustürschlüssel?", übergehe ich seine Worte.

Miguel hat seinen Blick noch immer nicht abgewandt.
"Hosentasche."

Die Hose sitzt im tief auf den Hüften und gleichzeitig steht er so selbstbewusst vor dem tiefschwarzen Auto, als wäre er nie angeschossen worden. Als wäre er jederzeit bereit in den Krieg zu ziehen, komme was wolle.

Stumm greife ich in seine rechte Hosentasche.

"Andere Seite." ertönt seine raue Stimme an meinem Ohr.

Räuspernd fasse ich mit der Hand in die linke Hosentasche.
"Da ist nichts."

"Du warst ja gar nicht richtig drin.", murmelt er belustigt. Er nutzt mich derbe aus, das ist mir klar.

Wütend ziehe ich meine Hand aus seiner Hosentasche und drücke ihn schnell gegen das Auto.
"Verarsch mich nicht und gibt mir die scheiß Schlüssel, ich will nicht die ganze Nacht hier draußen stehen.", knurre ich, während ich meinen Unterarm auf seine Brust drücke.

Ein Grinsen bildet sich auf seinen Lippen.
"Wie gesagt, der Schlüssel ist in meiner linken Hosentasche. Und nimmt deinen Arm da weg."

Ein letztes Mal greife ich in die Tasche und ziehe tatsächlich den kleinen, silbernen Schlüssel heraus. Schnaubend lasse ich von ihm ab und laufe die paar Meter zur Haustür. Ich bin froh, dass der Schlüssel passt und ich endlich diese Wohnung betreten kann. Die Hitze raubt mir die letzte Kraft aus dem Körper und der Schusswechsel hat mich auch Nerven gekostet.

Sofort reiße ich die Balkontür auf, damit frische Luft durch die Zimmer ziehen kann. Das letzte Mal als wir hier waren, mussten wir nach 12 Stunden schon wieder fahren. Als ich im Augenwinkel das Bett sehe, kommen in mir die Erinnerungen hoch. Ich hatte Miguel gestanden, dass ich hin und wieder Angst vor ihm habe und er wollte mir unbedingt zeigen, wir sanft er sein kann -

"Ich kann nicht alle Sachen tragen.", unterbricht er meine Gedanken.

Schnell drehe ich mich zu ihm, doch er hat bereits gemerkt, wohin ich gestarrt habe.
"Wie kommt das nur?"

Er beißt sich schmunzelnd auf die Unterlippe und senkt den Blick.
"Señora Jimenez, würden Sie bitte unsere Sachen aus dem Auto holen?"

"Ich sehe hier keine Señora Jimenez, aber ich kann das gerne übernehmen, Señor.", gehe ich nicht auf seine Worte ein.

Schmunzelnd schaut er zu mir herüber.
"Provozier mich nicht."

"Dann erzähl keine Geschichten.", kontere ich fix und laufe an ihm vorbei. Miguel folgt mir, ohne eine Antwort zu geben. Er geht mit, weil er mich nicht da draußen alleine lassen will. Und das schätze ich an ihm.

"Wenn mich jetzt jemand angreife würde, dann könntest du gar nichts machen. So hilflos bist du."
Belustigt nehme ich meinen Koffer und seine Reisetasche aus dem Kofferraum.

"Lass das mal meine Sorge sein, so schlimm ist es nicht."

Im Vorbeigehen lege ich meine Hand auf seine Wunde, weshalb er seinen Arm schnell wegzieht und leise die Luft aus seinen Lungenflügeln ausstößt.

"Wirklich nicht?", ärgere ich ihn.

"Du musst ja jetzt auch nicht direkt draufpacken.", knurrt er und folgt mir in die Wohnung. Während ich die Sachen unten im Flur abstelle, schließt er die Haustür und lehnt sich dagegen.

"Ich lasse dir nur so viel durchgehen, weil ich was für dich über habe."

"Da bin ich aber froh.", ziehe ich seine Aussage ins lächerliche.
"Ich glaube aber eher, dass du mir so viel durchgehen lässt, weil du mir gerade einfach nur unterlegen bist."

"Sicherlich nicht.", streitet er ab.

"Also ich habe zwei funktionierende Arme. Kannst du das von dir auch behaupten?", kichere ich und lege meine Waffe auf das Sideboard im Flur. Dann streife meine High Heels von den Füßen.

"Princesa, kannst du dich einfach um meinen Arm kümmern, anstatt dich lustig zu machen?"

"Anstatt mich lustig zu machen? Miguel, ich habe dir das Leben gerettet und dir ist nichts besseres eingefallen, als Witze zu reißen. Ich habe einen Menschen getötet, obwohl es unnötig gewesen ist, weil du unvorsichtig warst!", zische ich und greife nach meinem Koffer.

"Ama-"

"Und jetzt erzähl mir nichts von wegen 'das sei mein Job'. Menschen zu töten, mag dein Job sein, aber nicht meiner. Ich töte Menschen, wenn ich mein Leben schützen muss. Aber heute habe ich deins geschützt, comprende?", unterbreche ich ihn und laufe die Treppen hoch.

"Du kannst mich nicht immer unterbrechen und dann weglaufen, wenn ich dir antworten will.", ruft er mich hinterher.
Er klingt überhaupt nicht aufgeregt oder wütend, daher irritiert mich seine Stimmlage für einen Augenblick.

Außerdem: Seit wann will er Dinge ausdiskutieren?

La Reina de MexicoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt