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"Hallo. Ich bin Sydney." Das Mädchen, das uns die Tür eines großen, zerfallenen Hauses geöffnet hatte, strahlte uns an und zeigte dabei die kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen. "Schön, dass du hier bist, Mira."

Sie hatte eine angenehme Stimme, weich und melodisch. Und ihr Aussehen war das einer Beta: Glänzende schwarze Haare und mandelförmige braune Augen mit kleinen goldenen Sprenkeln. Unwillkürlich fragte ich mich, was sie dazu getrieben haben mochte, Rebellin zu werden.

Auch sie musterte mich von oben bis unten, und sofort fühlte ich mich unwohl. Mit meinen ungepflegten blond gefärbten Haaren, die von meiner Mutter mit der Küchenschere schulterlang geschnitten worden waren (ich hätte in meiner kurzen Zeit als Alpha echt mal den automatischen Friseurstuhl benutzen sollen, den ich im Bad meines neuen Hauses gefunden hatte) und meinen schmutzigen Kleidern sah ich im Moment sicher auch nicht gerade hübsch aus. Von dem leichten Geruch nach Kanalisation, der mich umwehte, ganz zu schweigen.

Aber Sydneys Lächeln blieb unverändert. "Jase hat mir von dir erzählt. Er hat gesagt, er müsse dich unbedingt da rausholen. Ich meine, er wäre kurz davor beinahe getötet werden, aber er wollte dich unbedingt befreien."

Seltsamerweise freute mich das. 

Wir folgten Sydney ins Haus.
Von drinnen sah es viel besser aus als von draußen. Der Fußboden war aus dunklem Holz und knarzte, wenn man auf bestimmte Stellen trat, aber er sah sauber aus und nirgends waren Löcher zu sehen. Ich fragte mich, ob es Echtholz war. Eine altmodische Tapete blätterte von den Wänden ab. Sydney erklärte beiläufig, dass die Tapete noch vom Vorbesitzer stammen würde und sie dran wären, sie zu entfernen.

Oben an der Decke hingen altmodische zylinderförmige Lampen aus verstaubtem Glas und tauchten den Raum in ein helles Licht.
Mir fiel auf, dass sich in den Glaszylindern Glühbirnen befanden. Heute benutzte man keine Glühbirnen mehr. Sämtliche Lampen wurden aus einem selbstleuchtenden, energiesparenden Kunststoff hergestellt. Das war viel günstiger.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Glühbirne sah, und ich war irgendwie fasziniert, auch wenn es an sich nichts Besonderes war. 

Sydney bemerkte meinen erstaunten Blick. "Ja, die Lampen hier sind echte Antiquitäten", sagte sie mit einem leisen Lachen. 

Wir befanden uns in einem Flur. Links und rechts von uns befanden sich je zwei Türen, am Ende des Flurs führte eine Wendeltreppe nach oben. Die Treppenstufen sahen ziemlich zerschlissen aus, eine fehlte sogar. Ich wusste nicht, ob die Rebellen die Treppe noch benutzten; ausprobieren wollte ich sie jedenfalls nicht. 

"Hier ist das Schlafzimmer der Mädchen." Sydney wies mit einer ausschweifenden Handbewegung auf die erste Tür links. "Das Schlafzimmer der Jungs." Erste Tür rechts. "Die Küche." Zweite Tür links. "Und das Bad." Zweite Tür rechts. "Oben sind der Vorratsraum, der Computerraum und der Aussichtspunkt." Sydney deutete auf die Treppe. Scheinbar wurde sie also tatsächlich noch benutzt. 

"Aussichtspunkt?", fragte ich verständnislos.

Sie verzog das Gesicht. "Von dort oben sieht man am besten, wann die Polizei kommt. Oder die andere Rebellengruppe. Die sehen uns als Feinde an und fürchten, dass wir in Wirklichkeit für die Regierung arbeiten oder so."

Rebellen. Schon nur das Wort zu hören war seltsam und erinnerte mich wieder daran, wo ich mich hier befand. Ich musste mich bemühen, nicht das Gesicht zu verziehen. 


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