Kapitel 9

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Heute war Sonntag und da ich nichts zu tun hatte, war ich nach draußen gegangen. Dieses mal hatte ich auch mein Handy da, um jemanden anzurufen, falls ich mich wieder verlaufen sollte. Ich ging auch gar nicht soweit, sondern blieb in der Nähe vom Haus an einem Spielplatz stehen und beobachtete für einen Moment die Kinder. Ein Lächeln legte sich an meine Lippen, denn sie waren so klein und unschuldig, was sie einfach nur süß machte.

Als ich mich genauer umschaute, wurde meine Miene ernster, denn Liam saß ganz alleine auf einer Bank und beobachtete ebenfalls die Kinder oder war in seinen Gedanken vertieft. Ich weiß nicht, ob es eine gute oder schlechte Idee war, aber ich näherte mich zu ihm und setzte mich einfach neben ihn, dabei sah ich ihn gar nicht an. Er bemerkte mich wohl, denn für ein paar Sekunden konnte ich seinen Blick auf mir spüren, der auch sogleich wieder verschwand.

Plötzlich kam ein kleines Mädchen zu uns angerannt und blieb genau vor uns stehen. Sie strahlte übers ganze Gesicht, wobei ich einfach nicht anders konnte und genauso zum lächeln begann. Meine Augen wanderten kurz zu Liam rüber und er blickte das Mädchen genauso an, jedoch hatte sich sein Ausdruck nicht verändert und das konnte ich nicht verstehen. Die Kleine achtete aber anscheinend nicht darauf, denn sie ging einen Schritt auf Liam zu und deutete ihm seine Hand aufzumachen, die noch immer mit dem Verband eingewickelt war. Als er schließlich ihrer Anweisung folgte, legte sie eine kleine Blume in seine Handfläche und kam dann auf mich zu. Das gleiche verlangte sie von mir und ich bekam auch eine schöne Blume. Zum Schluss winkte sie uns glücklich zu und lief wieder zu ihrer Mutter.

Ich blickte erneut zu ihm und er starrte die Blume an bis er schließlich seine Hand schloss. Er schaute dem kleinen Mädchen hinterher und ich fragte mich mal wieder, was durch seinem Kopf ging, denn ich konnte einfach nicht erahnen an was er dachte. Auf einmal drehte er sich um und sah mir direkt in die Augen, wobei ich nicht anders konnte und ihn einfach anstarrte. Seine Augen sagten so viel, aber kein Ton verließ seinen Mund und damit machte er mich nur noch neugieriger.

"Kann ich dich etwas fragen?", kam es einfach über meine Lippen und er nickte stumm.

"Wie geht es dir?", fragte ich und Verwirrung bildete sich in seinem Gesicht.

Ich hatte ihm diese Frage nicht einfach so gestellt, um ein Gespräch mit ihm zu beginnen, ich hatte ihm diese Frage gestellt, weil ich wirklich wissen wollte wie es ihm ging. Nachdem er das Fenster mit einem Stuhl eingeschlagen hatte und ich nicht einmal wusste, warum er das getan hatte, interessierte es mich wie es ihm ging. Er hatte ein Problem, vielleicht sogar mehrere, doch er verschloss sie in sich, sowie seine Gefühle.

"Warum interessiert dich das?", wollte er wissen und sah mich dabei genau an.

"Weil ich selbst nicht einschätzen kann, ob es dir gut oder schlecht geht", antwortete ich ehrlich und damit verwirrte ich ihn anscheinend nur noch mehr.

"Du solltest mit mir nicht reden", war alles, was er sagte und wollte gehen, jedoch ließ ich es nicht zu.

"Und du solltest nicht wegrennen", meinte ich und brachte ihn zum stoppen.

Er drehte sich um und sah mich für einen Moment nachdenklich an. Eigentlich hätte ich gedacht, dass er wieder gehen würde, doch er setzte sich neben mich und starrte stur nach vorne, weshalb ich darüber schmunzeln musste. Liam war mir noch immer ein Rätsel, jedoch würde ich stundenlang an diesem Rätsel sitzen bis ich es geknackt hätte.

"Du hast meine Frage noch immer nicht beantwortet", erinnerte ich ihn, worauf er still blieb und ich wartete.

"Gut", sagte er schließlich.

"Du lügst", stellte ich fest und er blickte mir in die Augen.

"Und du redest zu viel", meinte er, worauf ich die Augen rollte und er wieder weg sah.

"Dafür redest du zu wenig", sprach ich.

"Ich mag es nicht zu reden", sagte er und klang sehr ruhig.

"Ist mir schon aufgefallen", murmelte ich, wobei er mich wieder anschaute.

"Warum versucht du dann mit mir zu reden?", fragte er verständnislos.

"Ich weiß es nicht", antwortete ich und er schüttelte leicht den Kopf.

"Du bist ein sehr komisches Mädchen", meinte er schließlich und ich begann einfach nur zu lächeln, dabei blickte ich wieder zu den Kindern, doch konnte seinen Blick weiterhin auf mir spüren.

Vielleicht war ich ein komisches Mädchen, doch es war noch komischer mit ihm hier zu sitzen. Wenn mich Jack mit ihm gesehen hätte, wäre er wahrscheinlich ausgeflippt und auf einer Weise konnte ich seine Sorge verstehen, jedoch kannte er Liam gar nicht. Ich selbst kannte ihn nicht, aber mein Gefühl sagte mir das er kein schlechter Mensch war und ich wollte daran glauben. Innerlich warnte ich mich selbst vor ihm, aber ich wollte ihn unbedingt selbst kennenlernen, auch wenn er es vielleicht nicht einmal wollte, doch ein Versuch war es Wert.

"Ich habe noch eine Frage", sprach ich schließlich und seine Aufmerksamkeit lag wieder auf mir.

"Und die wäre?", wollte er wissen und sah mich dabei an.

"Als wir uns in die Wiese gelegt hatten, da bin ich wohl eingeschlafen und an mehr kann ich mich nicht erinnern. Hast du mich rein getragen?", fragte ich und für ein paar Sekunden blickte er mir stumm in die Augen.

"Ja", antwortete er.

"Warum hast du mich nicht geweckt?", war ich neugierig und er schnaubte.

"Du stellst zu viele Fragen", meinte er und drehte sich um.

"Gut, dann bin ich eben leise", murmelte ich und verschränkte beleidigt die Arme vor die Brust.

Unauffällig sah ich immer wieder zu ihm rüber, aber er saß einfach ganz ruhig auf der Bank und beobachtete die kleinen Kinder, die glücklich miteinander spielten. Desto länger ich ihn dabei anschaute, verfiel ich in eine Starre und konnte meine Augen nicht von ihm nehmen. Beim genauem hinsehen, erkannte ich eine Narbe an seinem Hals, weshalb ich verwirrt die Augen verengte. Ich fragte mich vorher die Narbe kam, denn sie sah sehr tief aus, doch länger konnte ich nicht darüber nachdenken, denn er riss mich aus meinen Gedanken.

"Frag", verlangte er und ich sah ihn verwirrt an.

"Was?", fragte ich.

"Du starrst mich die ganze Zeit an, also hast du wohl eine Frage", erklärte er und dabei merkte ich wie mir die Röte ins Gesicht stieg, denn er hatte die ganze Zeit bemerkt, dass ich ihn angestarrt hatte.

Oh Gott, war das peinlich.

"Eh ja, woher hast du die Narbe an deinem Hals?", wollte ich wissen und irgendwie wurde seine Miene wütend.

"Das geht dich nichts an", sagte er kalt und ging einfach ohne was weiteres zusagen.

Verständnislos blickte ich ihm hinterher und konnte seine Reaktion zuerst nicht nachvollziehen, doch schließlich verstand ich es. Wie ich es vermutet hatte, hatte Liam Wunden mit Erinnerungen und anscheinend hatte ich eine getroffen, die ich lieber nicht anrühren sollte.

Die AugenWhere stories live. Discover now