64. Gemeinsam sind wir stark

155 12 2
                                    

Er schnaubt verächtlich. „Ich hätte ihn ernsthaft verletzen, wenn nicht sogar umbringen können. Verstehst du das?" Seine Stimme wird immer lauter und er hat die Hände so sehr zu Fäusten geballt, dass die Adern an seinen Armen hervortreten. „Ich will gar nicht wissen, was du jetzt von mir denkst. Du musst furchtbare Angst vor mir haben, mich verachten."

Seine Stimme ist zum Schluss kaum mehr als ein Flüstern.

Meine Augen werden zunehmend größer. Plötzlich scheint Levi mir so schwach. Wie kann der stärkste Keryno den ich kenne, nur so verletzt aussehen? Der, der Vampire in Null Komma Nichts erledigt? Das bricht mir das Herz.

Sanft umarme ich ihn von hinten. „Ich bin froh, dass du gekommen bist. Was auch immer du tun wirst, ich würde dich niemals als Monster ansehen. Das kann ich gar nicht. Du bist keineswegs ein Scheusal oder eine Bestie. Du bist ein wundervoller Mensch, der in dieser Welt so viel Gutes vollbringt. Hast du etwa schon vergessen, dass ich nur wegen dir heute hier stehe? Du hast mich gerettet und das mehrere Male. Ohne dich hätte ich Finn, Jonas, Sumiko und all die Anderen niemals kennengelernt, könnte die Menschheit nicht beschützen und keine Rache ausüben. Du warst, nein, bist das helle Licht in meiner weiten Dunkelheit, das mir stets einen Weg leuchtet. Ohne dich würde ich keinen Sinn mehr im Leben sehen. Ständig hilfst du mir aus der Patsche, bist so geduldig mit mir. Bist für unsere Kameraden und unsere Familie ein so toller Freund. Niemals würde irgendjemand dich als Monster ansehen und ich dich erst recht nicht." Ich halte kurz inne. „Und selbst wenn, was ist schon so schlimm daran ein Monster zu sein? Würden wir nicht alle mit Freude sofort zu Monstern werden, wenn wir dadurch unsere Familie beschützen können? Ist das nicht das, was uns Menschen ausmacht?"

Nur warum habe ich das Gefühl, dass es hierbei nicht nur um die Sache von gerade eben geht? Was ist noch der Auslöser dafür, dass Levi so unglaublich wütend und gleichzeitig so verletzt ist? Ethan erwähnte einen Vorfall von damals, nur wovon sprach er?

Einige Sekunden verharren wir in dieser Position, ehe ich vor ihn springe und neckisch zu ihm aufschaue.

„Das Einzige was du bist, ist ein Sklaventreiber." Seufzend zucke ich mit den Schultern. „Und ein Mobber. Ständig machst du dich über mich lustig, weil ich so viel esse! Kann ja nicht jeder so eine muskulöse Figur wie du haben."

Levi hebt eine Augenbraue. Mein Ablenkungsversuch ist echt erbärmlich.

„Okay, dann lass uns mal nach Hause gehen! Ich bin hungrig wie ein Bär!", rufe ich enthusiastisch aus.

Ich verdränge die Gedanken an gerade eben und schiebe sie in die dunkelste Ecke meines Gehirns.

„Sicher, dass du gehen willst? Deine Beine zittern."Mit leicht zusammengekniffenen Augen zeigt er mit dem Zeigefinger auf meine Beine. Erwischt mache ich einen Schritt nach hinten. War ja klar, dass ihm das nicht entgeht.

„Das ist nur, weil ich dringend mal muss, also let's go!", entgegne ich grinsend und halte einen Daumen gestreckt nach oben.

Levi seufzt und läuft los. Ich umschließe mein linkes Handgelenk und lege meinen Kopf leicht in den Nacken, um in den blauen Himmel schauen zu können.

Trotzdem scheint sich mein Inneres einfach nicht beruhigen zu wollen. Deswegen bin ich Levi unendlich dankbar, als er meine Hand in seine nimmt und wir ohne ein weiteres Wort zum Ferienhaus zurückgehen.

***

„Jetzt kriegt der Bastard erst mal eine auf's Maul", brummt Finn, während er die Autotür zuschlägt und seine Faust gegen seine Handfläche boxt. Mit gehobener Braue schaue ich ihn an, woraufhin er gleich abwehrend die Hände hebt. „Ja ja, du willst das selber klären. Schon verstanden."

Keryno - Die verborgenen VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt