Kapitel 35

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Wir versteckten uns einige Zeit in einem Haus, das nur noch eine Ruine war. Der Stadtteil schien nicht umkämpft zu sein. Jedenfalls nicht mehr. Doch hier waren weit und breit keine Soldaten unserer Armee zu sehen. Wer hatte hier gekämpft? Etwa Zivilisten? Doch kaum ein Mann wurde nicht eingezogen. Jedenfalls hatte Raphael gesagt, dass alle männlichen Engel kämpfen mussten. 

"Wieso haben sie Bomben abgeworfen?", wollte ich wissen und sah Raziel und Dave an. Letzterer zuckte mit den Schultern und sah nach draußen. "Weil sie wissen, wir haben keine. Sie glauben, damit würden sie uns schlagen können", antwortete Raziel. Aber warum? Krieg bedeutete Soldat gegen Soldat. Doch so wurden immer mehr Unschuldige mit hinein gezogen. 

Glaubte Gabriel wirklich, dass die Europäer ihm folgen würden, wenn durch ihn und sein Heer Familienmitglieder gestorben sind? Er würde sich hier nicht lange halten können, da er weder bei Menschen noch bei Engeln beliebt war. Das würde einen Bürgerkrieg mit sich ziehen. Seufzend sah auch ich nach draußen. Das alles war doch krank. 

Nach dreißig Minuten beschlossen wir, hinaus zu gehen. Wir sollten hier sicher sein. Auf einmal landete ein weiblicher Engel vor uns und lief auf uns zu. Ich wusste nicht, ob er zu uns gehörte oder zu den anderen. "Erzengel Raziel", sagte sie. Ihr braunes Haar war etwas länger als ihre Schulter und recht durcheinander. 

Auf ihren schwarzen Sachen konnte man Risse erkennen, wodurch Blut zum Vorschein kam. Sie hatte eindeutig gekämpft. "Wir müssen reden. Folgt mir." Mit diesen Worten lief sie an uns drein vorbei. Fragend sahen Dave und ich uns an, während Raziel ihr gleich folgte. Also liefen wir ihr ebenfalls nach. 

Allzu weit schien das Haus, zu dem sie wollte, nicht weg zu sein. Und es stand auch noch. Nacheinander gingen wir hinein und ich sah mich um. Hier war alles nur notdürftig eingerichtet. Wir gingen in die Küche, wo eine weitere junge Frau wartete, Ihre Haut war etwas dunkler und ihr Haar stark gelockt. Offen lächelte sie uns an. 

"Ich bin Brooklyn, aber ich könnt mich Brooke nennen", stellte sie sich vor. "Und das ist Venus", fuhr sie fort und zeigte auf die Frau, die uns hergebracht hatte. Sie erzählten uns, dass sie eine Gruppe aus Menschen und Engeln gebildet haben, die ebenfalls am Krieg teilnimmt, obwohl sie nicht müssten. Brooke war ein Mensch. 

Es war irgendwie faszinierend, weil ich immer dachte, auch hier herrschte noch große Abneigung zwischen Engeln und Menschen. "Aber wieso?", wollte Raziel wissen. "Und weshalb verbündet ihr euch mit Menschen?" Venus, die gerade zu einem Schrank gehen wollte, drehte sich um und zuckte mit den Schultern. 

"Wir sind experimentierfreudig", sagte sie und holte dann eine Tasse heraus. Ich sah zu Brooke, die die Augen verdrehte. "Wir finden, alle sollten zusammenhalten. Gabriel greift nicht nur die Engel an, sondern uns alle und alles, was wir gerade versuchen uns aufzubauen", erklärte sie. Mit letzterem meinte sie die Freiheiten. Langsam näherten beide Spezies sich an und der Krieg könnte es zerstören. 

Und sie wollten Seite an Seite kämpfen. Gleichberechtigt. Ein erster Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Sie erklärten auch, dass sie diesen Stadtteil verteidigten. Doch Venus hatte kaum Zeit, da sie in der Armee war. Die Anführerin war also Brooklyn. Ich sah zu ihr. "Laut Raphael kämpfen Menschen und Engel schon zusammen", sagte ich. 

"Natürlich. Aber nicht offiziell. Das wäre ein Zeichen", erklärte sie. Ich nickte. In der Tat, das wäre es. Es würde Gabriel und Michael zeigen, dass Menschen und Engel zusammenhalten konnten. Und dass beide gleichviel Wert waren. Man konnte einen ersten großen Schritt machen. 

Mir gefiel die Idee, noch mehr Menschen einzubeziehen. Waffen musste es doch genug geben, auch wenn wir keine Bomben besaßen. Ich lächelte dann leicht. "Dann solltest du uns zu Raphael begleiten und ihm auch alles erzählen", schlug ich vor. Brooke wirkte erleichtert, dass wir helfen wollten. Hatten sie echt gedacht, wir wären dagegen?

Sie nickte und nahm sich eine Strickjacke. Dann sagte sie Venus, sie würde bald wieder kommen. Kurz darauf traten wir den Heimweg an. Es war wieder Ruhe eingekehrt. Der Angriff war vorbei. Vorerst. Je näher wir ins Zentrum kamen, desto mehr Tote sahen wir. Menschen. Alles nur Menschen. 

Einige wenige Engel, die, die Sympathie für Menschen hatten, brachten sie an einen Ort, wo man sie identifizieren und ihrem Engel zurückbringen würde. Dieser musste sich dann um die Beerdigung kümmern. Menschen hatten keine Friedhöfe. Auch hier nicht. Erst jetzt wurde mir klar, wie viel Glück ich hatte, bei Raphael zu leben. Auch wenn er versuchte, den Kontinent voran zu bringen, würde er das nur mit Gesetzen können. 

Gesetze, die Menschen schützten. Die dafür sorgten, dass man sie nicht schlagen durfte. Nur ein Satz könnte alles ändern; Menschen und Engel seien gleich. Mit diesem Satz standen Menschen alle Rechte der Engel zu. Ich musste mit Raphael darüber reden und zwar dringend. Außerdem würden dann mehr Menschen freiwillig helfen. Denn dann hatten sie noch mehr Gründe, Raphaels Herrschaft zu verteidigen. 

Brooke blieb stehen. "Wir müssen ihnen helfen", sagte sie dann und sah sich um. "Darum kümmern sich andere", entgegnete Dave. Tja, ihm fehlte Sympathie für Menschen, auch wenn er als Person nett war. Raziel stimmte ihm zu. Doch Brooke wollte helfen. Sie sah zu mir. Wenn die Menschen und die anderen Engel sehen, dass auch ein Erzengel wie Raziel half, würde das ein Zeichen setzen. 

Also sah ich zu Brooke. "Wir helfen. Das sind Menschen. Sie verdienen Hilfe, schließlich sind sie wegen eines Krieges gestorben, der mit ihnen nichts zutun hat", erklärte ich, krempelte die Ärmel meiner Jacke hoch und lief zusammen mit Brooke zu einer Leiche. Es war eine junge Frau. Kaum älter als wir. Sie hatte sich auf jemanden geworfen, doch es hatte nichts gebracht; sie beide sind gestorben. 

Wir trugen die Frau zur Sammelstelle, wo einige Engel mit der Identitätssuche beschäftigt waren. Dankend nickten sie uns zu und wir gingen wieder hinaus. Ein paar mal wiederholten wir das. Und auch Dave und Raziel packten schlussendlich mit an. Dann sahen wir ein Kind. Schmutzig im Gesicht. Und allein. Es musste seine Eltern verloren haben. 

Ich lief zu dem kleinen Jungen und legte meine Jacke um ihn. Er weinte und zitterte. Wie schrecklich musste es für ein Kind sein, all das zu erleben? Auch ihn brachte ich zu der Sammelstelle. Ein weiblicher Engel versprach, sie würde seine Familie finden. Nun war ich diejenige, die ihr dankte. 

Dann liefen wir weiter. Zuhause würde ich nach dem Gespräch mit Raphael duschen müssen. So wie alle hier. "Du kannst bei uns schlafen", sagte ich dann zu Brooke. "Wir haben noch ein Bett frei." Jetzt, wo ich unten raus war. Sie nickte, schien sich aber noch nicht sicher zu sein. Doch ich würde sie nicht mitten in der Nacht draußen rumlaufen lassen. Nicht jetzt.

Schließlich kamen wir an. Raphael empfing uns sofort und schloss mich in die Arme. Er drückte mich an sich. Dachte er, mir sei etwas passiert? Dem war nicht so. Und auch ihm schien es gut zu gehen. Raziel und Dave gingen beide in die Bäder. Vermutlich wollten sie duschen. Nach kurzer Zeit löste ich mich und ging einen Schritt zur Seite, damit er Brooke sehen kann. "Wir müssen reden", sagte ich.

Zendaya as Brooklyn 

Phoebe Tonkin as Venus

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