55. Die Schwachen und die Starken

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Gähnend schaue ich aus dem Fenster. Der Unterricht zieht einfach an mir vorbei, zu sehr bin ich damit beschäftigt, die Augen offen zu halten. Gestern habe ich von Nachmittag bis spät abends mit meiner Aura trainiert und versucht sie zu kontrollieren. Wirkliche Fortschritte habe ich allerdings nicht gemacht. Sobald meine Gefühle auch nur ein kleines bisschen ins Schwanken geraten, bilden sich Risse unter meinen Füßen und für die Anderen wird es schwer, sich auf den Beinen zu halten – meinten die Anderen zumindest. Nicht einmal mein Schwert kann ich benutzen, denn sobald ich es rufe, nimmt die Aktivität meiner Aura drastisch zu. Da mein Schwert offenbar ein Teil meiner Aura ist beziehungsweise sich aus ihr transformiert und dadurch muss es eine Art Schlupfloch schaffen, aus dem sich meine Aura ausbreiten kann. Und nachher haben wir Kampfunterricht. Was soll das nur werden? Allein beim Gedanken daran werden meine Hände schon ganz feucht.

Schon die ganze Zeit über habe ich ein beklemmendes Gefühl, das einfach nicht verschwinden will. Levi hat mir zwar versichert, dass nichts passieren wird, da sein Wind nach wie vor meine Aura zurückhält, aber die Angst ist trotzdem da. Wenn wir Übungskämpfe mit unseren Artefakten oder sogar mit unseren Magien machen müssen, werde ich einfach sagen, dass es mir nicht allzu gut geht und mit Levi machen. Niemand darf etwas von alldem erfahren. Zumal wir immer noch nicht wissen, warum ich das überhaupt kann.

Ein Handballen stützt meinen Kopf und ein weiterer leiser Seufzer entfährt mir. Wohin soll das nur führen?

***

„Ich möchte unbedingt mal gegen dich kämpfen!", gesteht Laria aufgeregt und sieht mich mit großen Augen an. Matt lächelnd kratze ich mir den Hinterkopf. „Ich glaube das wird heute leider nichts. Levi war gestern ziemlich erbarmungslos und mir tut heute alles weh."

Ich hasse es zu lügen, aber was bleibt mir denn anderes übrig? Irgendwie kommt es mir so vor, als würde ich, seit ich bei der Keryno-Organisation bin, immer mehr lügen.

„Dann eben wann anders!", sie macht eine kleine Pause, ehe sie anzüglich mit den Augenbrauen wackelt. „Du weißt aber schon, dass das gerade sehr zweideutig geklungen hat oder?"

Lachend gebe ihr einen Klaps auf den Oberarm und verdrehe die Augen, während wir die Halle betreten. Da wir bereits die Kampfuniform tragen, müssen wir uns nicht extra umziehen.

„Wann geht ihr eigentlich mal auf Patrouille?", fragt Laria neugierig und bindet sich nebenbei die Haare zusammen.

„Keine Ahnung", seufze ich die Schultern zuckend.

Ich hoffe nicht allzu bald, denn wenn ich in diesem Zustand mein Schwert wegen meiner Aura nicht rufen kann, wäre ich ziemlich aufgeschmissen. Um es auf Deutsch zu sagen: Am Arsch.

„Hoffentlich können wir mal zusammen auf Patrouille gehen!", ruft sie begeistert.

„Sicher."

Ich lache nervös und gebe mir innerlich einen Facepalm. Laria öffnet den Mund, als sich ihre Augen auf einen Punkt hinter mich richten und sie die Augen verdreht.

„Oh, ihr auch schon hier?"

Verwundert drehe ich mich um und entdecke Ethan, hinter ihm seine Freunde. Lächelnd nicke ich ihnen zu.

„Ah Sienna, entschuldige mich doch bitte kurz!", verabschiedet sich Laria eilig und sprintet anschließend zu einer Gruppe, die gerade die Halle betritt. Ich strecke die Hand leicht nach ihr aus, ziehe sie jedoch wieder zurück und starre ihr perplex hinterher. Lass mich doch nicht alleine! Ich weiß überhaupt nicht, worüber ich mit den Jungs reden soll. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Ethan den Anderen ein Zeichen gibt, woraufhin sie sich von uns entfernen. Er stellt sich etwas näher zu mir, ehe er sich leicht zu mir herunterbeugt. „Hättest du vielleicht heute Lust mal mit mir zu kämpfen?"

Keryno - Die verborgenen VampireWhere stories live. Discover now