11. Bilder

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Nachdem wir fertig sind helfe ich Jim dabei, das Geschirr in die Spülmaschine einzuräumen, dann gehen wir ins Wohnzimmer. Jim lässt sich auf einen Sessel fallen und ich setze mich auf das Sofa. Ich schaue mich aufmerksam im Raum um und verstecke meine Hände in den Ärmeln meines Pullis.
Die großen Fenster zu meiner rechten führen durch eine Glastür in einen Garten mit gepflegtem Rasen und gegenüber des Sofas hängt ein großer Flachbildfernseher an der Wand, der über schwarze Kabel mit einem DVD-Spieler verbunden ist.
Während ich mich schweigend umsehe, beobachtet Jim mich die ganze Zeit mit seinen dunklen Augen.
"Tanzt du?", fragt er auf einmal und ich drehe den Kopf zu ihm.
"Bitte was?"
"Ob du tanzt, oder getanzt hast", wiederholt Jim seine Frage und ich nicke.
"Ja, ich habe drei Jahre lang Standard getanzt, bevor diese ganzen Sachen passiert sind. Ich war sehr gut, mit dem richtigen Tanzpartner hätte ich Meisterschaften gewinnen können, das haben zumindest meine Tanzlehrer gesagt. Das war so ein soziales Projekt wo Kinder von Eltern, die wenig finanzielle Mittel haben, hingehen konnten, und ich bin dort förmlich aufgeblüht. Aber das ist schon länger her, seitdem habe ich nicht mehr getanzt. Wie kommst du darauf?"
"Man kann es in deinen Bewegungen sehen, wenn man weiß worauf man achten muss."
"Ach echt? Das wusste ich gar nicht. Tanzt du auch?"
Er nickt.
"Ganz passabel."
"Standard?"
"Natürlich. Stell dir mich in einem Hip-Hop oder Zumbakurs vor, nein danke", meint Jim lachend und auch ich muss grinsen.
"Da hast du recht, das würde wirklich nicht passen", stimme ich ihm zu, dann schweigen wir wieder eine Weile lang. Jeder von uns hängt seinen eigenen Gedanken nach, da durchbricht das Klingeln eines Handys die Stille und Jim springt auf. Er nimmt sein Handy, schaut auf die Nummer und verzieht das Gesicht.
"Tut mir leid, da muss ich rangehen", entschuldigt er sich bei mir, aber ich winke ab.
"Keine Sorge, mach nur."
Da hebt er ab und verlässt das Wohnzimmer in Richtung Küche. Ich kann kaum etwas verstehen, doch plötzlich schreit Jim auf.
"SIE HABEN WAS?"
Erschrocken springe ich auf und starre zu Jim hinüber. Seine Stimme ist laut und wütend, und unwillkürlich bekomme ich ein wenig Angst vor ihm.
"Ich warne sie ein letztes Mal, kriegen sie diesen verdammten Job hin, oder sie sind ein toter Mann. HABEN SIE MICH VERSTANDEN?!"
Ich zucke zusammen und warte auf die nächsten Worte.
"Gut. Wehe, ich muss kommen und mich persönlich darum kümmern", droht Jim, dann legt er auf und kommt wieder ins Wohnzimmer.
"War wohl nicht so doll, was?", frage ich nervös und Jim schaut mich entschuldigend an.
"Nein, in der Tat, das war es nicht. Tut mir wirklich leid, dass ich gerade eben lauter geworden bin, aber dieser verdammte Mistkerl bekommt nicht mal einen einfachen, kleinen Job hin."
Aufgebracht gestikulierend legt er das Handy wieder weg und kommt wieder zu seinem Sessel.
"Ist alles in Ordnung?", fragt er mich urplötzlich besorgt und schaut mich fragend an.
"Mhm, ich habe mich nur erschreckt", erwidere ich und er seufzt.
"Tut mir ehrlich leid. Ich wollte nicht, dass du mich so erlebst", entschuldigt er sich wieder. Ich nicke, schweige aber befangen und setze mich wieder hin.
"Soll ich dir ein paar Bilder zeigen?", fragt Jim, das Thema wechselnd, und ich schaue zu ihm auf. Er steht vor dem Sofa und sieht zu mir hinunter.
"Was denn für Bilder?"
Er zuckt mit den Schultern.
"Fotos von meiner Kindheit oder so. Was ich so da habe."
"Na gut, in Ordnung", antworte ich und er lächelt.
"Warte kurz, bin gleich wieder da."
Mit diesen Worten verschwindet er und lässt mich alleine auf dem Sofa zurück. Gespannt warte ich auf seine Rückkehr, denn ich bin schon neugierig auf seine Kindheitsfotos. Unwillkürlich frage ich mich, ob er schon damals so einen Charme hatte, oder ob der sich über die Jahre entwickelt hat.
Endlich kommt Jim wieder zurück, zwei dicke Fotoalben in den Händen und ein Grinsen im Gesicht.
"Darf ich mich neben dich setzen? Sonst wird das etwas schwierig mit dem zeigen."
Kurz zögere ich, doch dann nicke ich und Jim setzt sich vorsichtig neben mich, jedoch ohne mich zu berühren. Er legt mir das erste Album in den Schoß und ich öffne es neugierig.
"Das bin ich als Baby mit meiner Mutter. Eine sehr nette und gütige Frau. Sie lebt leider nur nicht mehr, sie hätte dir gefallen", meint Jim zu dem ersten Bild, auf dem ein wirklich niedliches Baby in den Armen einer hübschen, jungen Frau liegt. Ich schmunzele und blättere weiter, zu einem Bild von einem Kleinkind in einem Sandkasten. Es schaut nicht in die Kamera, sondern arbeitet mit einer Schaufel an einem Haufen Sand.
"Du?", frage ich und schaue ihn an. Er grinst und nickt.
"Da war ich zwei, meine Mutter hat mich immer in diesen Sandkasten gesteckt. Einmal habe ich den ganzen Sand ausgebuddelt um zu schauen, wie tief es runter geht. Ich habe eine Wasserleitung beschädigt und war danach pitschnass", erzählt er und ich muss lachen bei dieser Vorstellung.
"Das hätte ich zu gerne gesehen."
Wir schauen uns weiter die Fotos an und ich verliere ganz allmählich meine Scheu vor Jim, immerhin ist er ein Freund.
So kommt es, dass wir uns immer mal wieder berühren, ich aber nicht zurückschrecke. Nein, aus irgendeinem Grund suche ich sogar seine Nähe, doch ich weiß nicht wieso. Ich bin mir ziemlich sicher dass Jim das bemerkt, aber er tut nichts.
Bei einem Foto von Jim als Teenager muss ich mich zurückhalten um nicht Einen Laut des Entzückens von mir zu geben. Er sieht einfach niedlich aus.
"Hast du auch Fotos von dir?", fragt er mich schließlich neugierig als wir beide Alben durchhaben und nebeneinander auf dem Sofa sitzen.
"Naja, nur wenige, und die sind auf meinem Handy."
"Also ich würde sie gerne sehen, wenn du nichts dagegen hast."
"Nein, überhaupt nicht."
Damit stehe ich auf und laufe nach oben zu meinem Mantel, um das Handy zu holen.
Als ich wieder bei Jim unten bin, setze ich mich neben ihn und öffne meine Galerie.
Katie hat ein paar Fotos von mir gemacht und ich habe alte Fotos von der Digitalkamera auf mein Handy gezogen. Damals, als ich noch einen Computer hatte.
"Das sind die einzigen Bilder, die ich von mir habe", meine ich und gebe ihm mein Handy. Er hebt eine Augenbraue angesichts der vielen Kratzer, sagt aber nichts dazu. Interessiert schaut er auf den Bildschirm und betrachtet die Fotos.
"Es gibt auch noch im Internet ein Video von mir, in dem ich mit meinem damaligen Tanzpartner tanze."
Doch Jim antwortet nicht, sondern schaut fasziniert auf eines meiner Fotos. Ich neige mich zu ihm herüber und linse auf das Display. Es ist ein Foto, was Katie gemacht hat als wir uns das erste Mal richtig bei ihr zu Hause getroffen haben und ich das erste Mal seit langem richtig gelacht habe. Damals war ich noch jünger und meine Haare hatten blondierte Strähnen, weil Katie mir das zum Geburtstag geschenkt hatte.
Ich schaue Jim von der Seite her an, er sieht ein wenig abwesend aus.
"Jim?", frage ich leise und er zuckt zusammen. Nervös lächelnd wendet er seinen Blick zu mir und errötet ein wenig. Ich grinse zurück und stupse ihn neckend gegen den Oberarm.
"Sah ich so anders aus dass du einen Herzinfarkt gehabt hast?", frage ich lachend und Jims Wangen werden noch röter. Verlegen schüttelt er den Kopf.
"Nein, ich war nur... mit den Gedanken ganz woanders."
"Aha", meine ich, nun nicht mehr lachend und Jim geht ein Bild weiter.
Es ist ein Video. Seine Reaktion auf dieses Bild beunruhigt mich ein wenig. Geistesabwesend starre ich zum Fenster hinaus und bemerke gar nicht, dass Jim sich das Video anschaut. Meine Gedanken sind bei Katie und sofort vermisse ich sie.
"Mel? Ist alles okay?", holt mich da seine besorgte Stimme zurück und ich atme tief durch.
"Ja", antworte ich und drehe den Kopf zu ihm. Seine dunklen Augen beobachten mich aufmerksam und ich schaue auf meine Hände.
"Ich vermisse Katie nur so sehr. Sie ist meine einzige Freundin, ohne sie würde ich schon nicht mehr leben. Dass sie jetzt nicht hier ist tut weh", sage ich und eine Träne rollt mir über die Wange.
"Entschuldige", murmele ich und wische mir mit dem Handrücken über die Wange.
"Ist schon in Ordnung", beruhigt mich Jim sanft und legt mir vorsichtig einen Arm um die Schultern. Sofort spanne ich mich an, doch dann beruhige ich mich und lehne mich zu meiner Überraschung gegen Jim. Er legt mein Handy aus der Hand und ich lege meinen Kopf auf seine Schulter.
"Ich verstehe das sogar besser als du vielleicht glaubst. Als kleiner Junge war ich mal in einer ähnlichen Situation, allein und verlassen. Doch ich bin für dich da, wann immer du mich brauchst und ich kann versuchen, dass du dich nicht mehr so fühlst."
Er zieht mich tröstend zu sich und dann fühle ich seine Lippen kurz auf meinem Scheitel.
"Danke Jim", sage ich leise und entferne mich ein wenig von ihm. Sanft lässt er mich los und ich setze mich wieder richtig hin.
"Ich würde gerne dieses Video sehen, wenn du nichts dagegen hast. Ich interessiere mich wirklich sehr dafür, was du so früher gemacht hast."
Ich drehe den Kopf und schaue Jim in die Augen. Er lässt sich nichts anmerken, aber ich meine ein hoffnungsvolles Glitzern in ihnen zu sehen. Seine Augen sind so dunkelbraun, dass sie auf eine gewisse Entfernung beinahe schwarz aussehen. Eigentlich sind seine Augen sogar sehr schön, so tief und sanft.
Da reiße ich mich von ihnen los und hole Luft.
"Klar, wenn du einen Laptop oder ähnliches hast, auf dem Handy ist es doch etwas arg klein."
"Natürlich. Warte kurz, ich hole ihn."
Mit diesen Worten steht Jim auf und verschwindet für zwei Minuten. Währenddessen versuche ich, meine Gefühle und Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Ich verstehe nicht wirklich was mit mir los ist, noch will ich, dass ich durch Jim so beeinflusst werde. Eine Beziehung oder etwas in der Art ist noch zu viel für mich, selbst diese Freundschaft zu Jim ist schon anstrengend.
Schließlich kommt Jim mit einem silbernen Laptop unterm Arm wieder zurück und setzt sich aufs Sofa. Er klappt den Bildschirm hoch und seine Finger fliegen über die Tastatur während er ein Passwort eingibt und dann einen Browser öffnet.
"Wo finde ich denn das Video?", fragt er mich und schaut mich an.
"Lass mich mal. Da brauchst du ein Konto und ich habe vor Jahren dort eins angelegt", meine ich und Jim gibt mir den Laptop. Ich stelle ihn mir auf den Schoß und Jim schaut mir interessiert zu.
Ich öffne die richtige Seite, gehe auf 'Einloggen' und gebe meinen Nutzernamen ein. Er lautet 'BenjiDFSFWWJWFTCCR' und Jim grinst als ich mein Passwort eingebe. Ich fand es eine brillante Idee, Passwort und Benutzername zu vertauschen.
'Blümchenmaus745'.
"Was? Damals war ich fünfzehn", verteidige ich mich und Jim hebt unschuldig eine Hand.
"Ich habe nichts gesagt", meint er lachend und ich muss auch grinsen.
"Aber gedacht."
"Wer weiß."
Darauf reagiere ich nicht, sondern warte darauf, dass die Seite endlich lädt.

Moriarty In Love Where stories live. Discover now