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"Du kannst jetzt erst mal in den Schlafsaal gehen. Die anderen Mädchen sind wahrscheinlich dort. Ich rufe dann zum Frühstück", erklärte Sydney fröhlich. Ich erinnere mich heute noch genau an sie - sie war eine Person, bei der so ziemlich alles fröhlich klang, mit einem herzerwärmenden Lächeln und funkelnden Augen.

Ich wünschte, ich hätte es dort mehr zu schätzen gewusst; ich bin seither kaum mehr Menschen wir ihr begegnet. Doch in diesem Moment drückte ich nur die Türklinke zum Schlafsaal das Mädchen herunter, ein wenig nervös, und stolz bin ich nicht darauf, aber ich muss zugeben, dass ich mich trotz allem, was Jase gesagt hatte und Sydneys sympathischem Auftreten, immer noch ein wenig vor den Rebellen fürchtete.

Sydney klopfte mir auf die Schulter. "Keine Angst, die beißen nicht." Sie lachte leise. 

Ich atmete tief durch. Ich wollte weder Sydney noch Jase gegenüber meine Angst zeigen, und so stimmte ich nur in das Lachen der Rebellin mit ein. "Schon klar." Und dann stieß ich schwungvoll die Tür auf. Etwa ein Dutzend Augenpaare mit den verschiedensten Augenfarben blickte mir entgegen. Sie alle sahen überrascht aus, manche auf eine freudige Art und Weise, andere sahen jedoch aus, als machten sie sich bereit, ihr Territorium gegen den Eindringling, den ich für sie darstellte, zu verteidigen. 

"Hey. Ich bin Mira", sagte ich mit einer lauten Stimme, die Selbstbewusstsein ausstrahlen sollte.

"Abkürzung von Mirabella?", fragte eines der Mädchen und blies sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Ein schwungvoller Eyelinerstrich betonte ihre graublauen Augen, die mir neugierig entgegensahen.

"Nein, einfach nur Mira", antwortete ich ein wenig überrascht.

"Ich bin Blue." Die Rebellin lächelte.

"Blue? Wie das englische Wort für blau?", fragte ich noch überraschter. 

Ihr Lächeln wurde noch ein wenig breiter. "Genau. Und Sydney hatte Recht, ich beiße wirklich nicht. Ist schlecht für die Zähne."

Ich wurde knallrot, als mir klar wurde, dass sie alles mitgehört haben mussten, worüber wir im Flur gesprochen hatten. Aber die anderen Rebellinnen gingen zum Glück nicht darauf ein, sondern begannen, sich ebenfalls vorzustellen.  Für die frühe Tageszeit waren sie alle ziemlich wach und gut gelaunt. 

Ich versuchte vergeblich, mir alle Namen einzuprägen. "Also, Karlotta, June, Blue, Jaya..." 

"Jayla", korrigierte mich das dunkelhaarige Mädchen, das zwei oder drei Jahre jünger sein musste als ich. 

"Ach ja, Jayla. Skye, Elara..."

Ich hatte es fast geschafft, als Sydney mindestens so schwungvoll wie ich vorhin die Tür öffnete. "Es gibt Essen", verkündete sie. Ich folgte den anderen Mädchen aus dem Schlafsaal in die kleine Küche, wo der Tisch bereits gedeckt war. 

Nun sah ich das erste Mal auch die Jungs. Sie waren zu meiner Überraschung weniger als die Mädchen. Während wir zusammen mit mir 14 Mädchen waren, saßen da nur neun Jungen am Tisch. Ich wusste selbst nicht, warum mich das überraschte. Vielleicht hatte ich gedacht, Rebellionen waren mehr so ein Jungs-Ding. Andererseits war das hier auch keine richtige Rebellion. Wahrscheinlich waren die meisten männlichen Wesen mit rebellischen Tendenzen einfach den richtigen Rebellen beigetreten und würden demnächst Lacrima zerstören. Tolle Aussichten.

Ich konzentrierte mich lieber wieder auf die Rebellen hier, die den Namen ihres Verhaltens nach gar nicht wirklich verdienten.  "Woher nehmt ihr eigentlich den Strom?", fragte ich Sydney, die neben mir saß, um mich von den düsteren Gedanken über die Zukunft unserer Stadt abzulenken. 

Sie zeigte nach oben. "Solarzellen auf dem Dach. Hochmodern. Die geben genügend Strom für fast alles, was wir brauchen." In ihren Augen spiegelte sich Stolz auf das, was sie und ihre Leute sich aufgebaut hatten. 

Woher nahmen sie dieses ganze Zeug? Am Ende hatten sie wahrscheinlich sogar fließendes Wasser und ein Klo. Verrückt. Aber ich war zugegebenermaßen froh über den unerwarteten Komfort, und so fragte ich nicht weiter nach. 

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Meine Vermutungen bestätigten sich. Sogar eine Dusche gab es - eine ziemlich kleine und schäbige zwar, die nur lauwarmes Wasser zu bieten hatte, weil der Strom für andere Dinge als die Beheizung des Wassers gebraucht wurde, und an deren Wänden Schimmel wucherte, doch es war eine Dusche. Zumindest würde ich nicht stinken, während sie mich dazu zwangen, Menschen für ihre Zwecke umzubringen.

Nachdem ich geduscht und frische Kleider, die mir Sydney gegeben hatte (eine ein wenig zu große Jeans und ein weicher schwarzer Pulli), angezogen hatte, suchte ich nach den anderen Mädchen. Alleine im Bad sitzen wollte ich dann doch nicht, egal, wie vertrauenswürdig die Rebellinnen waren. 

Nach kurzem Suchen fand ich einen Großteil von ihnen im Schlafsaal - vor einem kleinen Fernseher. Das wurde ja immer besser hier. Was kam als nächstes? Eine Musikanlage? eine Discokugel? Kuscheltiere?

Ich begann immer mehr, Jase wirklich zu glauben. Diese Menschen hier wirkten nicht, als wollten sie eine Revolution starten. 

Blue bemerkte mich als Erste. "Hey, komm, setz dich. Sie bringen gerade die neuste Folge von Opfer der Technik", sagte sie. Ich setzte mich neben sie auf eine der Matratzen, die am Boden lagen und sah den Fernseher an.

"Äh, was ist Opfer der Technik?", fragte ich. Ich hatte keine Ahnung von Fernsehshows. 

"Das ist eine Show, in der Leute versuchen, Dinge aus dem vergangenen Jahrhundert zusammenzubauen. Von Auto bis hin zu alten Fernsehern ist alles dabei. Und gleichzeitig müssen sie Fragen über das beantworten, was sie da zusammenbauen", kam ein dunkelblondes Mädchen namens Elara Blue zuvor.

Ich lächelte in mich hinein, während ich mit den Anderen auf den Matratzen saß und die Sendung ansah, die gar nicht mal so schlecht war. Doch vielmehr als auf Opfer der Technik achtete ich auf die Leute um mich herum. Nach allem, was ich in Lacrima erlebt hatte, nach allen Strapazen, die ich in den letzten Wochen auf mich genommen hatten, war es kaum zu glauben, dass tatsächlich ein Ort existieren sollte, wo Leute mit den verschiedensten Haut-, Haar- und Augenfarben sich zusammen eine Fernsehshow ansahen und sich dabei bestens verstanden. 

Vielleicht konnte ich ja tatsächlich hier bleiben. Vielleicht war das hier tatsächlich ein besserer Ort als Lacrima. 

Vielleicht sollte ich Jase sogar dankbar sein, dass er mich hierher gebracht hatte.


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