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"Mira!"

Ich schreckte aus meinem unruhigen Schlaf hoch und sah mich um. Niemand zu sehen. Seltsam. 

Im Glauben, lediglich geträumt zu haben, legte ich mich wieder hin und schloss die Augen. Doch da war es wieder: eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. "Mira!"

Verwirrt setzte ich mich auf. Hatte ich Halluzinationen? Mir war ja klar, dass die Zeit hier in dieser isolierten Zelle nicht gut für meinen psychischen Zustand sein konnte, aber das?

"Hallo?", fragte ich dennoch probehalber.

"Mira! Komm. Hierher." Und dann hörte ich etwas, was auf Metall schlug. Es kam von ... ja, von wo kam es eigentlich? Das einzige Metall, das ich in diesem Raum sehen konnte, war das Gitter, das meine Toilette bildete. Ich atmete tief durch und ging näher heran.

"Hallo?", fragte ich abermals. 

"Mira, ich bin es, Jase. Schnell, öffne das Gitter und klettere hinunter, bevor sie es über die Überwachungskameras sehen", kam es von der anderen Seite des Gitters. Dann hastige Schritte, als würde jemand eine Leiter hinunterklettern.

Ich sah mich hektisch um. Ich hatte keine Wahl. Wenn ich nicht aus Lacrima verbannt werden wollte, musste ich Jase vertrauen. Schnell griff ich mit beiden Händen nach dem Gitter - und rutschte erstmal ab. Angewidert verzog ich das Gesicht, doch das hinderte mich nicht daran, erneut nach den Stäben zu greifen und mit aller Kraft daran zu ziehen. 

Das Gitter gab plötzlich nach und ich wäre beinahe nach hinten gefallen. Ich legte es beiseite und sah hinunter. Alles, was ich sehen konnte, war Dunkelheit, zumindest im ersten Moment, doch dann leuchtete eine Taschenlampe von unten herauf und ich sah Leitersprossen, die in die Wand eingelassen waren. 

Abermals Schritte, doch nun kamen sie nicht mehr von Jase, sondern von dem Flur vor meiner Zelle. Schnell kniete ich mich hin und begann zu klettern. Einige Male rutschte ich beinahe ab, doch ich kletterte trotzdem weiter, für Angst hatte ich jetzt keine Zeit. Die Schritte oben wurden leiser, je weiter ich nach unten kletterte, doch ich konnte sie trotzdem noch hören, über das beständige Rauschen unter mir hinweg. 

Und je weiter ich nach unten kletterte, desto mehr stank es. Mir drehte sich beinahe der Magen um. Das war ja mal widerlich. 

Als dann oben die Tür zu meinem Zimmer aufgestoßen wurde, ließ ich mich einfach fallen, in der Hoffnung, dass ich ins Wasser fallen würde. So weit konnte es nach unten auch nicht mehr sein, dachte ich, und ich hatte recht. Deswegen war es auch nicht schlimm, dass ich nicht ins Wasser fiel, sondern geradewegs auf Jase. Wir fielen gemeinsam auf den Boden und die Taschenlampe fiel ihm aus der Hand. Ich sah den Lichtkegel von uns weg rollen, dann ein platschendes Geräusch und es war dunkel um uns herum.

"Danke", flüsterte ich.

Jase gab ein leises Stöhnen von sich. "Gerne. Geh bitte von mir runter."

"Natürlich." Hastig sprang ich auf die Füße und streckte meine Hand nach unten, in die Richtung, wo ich Jase vermutete. "Tut mir leid wegen der Taschenlampe."

"Nicht schlimm. Ich habe hier noch irgendwo ..." Er wühlte in irgendetwas, ich vermutete eine Tasche, knickte etwas, und dann sah ich sein Gesicht im pinkfarbenen Schein eines Leuchtstäbchens. 

"Dein Ernst?" Wäre diese Situation nicht voll und ganz unkomisch gewesen, hätte ich lachen müssen. 

"Mein voller Ernst. Diese Dinger sind platzsparend und praktisch. Aber leider halten sie nicht lange. Also komm. Wir müssen los."

.

.

"Wie lange dauert es noch?"

"Etwa eine Stunde, dann sollten wir da sein."

"Wo ist da?"

"Siehst du dann."

*Schweigen*

"Also, Jase, wie ist es dir so ..."

"Psst. Sprich leiser. Es gibt das Gerücht, dass hier unten Menschen leben."

"Wenn es hier ein wenig heller wäre, könntest du meinen entsetzten Gesichtsausdruck sehen."

"Ganz ruhig. Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich. Aber trotzdem sollten wir vorsichtig sein."

*Schweigen*

"Was war das?"

"Was?"

"Dieses Geräusch."

"Ich habe nichts gehört."

"Doch, ganz sicher. Da war etwas."

"Ich hätte dir das mit den Menschen nicht erzählen sollen."

*Schweigen*

"Was ist das da drüben?"

"Ich sehe nichts."

"Doch, dort, dort hat sich etwas bewegt."

"Willst du mir Angst machen, Jase?"

"Nein, da war wirklich was."

"So viel zu 'Ich hätte dir das mit den Menschen nicht sagen dürfen'."

"Erzählen."

"Was?"

"Ich hätte dir das mit den Menschen nicht erzählen dürfen. Nicht 'nicht sagen dürfen'."

"Ist doch egal."

*Schweigen*

*Platsch*

"Was war das?"

"Ein Platsch."

"Ich weiß. Aber was ist hier unten, was platsch machen könnte?"

"Etwas, was ins Wasser fällt."

"Und das wäre?"

"Eine Ratte?"

"Eine Ratte, die ins Wasser fällt?"

*Schweigen*

"Sind das da drüben Augen?"




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