- Kapitel 106 -

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Miguel
19:22 Uhr

"Du bist aufgeregt.", stellt sie fest, während ihr Kopf am Fenster lehnt und sie sich die kleinen Vororte von Miami anschaut.

"Ich?", frage ich viel zu schnell und umgreife das Lenkrad fester.

Sie lacht.
"Ja, wer sonst? Ich platziere meine Hände nicht jede Minute neu am Lenkrad und rutsche unruhig auf dem Ledersitz hin und her."

"Ich bin nicht nervös, ich kann einfach nur nicht mehr sitzen.", erwidere ich und fahre mir übers Gesicht.
Aus dem Radio ertönt Boogie Wonderland, doch es lenkt mich nicht ab.

"Mein Vater reißt dir schon nicht den Kopf ab.", kichert sich und legt ihre Hand kurz auf meinen Oberschenkel.

"Ich habe keine Angst vor deinem Vater.", verdrehe ich die Augen.

"Doch nicht etwas vor Jasper?", lacht sie nun noch lauter.

Brummend schiebe ich ihre Hand von meinem Oberschenkel. Sie weiß genau, dass ich erst recht keine Angst vor ihrem kleinen Bruder habe. Was soll der mir schon tun? Außerdem hatten wir alles geklärt.

"Du musst mir sagen, wann ich den Highway verlassen muss.", merke ich an und drehe dann das Radio lauter.
Ihr Grinsen entgeht mir nicht, aber ich entscheide mich einfach es zu ignorieren. Wenn sie meint, dass ich nervös bin. Ich kann ihr anscheinend sowieso nicht das Gegenteil beweisen.

"Dein linkes Bein wackelt die ganze Zeit, du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht nervös bist.", hört sie nicht auf und verschränkt grinsend die Arme vor der Brust.

"Gut. In Ordnung. Dann bin ich halt nervös. Ist gut jetzt?", werde ich langsam genervt und öffne das Fenster, damit frische Luft in den Wagen kommt.

"Du musst dich gleich links halten und dann immer weiter Richtung South Beach.", übergeht sie mein Geständnis gekonnt und zeigt auf das große Schild mit der Aufschrift Miami Downtown/ South Beach I-95.

"Er wohnt also in South Beach. Das hätte ich mir denken können.", wechsel ich das Thema.

"War das so klar?", runzelt sie die fragend die Stirn.

"Ich hatte gewettet, dass er entweder in einem der Hochhäuser in Brickell wohnt oder in South Beach.", nicke ich bestätigend.

"Er hat ein Haus vor dem Indian Creek Drive.", erklärt er sie mir und will mir anscheinend zeigen, dass ich Unrecht hatte.

"Nobel.", merke ich kurz an und schaue kurz nach rechts um die funkelnden Hochhäuser im Sonnenuntergang zu betrachten.

"Schön oder?", flüstert Amara und drückt sich ans Autofenster.

"Wunderschön.", flüstere ich zurück, betrachte aber nur sie. Wenn sie wüsste, weshalb ich nervös bin, würde sie keine Witze mehr darüber machen.
Langsam lege ich meine Hand auf ihren Oberschenkel und folge der Interstate Richtung South Beach.

"Du musst vor der Kirche rechts abbiegen und dann nur noch gerade aus.", erklärt sie schnell und lehnt dann wieder ihren Kopf ans Fenster.

"Würde Mama noch leben, wäre das jetzt mein Zuhause."

"Meine Mama hat immer gesagt, dass ein Zuhause dort ist, wo deine Liebsten sind. Und dein Papa ist hier. Also ist das dein Zuhause, oder nicht?", versuche ich sie aufzumuntern.

Ihr Blick trifft meinen, bis ich ihn abwenden muss, um weiter auf die Straße zu schauen.

"Du hast Recht. Wo ist dein Zuhause?", will sie wissen.

"Hier."

"Hier?"

"Ja. Hier bei dir. Vorgestern war es in Los Angeles, letzte Woche in Acapulco. Heute ist es auf einer Brücke zwischen Miami Downtown und South Beach.", erkläre ich ihr und bremse ab, um in das Wohngebiet am Indian Creek Drive abzubiegen.

Es ist ordentlich und es war klar, dass dieses Gebiet nicht einfach so zugänglich ist.

"Sir, wie kann ich Ihnen helfen?", spricht mich der Sicherheitsmann an, nachdem ich das Fenster weiter geöffnet habe.

"Wir möchten zu Richard Ramirez."
Amara hat sich über mich gebeugt, ihre Hand auf meinem Oberschenkel abgestützt und sich auf mich gelehnt.

"Amara? Amara du bist es wirklich.", scheint der ältere Herr meine Frau zu erkennen.

"Ja, ich bin es.", lacht sie laut und reicht dem Mann die Hand.
"Das ist Miguel, mein Freund. Wir wollen Papa besuchen.", erklärt sie ihm, bevor er auch mir seine Hand reicht.

"Schön Sie kennenzulernen, ich bin Mike.", stellt er sich vor.

Nickend lächle ich leicht, doch mir ist nicht nach einem Smalltalk zur Mute. Ich will so schnell es geht aus diesem Auto heraus. Noch länger halte ich es hier nicht aus.

"Ich mache euch das Tor auf, viel Spaß und viele Grüße!", lässt er uns endlich gehen und läuft in sein kleines, weißes Häusschen am Straßenrand.

"Er hat in den Sommerferien immer mit mir Fußball gespielt.", erklärt mir Amara, während ich eilig durch das Tor fahre.

"Miguel, das ist eine Spielstraße.", merkt sie brummend an.

"Ich muss pissen.", lüge ich sie an und verteidige meine Fahrweise.

"Die letzten 100 Meter wirst du es ja wohl noch aushalten können. Da vorne links und dann das dritte Haus auf der rechten Seite."

Endlich.
Es ist gleich halb acht Abends, ich habe einen Mordshunger und muss dringend noch dringend was klären.

Ich bringe mein Auto vor dem großen Haus stehen. Die großen Eichentore sind zwar geschlossen, doch hinter Ihnen ragt ein zweistöckiges, weißgestrichenen Haus hervor. Die hohen Palmen, die einen Teil der Fassade verdecken, überragend das Dach auf beigefarbenen Ziegeln.

"Nobel. Sag ich ja.", merke ich erneut an und steige aus den Wagen aus.

"Bänker eben.", ruft Amara mir übers Autodach zu, nachdem auch sie ausgestiegen ist. Sie knallt die Tür zu und kommt zu mir zum Kofferraum.

"Baby.", mache ich auf mich aufmerksam und ziehe sie an der Taille zu mir.

"Ja?", flüstert sie mir mit strahlenden Augen zu.

"Mein Auto ist kein Panzer. Du kannst die Tür auch leise schließen.", lächle ich provokant und lasse sie dann los, um unsere Taschen aus dem Kofferraum zu nehmen.

"Ich habe die Tür nicht geknallt.", leugnet sie meine Aussage mit verschränkten Armen.

"Aber natürlich nicht. Das Auto hat gar nicht gewackelt.", übertreibe ich absichtlich und schließe den Kofferraum, nachdem ich sie an die Seite geschoben habe.

"Na dann geh mal vor, ich komme da mit Sicherheit nicht so einfach rein.", wechsle ich das Thema und nicke in Richtung Haus.

La Reina de MexicoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt