Kapitel 4

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Der Flug dauerte lange, doch es war uns nicht gestattet zu schlafen. Wir waren schließlich nur Menschen. Nichts besonderes. Für die Engel in diesem Helikopter waren wir nicht besser als Tiere. Leider waren wir - um es ganz genau zu nehme - sogar welche. Doch wir hatten Rechte. Auch in dem Herrschaftsgebiet von Raphael - also Europa - waren Menschen einige wenige solcher Rechte gegeben.

Und ein Recht war, dass wir genügend Schlaf bekommen sollten. Wenigstens fünf Stunden täglich. Natürlich war man dann noch immer müde, doch laut Raphael reichten diese Stunde. Bei Gabriel waren es immer neun Stunden. Das würde eine Umgewöhnung sein. Auch, weil wir dort nie bestraft wurden, wenn wir einige Minuten Verspätung hatten.

Schlussendlich kamen wir in Europa an. Im einstigen Paris, um genau zu sein. Dort lebte Raphael scheinbar derzeit. Laut Cora hatte er drei Hauptsitze, wo er jeweils einige Monate verbringt. Einen im ehemaligen Paris, einen im ehemaligen London und einen ihm ehemaligen Berlin. 

"Ich habe Bilder gesehen. Vor dem Krieg und Raphaels Herrschaft soll es hier wunderschön gewesen sein", flüsterte Cora mir ins Ohr, während wir landeten. Weshalb tat sie das gerade? Wir waren umgeben von Engeln! Sie alle könnten sie bei Raphael für diese Worte verpfeifen. Und sie würde bestraft werden. 

"Psst", entgegnete ich leise. Sie konnte später mit mir über so etwas reden, wenn wir unter uns waren. Ich hoffe, sie hatte das verstanden, denn sonst würden wir zwei schon an unserem ersten Tag mächtig Ärger bekommen. Obwohl dieser Tag hier schon fast zu Ende war, denn hier war es schon dunkel. 

Wir stiegen aus, noch immer umgeben von Engeln. Und wir standen. Scheinbar warteten sie auf jemanden. Würde Raphael uns etwa persönlich vom Landeplatz abholen? Das bezweifelte ich. So etwas hat nicht einmal Gabriel getan.

Und ich sollte Recht behalten. Zwar wusste ich nicht genau, wie Raphael aussah, doch der junge Mann, der auf uns zukam, war es definitiv nicht, denn er trug Wachenkleidung. Sie war - im Gegensatz der meisten Sachen, die Engel trugen - komplett schwarz, damit man sie von den normalen Engeln unterscheiden konnte.

Diese trugen relativ normale Sachen. Und Erzengel trugen weiß. Genauso wie ihre Sklaven und Diener. Man konnte Sklaven lediglich daran erkennen, dass sie keine Flügel hatten. Genauso wie Diener. Im Grunde erfüllten Sklaven und Diener sogar dieselben Jobs. Nur man nannte sie anders, da man nur eine bestimmte Anzahl an Sklaven haben durfte, die Anzahl der Diener jedoch unbeschränkt war. Okay, bei Raphael nun nicht mehr, doch er würde sich sowieso nicht daran halten.

So hatte, laut Gerüchten, zum Beispiel Raziel nur fünf Sklaven, aber über dreißig Diener und Dienerinnen. Dass diese nicht nur putzten und kochten, sondern auch Sklavenarbeit verrichteten, musste wohl jedem bewusst sein, der nur halbwegs klar denken konnte.

"Cora Flynn und Citiana Silver?", ertönte die Stimme des Wachen. Sofort sahen wir beide zu ihm, obwohl ich sowieso schon hinschaute, und nickten. Sprechen war als Sklave nur erlaubt, wenn man aufgefordert wurde. Diener durften rein theoretisch überhaupt nicht reden, doch bei Gabriel hatten wir diese Freiheit. 

"Folgt mir", forderte er uns einfach auf und wir taten stumm, wie uns befohlen wurde. Natürlich musste er uns seinen Namen nicht verraten, denn wir würden ihn sowieso nie ansprechen dürfen. Auch, wenn mir viele Fragen auf der Zunge lagen. Zum Beispiel, ob wir nun Dienerinnen oder Sklavinnen waren. Das wurde uns nämlich nie genau gesagt. 

Wir kamen an dem großen Haus von Raphael an. Es war nicht weit vom Landeplatz entfernt. Als wir durch die Tür gingen, wurde hinter uns von einem Mädchen die Tür geschlossen. Wir blieben stehen und sie stellte sich an die Seite von dem Wachen.

"Das hier ist eine Sklavin des Hauses. Sie wird euch alles zeigen und euch die Regeln erklären. In einer Stunde erwartet Raphael euch in eurer neuen Kleidung im Hauptraum", sagte er uns und ging die Treppe hinauf. Kurz darauf verschwand er in einem Raum.

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