Kapitel 59

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Als mich die Kleine nun genauso ansah, begannen ihre Augen zu strahlen. Ein breites Lächeln legte sich an ihre Lippen und da es so ansteckend war, konnte ich einfach nicht anders und erwiderte es. Sie löste sich langsam von ihrem Bruder, der sie runter ließ und sich verwirrt zu mir umdrehte. Seine Augen wanderten wieder zu ihr, denn sie kam auf mich zu und stellte sich direkt vor mich.

"Ich bin Rosalie, aber du darfst mich auch Rose nennen", stellte sie sich vor, worauf ich auf die Hocke ging, sodass wir auf Augenhöhe waren.

"Freut mich dich kennenzulernen Rose und ich bin Aria", lächelte ich sie an.

Sie schien kurz nachzudenken bis sie plötzlich einen Schritt auf mich zu kam und sich zu mir runter beugte. Ich vermutete, dass sie mir etwas sagen wollte, was aber niemand mitbekommen sollte. Meine Augen wanderten dabei zu Liam, der uns mit einem undefinierbaren Blick beobachtete. Als ich kurz zu der Mutter schaute, blickte sie mich mit einem neugierigen und dagegen Mr Black mich mit einem völlig neutralen Ausdruck an, da wir uns schon einige Male begegnet waren und das leider nicht in guten Umständen.

"Ich erinnere mich an dich", riss mich Rose aus meinen Gedanken, wofür ich sie stumm ansah.

"Du bist meine Retterin", flüsterte sie und das brachte mich zum Schmunzeln.

Anscheinend hatte Levin unser kleines Gespräch mitbekommen, denn dieser betrachtete uns grinsend. Nachdem er sie schließlich auch in die Arme zog, richtete ich mich wieder auf und blickte zu Liam, dessen Augen schon auf mir lagen. Plötzlich streckte er seine Hand nach mir aus und für einige Sekunden starrte ich diese an. Derweil brachte Levin unauffällig seine kleine Schwester aus dieser unangenehmen Situation weg, sodass wir nur noch zu viert hier standen.

Ich löste mich aus meiner Starre und näherte mich zu Liam, dabei legte ich meine Hand in seine. Sein Griff war fest um meiner und als er sich zu seinem Vater umdrehte, konnte ich die Unruhe in seinen Augen erkennen. Er versuchte sich zu beherrschen und schaffte es auch in dem er mit mir stumm an ihm vorbei ging, jedoch brachte ihn die Stimme seines Vaters zum Stehen.

"Liam", begann dieser.

"Ich bin nur wegen Rose gekommen", erklärte er, worauf Liam sich umdrehte und ihn mit solchem Hass ansah, was mir sogar eine Gänsehaut bereitete.

"Der einzige Grund, warum du auch hier reingehen kannst, ist wegen sie, denn für mich bist du gestorben, als meine Mutter aufgehört hat zu atmen", sagte er wütend, aber ich konnte trotzdem den Schmerz aus seiner Stimme heraus hören.

Nach diesen Worten zog er mich weiter, weswegen ich ihm stumm hinterher folgte. Er war wütend und das konnte ich allein an seiner Körperhaltung erkennen. Aus diesem Grund blieb ich still. Einige Minuten später blieb er in der Nähe eines Spielplatzes stehen und setzte sich auf eine leere Bank. Vorsichtig nahm ich neben ihm Platz, dabei wanderten meine Augen automatisch zu ihm. Irgendwie wollte ich mich zu ihm nähern und ihn in die Arme schließen, aber er brauchte erst einmal seine Ruhe.

"Weißt du, warum meine Mutter Selbstmord begangen hat?", unterbrach er die Stille und starrte auf den Boden, dabei krallte er seine Hände links und rechts in die Bank.

"Du musst es mir nicht erzählen", sagte ich und er schüttelte leicht den Kopf.

"Ich will es", meinte er und machte eine kleine Pause, bevor er zum Sprechen begann.

"Ich war noch klein und die blauen Flecken an ihren Armen konnte ich nicht verstehen. Ihre aufgeplatzte Lippe war für mich bedeutungslose wie ihr blaues Auge, was sie öfters hatte. Das sie fast nie aus dem Haus raus ging, stach mir nie ins Auge. Als sie Abends im Zimmer ihre Seele aus dem Leib schrie, ignorierte ich. Das alles...i-ich wusste nicht, dass meine Mutter litt", erzählte er kraftlos und ließ verzweifelt den Kopf hängen.

Mein Herz zerbrach bei seinem Anblick und am liebsten hätte ich ihn sofort umarmt. Er sah nämlich wie ein kleiner und verletzter Junge vor meinen Augen aus. Eine Träne lief meine Wange entlang und ich wollte ihn an der Schulter anfassen, jedoch traute ich mich nicht und zog sie wieder weg. Das war nämlich nicht alles, was er mir zu erzählen hatte. Eigentlich wollte ich gar nicht weiter zu hören, denn es war einfach nur schrecklich, was dieser armen Frau passiert war. Sie war zu schwach, um sich selbst zu helfen und zu schwach, um weiter zu leben.

"Diese Frau, die du heute gesehen hast, ist meine Stiefmutter", lachte er, jedoch war es kein richtiges Lachen.

"Meine Mutter hatte sich nicht nur umgebracht, weil sie geschlagen wurde, denn sie hatte sich auch verarscht und hintergangen gefühlt. Dieser Mistkerl hatte...meine Mutter nämlich mit dieser Frau betrogen", sprach er weiter und mein Mund öffnete sich leicht vor Schock.

"Als ich 16 war, kam er eines Tages mit ihr ins Haus und erklärte sie uns, als seine Ehefrau. Levin sagte rein gar nichts dazu, aber ich verstand ihn nicht. Ich war der Einzige, der sich in dem Moment aufregte. Ich schrie sie an, warum sie sowas bescheuertes machte. Ich erzählte ihr sogar, was er mit meiner Mutter angestellt hatte. Aber weißt du, was sie mir darauf antwortete?", fragte er und ich konnte Tränen in seinen Augen erkennen, die er aber noch zurückhielt.

"Das sie alles wüsste. Fest hielt sie diese Hand. Die Hand eines Monsters. Diese Hände, die...m-meiner Mutter das Leben genommen hatten", konnte er es noch bis heute nicht fassen und ich verstand ihn vollkommen.

"Levin und ich sind ausgezogen, denn mit ihnen hätte ich keine weitere Sekunde bleiben können. Ich wollte ihn aus meinem Leben endgültig löschen, als ob er nie existiert hätte, aber dann kam Rose auf die Welt. Sie ist das Einzige, was mich zu ihm verbindet und mich davon abhält ihn nicht eigenhändig umzubringen", war er verzweifelt und vergrub sein Gesicht in den Händen.

"Aria, warum hört es nicht auf weh zu tun?", fragte er plötzlich und dabei sah er mich an.

Er schaute mich mit einem solch verletzten Blick an, was mich sprachlos ließ. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, weshalb ich ihn ganz fest umarmte. Am Ende mit seinen Gefühlen krallte er sich an mich, als ob er einen Halt suchen würde. Noch nie hatte ich Liam so zerstört gesehen und es tat einfach nur weh. Seine Tränen konnte ich an meiner Schulter spüren, weswegen ich meine Augen schloss und mit ihm weinte. So gut wie es ging, drückte ich ihn fester an mich, denn er sollte wissen, dass ich bei ihm war.

"Ich vermisse sie so sehr", flüsterte er und ich schwieg, denn die Stille wurde nun von unseren Tränen übernommen.

Die AugenWhere stories live. Discover now