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"Ich verstehe nicht, was Sie meinen!"

Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen, während er einen Schluck aus der Kaffeetasse nahm, die vor ihm auf dem Schreibtisch gestanden hatte. "Natürlich verstehen Sie das", sagte er, als er sie wieder abgestellt hatte. "Sie können das System nicht hintergehen, Miss Haze, auch wenn sie sich für noch so klug halten."

Nein.

NEIN.

Er bluffte doch bestimmt nur. Wollte sehen, ob ich in Panik geriet. Und diesen Gefallen würde ich ihm bestimmt nicht tun.

"Genug geredet. Je länger wir reden, desto weiter wird sich Jase Ryan von der Stadt entfernen und ..." Ich brach ab, als hätte ich gerade einen schrecklichen Fehler gemacht. Aber natürlich war dieser angebliche Versprecher pure Absicht gewesen. Ich wollte von mir selbst ablenken. Und dabei hatte ich meinen Plan, Jase zu retten, natürlich nicht aufgegeben.

Er zog die Augenbrauen hoch. "Reden Sie weiter."

"Nein. Nein! Sie haben schon genug gehört!", rief ich in gespielter Panik aus. "Sie werden nicht noch mehr aus mir herausbekommen."

"Hören Sie mit diesen Spielchen auf, Miss Haze." Er lächelte. "Ich weiß genau, dass Sie nur von sich selbst ablenken wollten. Seltsam. Dabei sind Sie doch sonst so selbstlos."

Nein, nein, nein. 

Er konnte das mit meiner Mutter nicht wissen. Das war unmöglich. 

"Gut. Ich werde es Ihnen sagen. Aber lassen Sie mich frei. Bitte. Ich habe nichts getan", seufzte ich in gespielter Resignation.

"Sprechen Sie", forderte er. 

"Er ..." Ich verzog das Gesicht. "Er versteckt sich außerhalb der Stadt. In den Ruinen dort. Hat er mir zumindest erzählt."

"In den Ruinen?", hakte er erstaunt nach. "Sie lügen mich doch an."

"Warum sollte ich Ihnen eine Lüge auftischen, die so offensichtlich ist? Jase Ryan versteckt sich in den Ruinen. Ich war ja selbst schockiert", log ich. Ich hatte lange gebraucht, um mir einen Ort einfallen zu lassen, wo Jase sich ganz bestimmt nicht versteckte. Niemand verließ freiwillig die Stadt, um in den Ruinen oder der Wüste jenseits der Grenzen zu leben. Niemand. Auch nicht, wenn er in Lebensgefahr schwebte.

"Ich glaube Ihnen nicht", sagte mein Gegenüber und ich konnte nicht mehr atmen. 

"Und genau deswegen sollten Sie mir glauben", hielt ich dagegen.

Er grinste. "Netter Versuch, Ihre Geschichte unglaubwürdig klingen zu lassen, aber je mehr sie darauf beharren, desto mehr glaube ich, dass Sie wollen, dass ich Ihnen das Ganze nicht abnehme. Umgekehrte Psychologie, verstehen Sie?"

Wohl eher umgekehrte umgekehrte Psychologie. 

Wenn auch nicht ganz beabsichtigt. 

"Sie haben recht." Ich strahlte ihn an. Das war beabsichtigt. Wenn nun alles gut lief, sollte er mir glauben, von wegen was weiß ich wie oft umgekehrter Psychologie und seine Leute rufen, damit ...

Er griff nach seinem Funkgerät und ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut loszujubeln. 

"Drei Männer raus zu den Ruinen. Wir haben die Information bekommen, dass Jase Ryan sich dort aufhält", sagte er bestimmt. 

Ja, ja, ja, ja!

Der Mann hinter dem Schreibtisch legte das Funkgerät wieder zur Seite und sah mich an. "Ich hoffe sehr, Sie haben mir die Wahrheit gesagt."

Ich nickte, und dann schwiegen wir. 

"Kann ich jetzt gehen?", fragte ich nach einer Weile. "Ich habe Ihnen alle Informationen gegeben, die ich hatte."

"Nein."

"Was nein? Sie haben mir gesagt, wenn ich ..."

"Ich habe gar nichts dergleichen gesagt. Ich habe sie lediglich aufgefordert, zu sprechen."

Das war doch jetzt nicht sein Ernst!

"Entschuldigen Sie, Miss Haze. Aber Sie verstehen doch wohl, dass ich jemanden wie Sie nicht einfach laufen lassen kann. Und fragen Sie jetzt nicht, wie ich das meine, wenn das wissen Sie ganz genau. Sie sind nicht blond, meine Liebe, und Sie haben auch keine blauen Augen. Eigentlich sind sie eine jämmerliche kleine Gamma, die nur versucht hat, ihrer armen Mutter zu helfen", spie er mein Geheimnis aus. "Wir haben Sie nur zur Überwachung von Mr Ryan angeheuert, damit wir Sie ebenfalls überwachen können - ohne dass Sie es merken. Außerdem wollten wir ihre Loyalität testen. Wissen Sie, eigentlich wollten wir Sie am Leben lassen. So lange Sie sich wie eine Alpha verhalten wollten wir Sie am Leben lassen. Aber Ihre Fluchtversuche werden leider Konsequenzen haben müssen."

"Woher wissen Sie das alles?" Mir fiel die Kontaktlinse wieder ein, die ich während des Tests verloren hatte. Aber nur daraus hatten sie doch nicht wirklich schließen können, dass ...

"Denken Sie wirklich, wir gehen nur nach dem Aussehen? Während dem Intelligenztest wurde Ihnen auch gleichzeitig Blut für einen Gentest abgenommen. Das ist auch der Grund für Ihre Bewusstlosigkeit. Der Stuhl reagiert manchmal etwas über, weil er aufgrund der vielen Informationen überlastet ist. Die Technologie ist noch nicht ganz ausgereift. Aber das ist ja eigentlich auch egal. Aus Ihrem Genmaterial hat sich ergeben, dass Sie nicht die blonden Haare und blauen Augen haben, die wir an Ihnen gesehen haben. Aus Ihrer verlorenen Kontaktlinse und den Informationen über Ihre Familienverhältnisse, über die wir vor den Tests wie bei jedem Teilnehmer Nachforschungen angestellt haben, haben wir dann die nötigen Rückschlüsse gezogen. Darüber konnte dann auch Ihre hübsche Sonnenbrille nicht mehr hinwegtäuschen."

Ich schluckte trocken. 

Nach all dem, was ich versucht hatte, hatte, hatten sie mich tatsächlich erwischt. 

FakeWhere stories live. Discover now