Kapitel 41

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Am Abend wollte Raphael, dass das Training wieder aufgenommen wird. Ab morgen würden die Menschen in ganz Europa beigebracht bekommen, gegen Engel zu kämpfen. Jedenfalls, wenn sie es wollen. Raphael meinte, es sei an der Zeit, Menschen einige Geheimnisse anzuvertrauen. Eine Seite musste anfangen.

Doch nicht nur wir beide trainierten. Scheinbar war es der gesamte Haushalt. Cora und Malia trainierten mit Raphael draußen. Gemeinsam mit Brooke. Raziel mit Azzurra, Dave und mir drinnen. Ich stand Dave gegenüber. Scheinbar ging es ihm besser als vorhin. Jedenfalls hoffte ich das. 

Bei Azzurra und Raziel ging es richtig zur Sache. Sie war wirklich eine großartige Kämpferin und steckte einiges kommentarlos weg. Ich war beeindruckt. Dagegen fühlte ich mich schwach. Aber sie war auch ein Engel. Genauso wie Raziel und Dave kämpfte sie mit Eleganz. Und dann war da ich. Aber ich war tatsächlich bereits deutlich besser geworden. 

"Ich glaube nicht, dass es Cora gefallen würde, wenn du ihre Freundin anschmachtest", neckte Dave mich. Geschockt sah ich ihn an, weil Raziel ja im Raum war. Wer wusste, wie er zu so etwas stand. Dave prustete los, als er mein Gesicht sah und kam ein paar Schritte näher. "City. Bitte. Jeder in diesem Haus weiß es. Beide machen kein Geheimnis draus", sagte er. Oh, wirklich? 

Azzurra schien wirklich zu Cora zu stehen. Und wenn Raziel und Raphael es wussten, dann hatten sie sich noch nicht dazu geäußert. Vielleicht dachten sie sich ja ihren Teil. Oder wollten es bis nach dem Krieg verschieben. Obwohl das nicht ihre Art war. 

"City. Training", meinte Dave und nun verdrehte ich schmunzelnd die Augen, bevor ich zum Kampf ansetzte. Ich nutzte alle Tricks, die mir beigebracht wurden und war kurzzeitig stolz, bis ich auf der Matte landete. Morgen würde ich vor Schmerzen sterben, dachte ich. Kurz schmunzelte der Blondschopf, dann half er mir auf und wir begannen von vorn. 

Nahkampf. Wir hatten die Holzschwerter beiseite geworfen. Im Ausweichen war ich Spitze. Und das war ich bestimmt auch im Wegrennen. Aber ich war noch zu schwach, um so wirklich etwas ausrichten zu können. Ich würde Muskeltraining brauchen. "Wenn ich du wäre, würde ich hoffen, dass dein Gegner ein Schwert hat, mit dem du es schnell beenden kannst", sagte Dave, wieder einmal grinsend. 

Ja, er sah wirklich besser aus. Doch blass war er noch immer. Plötzlich hob er sein Holzschwert auf und griff mich an. Überraschungsangriff. Etwas, womit man immer rechnen musste. Das hatte ich auf die harte Art und Weise lernen müssen. Ich wich also aus, nahm ihm dann das Schwert weg und richtete es auf seine Brust. 

Er nickte und lobte mich. Ja, ich sollte wirklich auf ein Schwert hoffen. Damit konnte ich mittlerweile umgehen. Doch man sollte üben, was man nicht konnte. Also folgte erneut Nahkampf. In der dritten Runde bekam ich Dave auf den Boden. Kurz war ich stolz, bis er zu husten begann und sich seitlich aufrichtete. 

Augenblicklich schienen Raziel und Azzurra mit dem Kampf aufzuhören und kamen zu uns. Raziel kniete sich zu ihm. "Was hat er?", wollte ich wissen. Das Wissen, er könnte ernsthaft krank sein, ließ mich verzweifeln. "Ich weiß es nicht", antwortete Raziel, der Dave gerade aufhelfen wollte. Doch dieser stieß ihn weg. 

"Kann man da nichts machen?", fragte ich. Raziel sah mich an. "Engel werden nicht krank, Citiana. Es muss etwas anderes sein. Und wenn es ist, was ich glaube, dann-" Doch Dave unterbrach ihn. "Geht", sagte er. "Ich will mit City allein sein." Überrascht sah ich zu ihm, dann zu den anderen. 

Raziel, der, wie ich feststellen muss, verschwitzt war, nickte nur und verließ sofort den Raum. Azzurra schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. Ging dann aber auch. Hinter sich schloss sie die Tür. Nun war ich mit Dave allein. Er hatte sich schwer atmend aufgesetzt. Ich setzte mich zu ihm.  Dann zeigte er mir seine Handfläche. "Ich bin nicht krank, City", sagte er. 

Auf der Handfläche war ein Schnitt. Doch es sah nicht aus wie eine übliche Wunde. Stattdessen schien es entzündet zu sein. Und es war nicht nur rot, sondern auch blau. Geschockt sah ich ihm in die Augen. "Gift." Er nickte. "Kein Gegenmittel. Es wird mich langsam umbringen", sagte er und lachte leicht dabei, als hätte er einen Witz gemacht. 

"Ich dachte eigentlich, dass ich älter werden würde", gab er zu. Er würde sterben. Dieser kleine Schnitt würde ihn umbringen. Das konnte ich nicht glauben. Noch heute Morgen hatten Raphael und ich darüber geredet, wie es sein würde, mit Dave zu dritt zu leben, bis auch er irgendwann eine Partnerin finden und ausziehen würde. 

Und dieser Satz ließ all meine Hoffnung erlöschen. Dennoch schüttelte ich ungläubig mit dem Kopf. "Wir finden ein Heilmittel. Raphael-" "Nein, City. Ich werde sterben." Kurz schloss ich die Augen. Einige Tränen liefen meine Wange hinunter. Ich konnte es einfach nicht glauben. Er war einer meiner besten Freunde. 

Dann nahm er mich in den Arm und ich schlang meine Arme um ihn. Er war warm. Nicht nur das. Nein, er glühte förmlich. Fieber, dachte ich. Er hat Fieber. Und zu hohes Fieber konnte tödlich sein. Als er wieder zu husten begann, fasste ich den Entschluss, ihn unter die Dusche zu bringen, um ihn etwas abzukühlen. 

Also half ich ihm auf und ging schnell mit ihm ins Badezimmer, ohne dass die anderen uns sehen konnten. Dann schloss ich die Tür ab und setzte ihn mitsamt den Sachen in die Dusche, wo ich dann das kalte Wasser anließ. Mir war egal, ob auch ich nass werden würde. Dankend schenkte er mir ein leichtes Lächeln. Wieder setzte ich mich zu ihm. 

"Ich wollte schon immer mal nach Australien", sagte er zu mir. Erst dachte ich, er sprach mit sich selber. "Wir müssen dorthin, City. Ich will dort sterben." Diese Worte taten weh. Doch ich ließ mir nichts anmerken und nickte. Das werde ich hinbekommen. Ich würde Raphael überreden können. Irgendwie musste das möglich sein. 

* * *

Ich hatte ihn dann auf sein Zimmer gebracht. So wie er es wollte. Als ich in meines ging, saß Azzurra dort auf dem Bett. An ihrer Lippe hatte sie vom Training eine kleine Wunde, doch das schien ihr nichts auszumachen. 

"Raziel sagt, ich soll dich ab jetzt trainieren", erklärte sie und ich nickte. Natürlich. Dave würde es, wenn überhaupt, nicht mehr allzu lange können. "Aber bitte langsam. Ich bin nicht Raziel. So schnell heile ich nicht", sagte ich, was sie leicht schmunzeln ließ. Sie versprach mir, nicht allzu hart zu mir zu sein. 

Ich bewunderte sie. Einerseits wirkte sie wie eine gute Soldatin. Andererseits wie eine loyale und liebenswerte Freundin. Für mich passte es nicht zusammen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie der einzig nette weibliche Engel war, den ich bis jetzt kennengelernt habe. Auch wenn wir kaum miteinander sprachen. 

Dann reichte sie mir einen Zettel. "Das kam vorhin an", sagte sie. "Uriel hat Gabriel offiziell den Krieg erklärt." Überrascht las ich mir durch, was darauf stand. Es war die Kriegserklärung. Uriel könne nicht zulassen, dass ein Kontinent, der sich für Menschen und deren Rechte einsetzt, von Gabriel vernichtet wird. Er hatte sich also doch noch umentschieden. Das war großartig. 

Nun würden mehr Soldaten zur Verteidigung kommen. Es würde in Europa sicherer sein. Jedenfalls für die Zivilisten. Daraufhin fiel mir etwas ein. "Kannst du mir einen Gefallen tun?", wollte ich wissen und hoffte so sehr, sie würde 'ja' sagen.

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