Kapitel 44

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Liam's Sicht

Es war ungefähr eine Stunde vergangen und ich saß draußen auf einen der Sitze, die im Gang waren. Als der Arzt noch einmal gekommen war, informierte mich dieser darüber, dass Aria mit einem Helikopter nach New York zurückgebracht werden würde. Ihre Lage verschlechterte sich jede Sekunde, weswegen sie so schnell wie möglich ihr eigener Arzt sehen musste.

In meiner Hand hielt ich ihr Handy und blickte verzweifelt darauf, denn immer wieder wurde sie von Hope oder einem Jungen names Daniel angerufen. Ich konnte mich nicht überwinden, dran zugehen und ihnen etwas zu erklären, aber sie machten sich Sorgen um sie. Die Nachrichten von Hope wurden immer mehr und so langsam tat sie mir Leid. Am Ende nahm ich schließlich ihren Anruf entgegen und blieb zuerst still, denn sie ließ mich gar nicht reden.

"Aria, wo bist du verdammt?! Weißt du wie wir uns Sorgen, um dich gemacht haben?! Warum sagst du uns nichts?! Wie kannst du du dich bitte aus dem Haus schleichen und warum überhaupt?! Das war echt nicht witzig und sag doch endlich etwas!", schrie sie leicht wütend in den Hörer.

"Aria, ist im Krankenhaus", sagte ich direkt und eine kurze Stille herrschte in der anderen Leitung.

"W-Was? Wer bist du?", wollte sie schließlich wissen.

"Liam", beantwortete ich ihre Frage und wieder blieb sie für einige Sekunden leise.

"Was ist mit Aria?", fragte sie nun und ich konnte die Besorgnis aus ihrer Stimme heraushören.

"Ihr geht es schlechter...viel schlechter", erklärte ich.

"Ich komme sofort", war das Einzige, was sie noch sagte und auflegte.

Gedankenverloren starrte auf die Wand und hatte Angst. Das letzte Mal, als ich in solch einem Zustand geriet, war der Tod meiner Mutter. Ich schloss meine Augen an diesem Gedanken und mein Puls beschleunigte sich automatisch. Als ich an dem Tag in ihr Zimmer hereinplatzte, war es schon zu spät, denn der Stuhl unter ihren Füßen fiel zu Boden und ich hatte in dem Moment gelacht. In meinem Alter war ich noch zu klein, um zu verstehen, was passierte. Ich lachte darüber, weil ich dachte, dass sie mir etwas vorspielte. Auf ihrer Kommode sah ich ihre Halskette liegen, die ich in die Hand nahm und mich anschließend auf den Boden setzte. Lächelnd blickte ich zu ihr hoch und stellte sie mir wie auf ihrer Kette mit Flügeln vor, weil sie in der Luft schwebte.

Erst später, als wir im Krankenhaus waren und ich genauso wie jetzt auf einem Stuhl saß, fragte ich mich, was los war. Verwirrt blickte ich auf meine rechte Seite, wo weinend Levin neben mir saß, jedoch hatte ich in dem Moment seine Tränen nicht verstanden. Allgemein fand ich es komisch, das wir plötzlich im Krankenhaus waren. Ich wollte nicht mehr das er weinte, weshalb ich nach seiner Hand griff und er mir direkt in die Augen schaute. Er hatte sich ein wenig beruhigt und als ich wissen wollte, was los war, erklärte er mir das unsere Mutter nun wirklich ein Engel war.

Mit der Zeit verstand ich, was diese Worte bedeuteten. Meine Kindheit war in diesem Zeitpunkt zerstört, denn ich hatte sie verloren. Ich begann mir selbst die Schuld zu geben, denn wenn ich nicht so dumm gewesen wäre, hätte ich nach Hilfe rufen können. Sie hätten meiner Mutter vielleicht helfen können, aber ich hatte nichts getan. Meine Schuldgefühle, waren aber vergangen, als ich diesen Mann besser kennenlernte. Wegen dem Mann, der leider mein Vater war, verstand ich, dass es ganz allein seine Schuld war.

Meine Mutter hatte sich das Leben wegen ihm genommen. Sie hatten oft gestritten und einige Male hatte ich sogar gesehen wie er sie schlug. Als er schließlich niemanden anderen mehr hatte, fing er natürlich an Levin und mir das Leben schwer zumachen. Am Anfang schrie er uns nur an, aber danach begann er auch uns zu schlagen. Ich war schwach ihm gegenüber und er hatte die volle Macht. Meinen ersten Schlag würde ich nie vergessen. Levin hatte oft versucht mich zu beschützen, aber er selbst war zu kraftlos, um ihn davon abzuhalten. Desto älter ich wurde, verstand ich schließlich, warum meine Mutter von uns gegangen war. Sie bekam alles ab und schützte uns vor dem Monster, doch auch sie verlor ihre Kraft. Niemals war ich deshalb auf sie wütend, aber ich war traurig, dass sie uns alleine gelassen hatte. Wie sehr ich meine Mutter liebte, so sehr hasste ich ihn.

"Wo ist Aria?!", riss mich eine panische Stimme aus meinen Gedanken, weshalb ich hochblickte.

"Geht es ihr gut?", fragte Hope.

"Jetzt gerade schon", antwortete ich und sah zu dem Jungen, der wahrscheinlich Daniel sein musste.

Als ich die beiden darüber informierte, das Aria mit einem Helikopter nach New York zurückgebracht werden würde, war es auch schon soweit. Nach einigen Stunden waren wir angekommen und zu unserem Glück durften wir mitfliegen. Was mich etwas störte, war dieser Daniel, der genauso mitgekommen war. Auch er war anscheinend von mir nicht begeistert, denn er blickte mich ebenso nicht erfreut an. Im Krankenhaus rief Hope Jack an und erklärte ihm die Situation, weshalb jede Sekunde ihre Familie hier auftauchen könnte.

Ich überlegte, ob ich bleiben oder gehen sollte, denn Aria würde mich hier nicht wollen. Noch immer schlief sie tief und fest, was an den Medikamenten lag die sie bekommen hatte. Der Arzt war auch schon bei ihr gewesen, jedoch sagte er uns nichts und wartete anscheinend auf ihre Familie. Etwas weiter weg saß ich auf einen der Stühle und starrte ins Leere. Hope und Daniel warteten neben ihrer Zimmertür. In dem Moment begann mein Handy zu klingeln, was ich aus meiner Hosentasche rausnahm. Eigentlich wollte ich mit niemanden reden, jedoch war es Levin, der mich wirklich oft angerufen hatte.

"Endlich!", war das Erste, was er sagte.

"Wo bist du?", wollte er schließlich wissen.

"Im Krankenhaus", antwortete ich müde.

"Was?! Warum?!", wurde er panisch.

"Erzähle ich dir später", meinte ich.

"Warte, geht es dir gut?", fragte er nach.

"Physisch ja", beruhigte ich ihn und legte somit auf.

Einige Minuten später kam Aria's Oma, Tante und Jack. Sie eilten alle zu Hope und Daniel, die zu ihrem Zimmer zeigten. Alle gingen hinein, doch bevor ihre Oma ihnen folgte, wanderte ihr Blick zu mir. Ohne etwas zusagen, ging sie schließlich ebenso rein und ich wartete hier draußen. Ich hatte eigentlich kein Recht mehr zu bleiben, aber ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Sie hasste mich, aber das war mir egal, denn ich wollte nur, dass es ihr gut ging und das reichte mir. Erneut blickte ich zur Tür, wo gerade der Arzt rein ging. Innerlich war ich neugierig und wollte wissen, was er ihnen erzählte, aber ich blieb weiterhin sitzen und tat nichts.

Es dauerte nicht lange und der Arzt verließ wieder das Zimmer. Eine kurze Zeit später hörte ich wie die Tür erneut aufging, jedoch blickte ich nicht hoch. Ich konnte Schritte wahrnehmen, die immer näher in meine Richtung kamen bis sie verstummten und sich jemand neben mich setzte. Mein Mund blieb zu und ich spürte plötzlich eine Hand an meiner Schulter, weswegen ich mich umdrehte und Mrs Evans, also Aria's Oma neben mir sitzen sah. Ein trauriges Lächeln lag auf ihren Lippen und ihre Augen glänzten, als ob sie geweint hätte. Am liebsten hätte ich sie gefragt, was mit Aria war, aber ich bekam kein Wort raus, als ob mir der Mund zugeschnürt wäre. Sie nahm ihre Hand wieder weg und dachte kurz nach, bevor sie sprach.

"Du liebst meine Aria, nicht wahr?", fragte sie plötzlich und meine Augen weiteten sich, da ich diese Frage nicht erwartet hatte.

"Vielleicht bin ich schon alt, aber ich bin nicht blind. Auch, wenn mir Aria nie etwas erzählt hat, habe ich es gemerkt und erst jetzt bin ich mir sicher, dass du dieser Junge bist und das kann ich aus deinen Augen ablesen", lächelte sie sanft, weshalb ich auf den Boden sah und schwieg.

"Aria, geht es nun schlechter und sie kann nicht mehr lange warten, aber einen Spender jetzt zu finden, ist fast schon unmöglich", erklärte sie und ein unerträglicher Schmerz bildete sich in meiner Brust.

"Aber", begann sie und machte eine kleine Pause, weshalb ich ihr aufmerksam zuhörte.

"Du könntest ihr helfen", fuhr sie fort und ich verengte die Augen bei ihren Worten.

"Es gibt nur eine Person, die meiner Aria das Leben noch retten kann und du bist der Einzige, der sie mir finden kann", meinte sie, jedoch verwirrte sie mich nur noch mehr und ich verstand wirklich nicht, was sie meinte.

"Aria's Schwester, Katy Evans", sagte sie, worauf ich sie ungläubig ansah, doch ohne mir etwas weiteres zusagen, entfernte sie sich von mir und ließ mich mit einem großen Fragezeichen im Gesicht hier sitzen.

Aria hatte eine Schwester?

Die AugenWhere stories live. Discover now