6. Die Bande

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"... und da bin ich aufgestanden, habe dem Lehrer meine Meinung gesagt und auch gleich seine furchtbaren Fehler an der Tafel berichtigt. Der dachte wirklich, dass Halluzinationen mit einem l, z statt t und mit o statt u geschrieben wird!"
Ich breche in Lachen aus und auch James lacht nach seiner Erzählung von einem Lehrer aus seiner alten Schule.
Es sind zwei Stunden vergangen und wir haben bereits schon je zwei Stück Kuchen gegessen, sowie einige Tassen Tee getrunken.
"Also, das hört sich ja schrecklich an. Aber zum Glück mir ist das noch nie passiert", meine ich und grinse James an, der sich in seinem Stuhl zurückgelehnt hat und sich einmal streckt. Wir haben uns gegenseitig von unserer Kindheit, beziehungsweise von unserer Schulzeit erzählt und hatten viel Spaß. Meine Nervosität ist einem Wohlgefühl gewichen und ich merke, wie mein Körper diesen Zustand genießt.
"Wissen Sie was Melody? Lassen Sie uns in einen Park oder so etwas gehen. Einen Spaziergang machen", schlägt James vor und ich nicke nach kurzem Nachdenken.
"Sehr gerne James."
Er grinst und ich erwidere es, senke dann aber schüchtern den Blick. In James' Gegenwart fühle ich mich wohl und bin eine mir beinahe unbekannte Person. Zuvor habe ich immer geglaubt, dass ich nur mit Katie so umgehen kann, dass nur sie mich so zum lachen bringen kann. Doch diesen Irrglauben muss ich jetzt ablegen. Zwar bin ich immernoch vorsichtig und achte extrem auf seine Reaktionen, aber ich spüre die leichte Zuneigung zu James.
Dieser winkt nun die Kellnerin zu sich und bittet diese um die Rechnung. Wenig später bezahlt er und gibt dabei ein großzügiges Trinkgeld, wofür die junge Frau sich strahlend bedankt. Dann stehen wir auf und gehen langsam die Straße entlang in Richtung des nächsten Parks.
James hat seine Sonnenbrille an den Kragen seines T-shirts gesteckt und steckt die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans. Während wir laufen bewahre ich einen gewissen Abstand zwischen mir und ihm, wie ich ihn zu jedem Mann generell halte. Falls er das mitbekommt sagt er nichts dazu, jedenfalls macht er keine Anstalten mir näher zu kommen und läuft, ganz Gentleman, auf der Straßenseite des Bürgersteigs.
"Haben Sie eigentlich jeden Samstag frei?", frage ich ihn und schaue ihn von der Seite her an.
"Ja, wenn es sich einrichten lässt. Wieso?"
Seine dunklen Augen mustern mich und ein Lächeln umspielt seine Lippen, anscheinend kennt er die Antwort oder kann sie sich denken.
"Ach, naja, ich dachte mir nur wir könnten uns doch öfter treffen. So zum reden und so", bringe ich zögernd hervor und hebe fragend eine Augenbraue.
"Ich hätte nichts dagegen. Ich finde die Gespräche mit Ihnen sehr angenehm."
"Dito."
Wir kommen gerade wieder an der Gruppe von jungen Männern vorbei, die ich auf dem Hinweg schon gesehen habe, allerdings sind sie dieses Mal neben einer Hauswand. Ich schaue stur geradeaus und versuche sie zu ignorieren, doch da stellt sich einer mir genau in den Weg, sodass ich fast gegen ihn pralle. Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück und James stellt sich neben mich.
"Hallo Süße", begrüßt mich der junge Mann mit den braunem, kurzen Haar und schaut mich lächelnd an. Ängstlich weiche ich noch einen Schritt zurück und James hält den jungen Mann mit einer Hand auf als dieser mir folgen will. Seine Miene verrät keine Gefühle, aber sein Blick durchbohrt den jungen Mann förmlich. Mag ja sein dass dieser nur nett sein will, aber mir macht er Angst.
"Lassen Sie sie in Ruhe", sagt James ganz ruhig und gelassen und der Andere grinst.
"Sonst was? Wir sind hier in einem freien Land, ich kann tun was ich will. Und wenn mir die Kleine gefällt kannst du auch nichts daran ändern", erwidert er patzig und schiebt sich an James vorbei.
"Wie wär's, Lust mit mir einmal auszugehen?", fragt er und schaut mich an. Entgeistert starre ich zurück und fühle, wie mein Herz anfängt zu rasen vor Angst. All meine Instinkte und Erfahrungen drängen mich zur Flucht, doch ich bin unfähig mich zu rühren. Zumal die Anderen aus der Gruppe auch noch da sind und das Geschehen beobachten.
"Ich wiederhole mich nur ungern. Lassen Sie sie in Ruhe!", fordert James nun mit mehr Nachdruck und in seinem Blick liegt ein gefährliches Glitzern. Doch der junge Mann reagiert nicht darauf und kommt mir näher, ich weiche noch weiter zurück bis ich mit dem Rücken an die Wand stoße. Da reißt James den jungen Mann zurück und stellt sich zwischen mich und ihn.
"Verschwinden Sie!", zischt er, was sich beinahe wie eine Drohung anhört.
"Du nervst Mann!", knurrt der Andere und tritt ganz nahe vor James. Er ist einen halben Kopf größer als dieser, sodass James zu ihm aufschauen muss. Doch er lässt sich davon nicht einschüchtern sondern steht ganz ruhig da, lediglich seine Haltung offenbart Wachsamkeit.
"Geh beiseite, du Zwerg", raunt der Andere, aber James bewegt sich keinen Zentimeter und starrt nur zu dem Anderen auf.
"Na wirds bald?!"
Immernoch bewegt James sich nicht vom Fleck, aber seine Stimme wirkt nun wie eine Todesdrohung als er langsam und bedrohlich sagt:
"Ich rate Ihnen jetzt von hier zu verschwinden, und zwar schnell. Ansonsten könnte das sehr ernste Konsequenzen für Sie haben. Das ist die letzte Warnung."
Unwillkürlich erinnert er mich an die Situation am Flughafen.
Doch der Andere schnaubt, ballt die rechte Hand zur Faust und holt aus.
Gerade will er zuschlagen, da packt James seinen Arm, reißt ihn herunter und dreht ihn ihm auf den Rücken, sodass der junge Mann zu Boden geht. Die Freunde wollen gerade auf James losgehen, als wie aus dem Nichts plötzlich ein muskelbepackter Mann neben James steht und ein Messer hochhält. Sofort weichen die anderen jungen Männer zurück und heben beschwichtigend die Hände.
"Ey, Mann. Ganz locker. Wir sind ja schon weg."
Mit diesen Worten drehen sie sich um und rennen weg, gefolgt von dem Mann, der mich ja eigentlich nur eine ganz normale Sache gefragt hat.
James schaut den muskelbepackten Mann an und nickt, dann ist dieser auch schon wieder verschwunden und er wendet sich mir zu.
"Melody?", fragt er behutsam und kommt vorsichtig auf mich zu. Ich schlucke, schließe die Augen und versuche die Tränen zurückzuhalten.
"Ist alles in Ordnung bei Ihnen?"
Die Besorgnis in seiner Stimme ist nicht zu überhören, aber er ist stehengeblieben, circa einen Meter von mir entfernt. Ich öffne die Augen wieder und schaue ihn an.
"Ja", antworte ich leise und bewege mich langsam von der Wand weg. Ich sehe James an dass er mir nicht glaubt, aber das ist mir gerade ziemlich egal.
"Okay", meint er nur und wir gehen langsam weiter. Dabei beobachtet er mich die ganze Zeit und ich versuche mich unter Kontrolle zu bringen.
"Danke", bringe ich nach einer Weile schweigenden Laufens hervor und James wirkt kurz überrascht.
"Keine Ursache", antwortet er und schweigt dann wieder. Schließlich gelangen wir in den Park und bleiben auf der Brücke über einen kleinen See stehen.
"Sie haben Angst vor Männern, nicht wahr?", fragt James mich leise und ich schaue ihn an.
"Ja", antworte ich flüsternd und nicke leicht.
"Aber ich will jetzt nicht darüber reden James."
"In Ordnung. Aber eine Frage hätte ich dennoch: Warum haben Sie keine Angst vor mir?"
"Ich weiß es nicht."
Ich schaue auf meine Hände, da berührt mich plötzlich seine Hand an der Schulter und ich zucke zurück, doch dann lasse ich es geschehen. James lässt seine Hand nur kurz auf meiner Schulter liegen, dann nimmt er sie wieder weg.
"Wer war eigentlich dieser Mann mit dem Messer, der Ihnen da zu Hilfe gekommen ist?", frage ich, um auf ein anderes Thema zu kommen.
"Ähm, naja, das war Sebastian Moran. Er ist... sozusagen mein Bodyguard", antwortet James verlegen und ich schaue ihn überrascht an.
"Bodyguard? Sie? Das muss ja ein aufregender Job sein."
"Mhm. Wie gesagt, ich liebe meinen Job aber die Bodyguards nerven mich manchmal."
Ich lache leise, doch da kommt mir plötzlich ein Gedanke und ich werde misstrauisch.
"Vielleicht ist der Job auch gar nicht so gefährlich, sondern Sie sind eine wichtige Persönlichkeit. Oder ein so reicher Mann, dass Sie Schutz brauchen, da Sie sonst bedroht werden", überlege ich laut und schaue James an. Dieser wirkt sichtlich unruhig und meidet meinen Blick, anscheinend liege ich gar nicht so falsch.
"Habe ich etwa recht?", hake ich nach und er holt tief Luft.
"In gewisser Hinsicht schon, ich habe viel Geld, sicherlich ist Ihnen das bereits aufgefallen. Das liegt aber nur an meinem Job. Ich bin der Chef von meiner Firma, aber bitte, denken Sie jetzt nicht falsch von mir!"
Er schaut mich an und ich verziehe missmutig das Gesicht.
"Ein reicher Mann sind Sie also, das erklärt Ihre Großzügigkeit mir gegenüber. Aber glauben Sie wirklich, dass Sie das zu etwas besserem macht?", sage ich mit vor Wut zitternder Stimme und James hebt beschwichtigend die Hände. Natürlich wusste ich schon vorher, dass er Geld hat, aber dann auch noch einen Bodyguard? Eigene Firma, die auch noch Erfolg hat?
"Melody, ich versichere Ihnen dass ich niemals so etwas gedacht habe. Aus genau diesem Grund habe ich es Ihnen nicht gesagt, Sie wären ganz anders mit mir umgegangen. Diese Gespräche hätten nie stattgefunden und das alles. Ich möchte nicht, dass Sie schlecht von mir denken, bitte Melody."
Ich denke über seine Worte nach und schaue auf den Teich unter uns. Auch wenn mein Verstand mir sagt, ich solle ihn einfach stehenlassen und am besten niemals wieder sehen, strebt mein Herz danach mit James befreundet zu bleiben.
"Na schön", antworte ich ungehalten und höre wie er erleichtert aufatmet.
"Ich danke Ihnen."
"Schon gut. Aber eine Sache hätte ich schon noch gerne gewusst: Gibt es sonst noch etwas wo Sie mir nicht ganz die Wahrheit gesagt haben?", frage ich und schaue ihn an. Er fährt sich mit der rechten Hand durch die Haare und grinst schief.
"Naja, da gäbe es tatsächlich etwas..."
Ich hebe eine Augenbraue.
"Eigentlich heiße ich nicht wirklich James, ich meine, es steht zwar in meinem Pass, aber kaum jemand nennt mich wirklich so. Ich werde eher Jim genannt."
"Jim?"
"Ja, ist doch naheliegend, nicht? James, Jim..."
"Also eher so eine Spitznamensache", stelle ich fest und muss unwillkürlich grinsen. Doch unterbewusst spüre ich, dass da noch etwas ist was er mir verschweigt.
"Genau. Mit dem Unterschied dass alle mich Jim nennen."
"Okay. Jim also."
"Ja."
Er lächelt verlegen und schaut auf das Wasser.
"Haben Sie auch einen Spitznamen?"
"Naja, Katie hat mich manchmal Mel genannt. Oder auch Melly. Aber bitte, wenn Sie mich schon abkürzen, dann bitte Mel, in Ordnung?"
"Kein Problem", antwortet er lachend und ich höre seine Erleichterung.

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Moriarty In Love Where stories live. Discover now