- Kapitel 74 -

6.1K 222 13
                                    

Amara

"Lauf nicht so weit vor.", ruft Miguel mir hinterher. 

"Lauf einfach schneller, Miguel.", zwinkere ich ihm zu und setze meinen Weg fort. 

"Princesa.", ertönt seine raue Stimme. 

Als ich mich umdrehe, steckt eine Zigarette in seinem Mundwinkel. Ohne den Blick von mir zunehmen, führt er das Feuerzeug zu seinem Mund und zündet den Tabak an. Kurz darauf pustet er den Rauch in meine Richtung. 

"Mach jetzt nicht einen auf dicke Hose.", flüstert er mir im Vorbeigehen ins Ohr, bevor er nach meinem Handgelenk greift und mich mitzieht. 

"Die Leuten schauen und ich will kein Risiko eingehen, comprende?", erklärt er mir, warum ich bei ihm bleiben soll. 
Früher hätte ich gedacht, dass er mich kontrollieren will und mir zeigen will, dass ich nichts zu sagen habe. 
Heute weiß ich, dass er mich schützen will. Dass er sich um mich sorgt, indem er darauf achtet, dass ich dicht bei ihm bleibe. 

Und vielleicht möchte er auch einfach nur meine Nähe, aber das würde er nicht zugeben. Nicht jetzt, wenn die halbe Stadt uns anschaut. 
Die Leute gehen ihren Aktivitäten weiter nach, aber trotzdem versuchen sie immer wieder den ein oder anderen Blick zu erhaschen. 

Miguels Hand hat mittlerweile mein Handgelenk losgelassen und nach meiner Hand gegriffen. Sein Griff ist fest und bestimmend, aber er tut nicht weh. Er hält mich fest und zeigt mir, dass ich zu ihm gehöre. 

Aber in erster Linie, zeigt er den anderen, dass ich zu ihm gehöre. 

Zwischendurch werde ich nervös, weil ich Angst kriege, er könnte sich mit anderen Männer anlegen, die mich auch nur eine Sekunde zu lange anschauen. Aber erstaunlicherweise hat er sich gut im Griff. 

Zu gut. 

"Da vorne ist das Restaurant."
Miguel deutet auf zahlreiche weiße Stühle, die im Sand stehen. Große, cremefarbene Schirme spenden in der unerträgliche Hitze Schatten. 

"Es sieht irgendwie normal aus.", flüstere ich überrascht. 
Miguel ist eigentlich nicht der Typ für Mittelklasse.

Lediglich ein belustigten Schnauben entflieht seinen Lippen, bevor er mich zu einem Tisch direkt am Meer führt. Er schiebt mir den Stuhl zurück und lässt mich erst los, als ich auch wirklich sitze. 

Anmutig läuft er um den kleinen Tisch herum und lässt sich mir gegenüber nieder. 

"Warte, bis du das Essen siehst.", geht er nun doch auf meine kleine Bemerkung ein. 

Bevor ich etwas erwidern kann, klingelt sein Handy. Doch anders als erwartet, geht er nicht dran. Er macht nicht mal den Eindruck, als hätte er auch nur eine Sekunde daran gedacht, das Telefonat entgegenzunehmen. 

Ich räuspere mich.
"Dein Handy.", mache ich ihn darauf aufmerksam, weil ich mir nicht mehr sicher bin, ob er es vielleicht doch unabsichtlich überhört. 

"Ich rufe später zurück. Jetzt bin ich mit meiner Frau."

Lässig winkt er einen Kellner heran, der bereits frisches Wasser mit Gurke und Zitrone auf seinem Tablett stehen hat. 
"Senor Jimenez, Hola Senorita.", begrüßt er erst Miguel und dann mich. 

"Wie immer, bitte.", teilt Miguel dem Kellner mit, der gerade dabei ist die Karaffe und zwei Gläser auf  unseren Tisch zu stellen. 

Bestätigend nickt er und entfernt sich dann. 

"Wie Immer?", frage ich überfordert und runzle leicht die Stirn.

Miguel nickt und schüttet Wasser in mein Glas.

"Was ist 'wie immer'?", formuliere ich meine Frage um.

Seelenruhig reicht er mir mein Glas. Bevor ich es in die Hand nehmen kann, zieht er es weg.

"Wirst du schon sehen, Princesa.", haucht er grinsend, ehe er mir das vor die Nase stellt. Ich beobachte, wie er sein Glas in die Hand nimmt und leicht gegen meins stößt. 

Miguel hält inne, bevor das Glas sein Lippen berührt.
"Auf uns, mi Amor.", flüstert er amüsiert. 

Warum habe ich das Gefühl, dass dieser Kerl sich über mich lustig macht? 

Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und trinke ebenfalls einen kleinen Schluck. Das frische, fruchtige Wasser kühlt meine Kehle und schmeckt mir erstaunlich gut.

"Sind wir Privat oder Geschäftlich hier?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

Miguel lehnt sich zurück und zündet sich eine Zigarette an. 
"Heute privat. Geschäftliches klären wir morgen, ich habe einen Tisch reserviert in Phoenix."

"Meinst du, das wir morgen nach einer sieben stündigen Autofahrt noch verhandeln sollten?"

"Und wie ich das meine.", zwinkert er mir zu. 

Er plant etwas, das ist mir mittlerweile klar.

"Ich habe morgen keine Zeit. Da hättest du früher mit mir einen Termin ausmachen müssen.", lehne ich ab. 

Sein raues Lachen klingt wie Musik in meinen Ohren.
"So nicht, Princesa. So nicht."

Er pustet absichtlich den Rauch in mein Gesicht, nachdem er sich vorgelehnt hat. 
"Du hattest genug Zeit dir einen Kompromiss zu überlegen. Ich will in Amerika Urlaub machen, also bringen wir das morgen Abend in Arizona hinter uns."

Genervt wedel ich mit der Hand vor meinem Gesicht, damit der stinkende Rauch verschwindet. 

"Comprende?", hakt er nach, weil ich ihm keine Antwort gegeben habe. 

"Comprende.", äffe ich ihn nach und lehne mich zurück. Meinen Blick wende ich absichtlich ab und schaue aufs glänzende Meer. Im Augenwinkel sehe ich, wie er schmunzelnd und die Asche der Zigarette abklopft. 
Wenn er unbedingt morgen verhandeln will, dann verhandeln wird. 

Er wird schon sehen, was er davon hat. 

Und er wird sich wünschen, dass er nicht auf eine Verhandlung gedrängt hat. 




La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now