Kapitel 70

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"Liam", flüsterte ich und war wie in eine Trance gefallen.

Mit aufgerissenen Augen starrte ich nach vorne und fühlte im Moment rein gar nichts. Niemand bewegte sich von der Stelle und alle Blicke waren auf die beiden gerichtet. Plötzlich beschleunigte sich mein Herzschlag und es fühlte sich so an, als ob ich keine Luft mehr bekommen würde. Aus Reflex griff ich nach Jayden seinem Arm, der ebenso kein einziges Wort raus brachte.

Liam sein Griff lockerte sich langsam, um Ace's Kragen, der ihn weiterhin amüsiert ansah. Er ging einen Schritt zurück und anschließend blickte er auf seinen Bauch, wo er vorsichtig hin fasste. Als er seine Hand anschaute, war diese voll mit Blut verschmiert. Auf einmal schwankte er und suchte einen Halt außen am Ring. Er konnte sich aber nicht mehr festhalten, weswegen er das Gleichgewicht verlor und rückwärts auf den Boden fiel.

Das ließ mich aus meiner Starre erwachen, weswegen ich eilig auf die Matte stieg und zu ihm rannte. Sofort kniete ich mich neben ihn und hatte keine Ahnung, was ich nun machen sollte. Die Jungs waren mir gefolgt und anscheinend war Hunter der einzige von uns, der klar denken konnte, denn er rief direkt einen Krankenwagen her.

"L-Liam", stotterte ich und war den Tränen nahe.

Verzweifelt griff ich nach seiner Hand und blickte in seine wunderschönen Augen, die mich die ganze Zeit beobachteten. Ein schwaches Lächeln zierte seine Lippen und ich fragte mich wie er in dieser Situation so ruhig sein konnte. Meine andere Hand fasste vorsichtig zu seinen Haaren, denn einzelne Strähnen klebten ihm an die Stirn, die ich ihm weg strich. Eine einsame Träne lief meine Wange entlang und ich schloss für einen Moment meine Augen.

"M-Mir geht es g-gut", hörte ich ihn sagen, worauf ich ihn erneut ansah.

"Verlass mich nicht", flüsterte ich.

"N-Niemals", versprach er und hielt schwer die Augen offen.

Als der Krankenwagen endlich kam, transportierten sie Liam auf eine Liege und brachten ihn in den Wagen. Bevor ich mit den Jungs ging, blieb ich stehen und suchte nach Ace. Er stand an derselben Stelle und zeigte keinerlei von Emotionen mehr. Eine unkontrollierte Wut stieg in mir auf und ich stellte mich vor ihn. Seine Augen starrten ins Leere und anscheinend bemerkte er mich gar nicht. Automatisch hob sich meine Hand und ich verpasste ihm eine Ohrfeige. Sein Kopf flog nach rechts und er verharrte in dieser Position, jedoch reagierte er trotzdem nicht auf mich.

"Wie kannst du sowas nur machen?!", schrie ich aufgebracht und fassungslos zugleich, dabei schubste ich ihn zurück.

"Liebst du es so sehr mir die Menschen wegzunehmen, die ich liebe?", fragte ich unter Tränen.

"Sag schon!", forderte ich ihn auf und schubste ihn erneut, aber er starrte weiterhin auf den Boden.

"E-Er war dein bester Freund, verdammt", sagte ich, denn ich konnte wirklich nicht verstehen wie man sowas tun konnte.

"Ich hasse dich, Ace", waren meine letzten Worte an ihn, weshalb er mich diesmal ansah und anschließend von der Polizei verhaftet wurde.

Im Krankenhaus saß ich vor dem Operationssaal im Gang und wartete zusammen mit den Jungs. Eine große Stille herrschte zwischen uns und niemand traute sich den Mund aufzumachen. Wahrscheinlich lag es daran, dass niemand so genau wusste, was er überhaupt sagen sollte. In wenigen Minuten würde Levin hier auftauchen und ich konnte mir schon vorstellen wie er sich fühlte.

Schon seit einer halben Stunde starrte ich diese verdammte Tür an und bewegte mich nicht von der Stelle. Sekunden vergingen und es war eigentlich zum Durchdrehen, aber ich saß hier ganz ruhig. Ich wusste nicht, warum ich so war, aber was anderes würde mir nichts bringen. Es fühlte sich aber trotzdem komisch an hier zu warten. Wegen Liam musste ich schon öfters ins Krankenhaus gehen und er hatte immer schlimme Verletzungen gehabt, aber diesmal war es anders.

Er konnte sterben.

Bei dem Gedanken schloss ich meine Augen und versuchte nicht schlecht zu denken. Eine Träne lief meine Wange entlang, die ich nicht stoppen konnte. Verzweifelt ließ ich meinen Kopf hängen und starrte meine Hände an, die zum Zittern angefangen hatten. Langsam schüttelte ich den Kopf und versuchte stark zu bleiben, denn eine andere Wahl hatte ich nicht. Ich durfte nicht ausrasten. Im selben Moment bemerkte ich wie sich jemand neben mich setzte. Verwirrt blickte ich hoch und entdeckte Levin neben mir. Meine Augen wanderten zu den Jungs, die angelehnt an der Wand standen und etwas besorgt den älteren Black neben mir beobachteten. Die Stille fühlte sich nun unangenehm an und als ich erneut zu Levin schaute, zerbrach es mir das Herz, als ich Tränen in seinen Augen erkannte. Er hatte Angst um seinen Bruder. Ohne länger darüber nachzudenken, lehnte ich den Kopf an seine Schulter und damit wollte ich ihm zeigen, dass er nicht alleine war. Wir beide litten und ich konnte seinen Schmerz verstehen, denn ich hatte vielleicht keinen Bruder, aber dafür eine Schwester.

"Wo ist er?", hörte ich eine männliche Stimme plötzlich fragen, weswegen ich verwirrt den Kopf hob.

Levin sein Vater kam panisch den Gang entlang gelaufen und blieb atemlos vor uns stehen. Er schaute seinen älteren Sohn an, der kein Wort rausbrachte und stumm auf den Boden sah. Seine Augen schmierten voller Angst und für einen Augenblick fragte ich mich wie er noch an sein Kind dachte? Liam hatte mir erzählt wie dieser Mann sie alle behandelt hatte, aber trotzdem war er hier. Vielleicht versuchte er sich zu ändern, jedoch war mir bewusst, dass er die Wunde in Liam niemals heilen könnte.

Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, aber ich wurde unterbrochen. Auf einmal rannten mehrere Krankenschwester aus dem Operationssaal raus und ich spürte wie sich mein Herzschlag schlagartig beschleunigte. Sofort stand ich vom Stuhl auf, was mir Levin gleich tat. Wir alle blickten verwirrt zu ihnen und bevor eine weitere eilig davon laufen konnte, hielt ich sie an ihrem Arm fest.

"Geht es Liam gut?", fragte ich ängstlich.

"Sein Herz ist stehen geblieben", antwortete die Krankenschwester und löste sich aus meinem Griff.

Die AugenWhere stories live. Discover now