26. Einkaufen

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Ich bekomme leider nicht mehr mit wie Jim nach Hause kommt, denn es dauert länger als er dachte. Er entschuldigt sich per SMS und wirkt dabei ehrlich traurig. Ich nehme es ihm nicht übel sondern gehe früh ins Bett, den Brief auf meinem Nachttisch. In der Nacht kommt Jim anscheinend einmal rein, denn am nächsten Morgen kann ich mich verschwommen daran erinnern wie er mir die Decke wieder überlegt und dann wieder geht.
Ich gehe leise nach unten da seine Zimmertür noch geschlossen ist und mache etwas zu essen. Dabei denke ich über das nach was ich den Tag noch machen muss und beginne ein wenig vor mich hinzusummen.
"Interessant zu erfahren was du morgens so machst wenn ich nicht da bin."
Erschrocken wirbele ich herum und lache erleichtert als ich Jim in der Tür sehe.
"Oh Mann, du hast mich erschreckt."
Er grinst und streckt sich einmal gähnend sodass sein weißes T-shirt hochrutscht. Unwillkürlich bleibt mein Blick an seinem flachen Bauch hängen, doch bevor er es bemerkt schaue ich ihm wieder ins Gesicht. Aber er sieht so niedlich aus, leicht verschlafen, mit wuscheligen Haaren und verpeiltem Blick, dass ich mich zusammenreißen muss um ihm nicht über den Kopf zu streichen. Stöhnend reibt er sich übers Gesicht und ich schiebe ihm einen Kaffee hin.
"Danke", murmelt er und probiert ihn.
"Ich hasse es wenn Klienten meinen ich wäre zu ihrem persönlichen Vergnügen da."
Ich schmunzele und deute auf den Küchentisch.
"Willst du auch was essen?"
"Sehr gerne."
Wir setzen uns an den Küchentisch und ich gebe ihm etwas von dem Rührei was ich gemacht habe. Während wir essen reden wir ein wenig und Jim beschließt mich zu begleiten wenn ich in die Stadt fahre um mir Sachen für die Arbeit zu kaufen.
"Du musst nicht mitkommen wenn du nicht willst", meine ich zu ihm, doch er schüttelt den Kopf.
"Ich möchte aber mitkommen. So komme ich mal raus und wir verbringen wieder Zeit in der Stadt, so wie früher."
Ich lache.
"Früher, das klingt als wären wir uralt, dabei sind das nur knapp sechs Monate."
Er legt den Kopf schief und lächelt.
"Für mich fühlt es sich länger an, als würden wir uns schon ewig kennen."
Aus irgendeinem Grund erröte ich leicht und senke den Blick auf meine Hände.
"Ausserdem kann ich dir helfen, in der Stadt meine ich", rettet Jim mich aus dieser Situation und steht auf.
"Willst du oder soll ich zuerst duschen?"
"Ähm, i-ich lass dich mal...", antworte ich etwas überrumpelt und er grinst.
"Okay."
Er geht aus der Küche und nach oben, wahrscheinlich um sich Anziehsachen zu holen. Ich beginne den Tisch abzuräumen und räume auch die restliche Küche auf.
Eine halbe Stunde später kommt Jim wieder und ich gehe duschen.

~~~

Noch eine Stunde später sitzen wir in Jims Auto und er fährt uns in die Stadt.
"Willst du vielleicht mal auf der Rückfahrt fahren?", fragt Jim mich an einer Ampel und ich schaue ihn entsetzt an.
"Was?"
"Ich frage nur", gibt er lachend zurück und ich schnaube.
"Das hört sich an als wärst du mein Vater und ich hätte gerade meinen Führerschein gemacht."
"Naja, du hast deinen Führerschein, und ich finde du solltest mal fahren."
"Ja ja, Dad, aber es ist dein Auto", antworte ich und Jim verdreht die Augen.
"Wie oft denn noch? Es macht mir nichts aus wenn du bei mir wohnst, meine Sachen benutzt oder mein Auto fährst! Solange du nichts kaputt machst."
Ich schaue ihn an und schweige. Er meint das wirklich ernst.
"Also willst du?", hakt er nach einer Weile nach und ich zucke zusammen.
"Naja, irgendwie... schon. Falls ich es noch kann", sage ich zögernd und schaue nervös auf meine Finger.
"Hey, das ist doch kein Problem. Ich bin ja noch da."
Er muss sich kurz aufs Fahren konzentrieren, dann spricht er weiter.
"Im Notfall kann ich eingreifen. Falls du fürchtest dass du einen Unfall baust, ich glaube nicht dass das passiert."
"Mhm", mache ich nur und schaue aus dem Fenster. Ich soll Auto fahren? Nachdem was meiner Mutter passiert ist?
Andererseits vertraue ich Jim und spüre dass er mir Kraft und Ruhe gibt um auch schwierige Aufgaben zu bewältigen. Wahrscheinlich hat er recht, wie so oft.
Da legt er mir plötzlich eine Hand auf den Arm und ich schrecke auf. Ich habe gar nicht bemerkt dass er geparkt hat.
"Wir sind da."
Er lächelt kurz, dann öffnet er seine Tür und steigt aus. Ich folge nur Sekunden später, dann machen wir uns auf zum nächsten Klamottenladen. Jim zieht im Gehen eine Sonnenbrille auf und ich hebe eine Augenbraue.
"So sonnig ist es nicht."
In Wahrheit könnte es jederzeit regnen, denn graue Wolken hängen seit gestern Abend über der Stadt fest und drohen mit ihrer nassen Fracht.
"Ich weiß."
Aber er erklärt sich nicht sondern geht fröhlich neben mir her.
Mit Jim einkaufen zu gehen ist am Anfang nicht schwer, aber irgendwann wird es anstrengend, weil er anfängt mit den Beratern zu diskutieren welche Kombinationen von Blusen, Hosen und anderen Dingen gut aussehen und welche gar nicht gehen. Er besteht auf "Stil". Schließlich bezahlt er auch noch meine Einkäufe obwohl ich aufs heftigste protestiere. Klamotten im dreistelligen Bereich kann ich doch nicht anziehen! Vorallem nicht zur Arbeit!
Aber am Ende setzt Jim sich durch und wir verlassen den Laden mit zwei Tüten.
"Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt dass du ziemlich nervig sein kannst?", frage ich Jim und er grinst. Die Sonnenbrille hat er nicht einmal ausgezogen und ich habe keine Ahnung ob er mich wirklich ansieht oder geradewegs an mir vorbei.
"Oh ja, Sebastian mindestens hundert Mal."
"Ich muss Seb mal fragen wie er das mit dir manchmal aushält", seufze ich und Jim legt mir einen Arm um die Schultern.
"Seit wann so gestresst?"
"Ich bin nicht gestresst, nur etwas erschöpft", antworte ich und er nickt wissend.
"Du hast also deine Regel."
"Was?", frage ich empört. Er hat zwar recht, aber woher zum Teufel weiß er das?
"Erstens, gereizt bist du immer am ersten Tag deiner Regel. Zweitens hat sich dein Geruch verändert. Drittens, ich habe deinen Regelkalender gesehen", erläutert er ganz ernst und sachlich, als sei das ganz normal so viel zu bemerken.
Ich starre ihn an. Na toll.
"Das ist gruselig. Wirklich gruselig. Und unangenehm", sage ich leicht befangen und schlucke.
"Das sagen auch einige. Aber tut mir leid, ich habe nur beobachtet."
Er stupst mich an.
"Du beobachtest aber verdammt genau", murmele ich, entspanne mich aber wieder. Jim lacht und lotst mich zu einem Café, in dem wir einen Kaffee und einen Tee trinken, bevor wir uns zurück zum Auto aufmachen.
Gerade haben wir die Tüten in den Kofferraum gepackt, da wirft Jim mir den Autoschlüssel zu.
"Falls du noch möchtest."
Ich grinse und setze mich auf den Fahrersitz. Es fühlt sich ganz komisch an, etwas ungewohnt, aber ich erinnere mich beinahe sofort an meine Fahrstunden.
"Du weißt noch wo alles ist?", fragt Jim und schnallt sich an. Ich nicke und rufe im Kopf nochmal alles ab was ich damals gelernt habe.
"Blinker ist an den beiden Hebeln am Lenkrad?", frage ich nach und Jim nickt.
"Gut."
Ich schnalle mich an, starte den Motor und setze den Blinker. Das Lenkrad in meiner Hand vibriert ein wenig, ich atme tief durch und warte einen kurzen Moment. Mir wird nichts passieren.
Ich fahre aus der Parklücke und ordne mich auf der Straße ein. Es ist einfacher als ich gedacht hätte. Ich fahre ohne Probleme und denke gar nicht darüber nach was sein könnte, was passieren könnte.
"Du hast mir nie erzählt was genau deiner Mutter eigentlich passiert ist", sagt Jim nach einer Weile und ich schlucke, doch bleibe ruhig.
"Sie fuhr gerade nachts nach Hause, als von der Gegenspur ein Auto mit großer Geschwindigkeit ausbrach und sie seitlich erfasste. Sie war sofort tot und hat kaum etwas gespürt."
Ich schweige kurz und hole tief Luft. Meine Augen beginnen zu brennen bei der Erinnerung an den Anruf der Polizei, doch ich weine nicht.
"Der Fahrer des anderen Autos hat überlebt, und mir Schmerzensgeld gezahlt, aber das reichte nicht. Ich habe es benutzt um mir die Drogen zu kaufen."
Ich lache schnaubend.
"Das tut mir leid", sagt Jim und ich schaue ihn kurz an.
"Naja, ich bin ja noch hier, oder nicht? Und es geht mir besser als je zuvor", antworte ich und biege in die Straße mit Jims Haus ein. Ich parke und schalte den Motor ab, dann muss ich lächeln.
"Wir sind nicht gestorben."
"Nein, das sind wir nicht. Das war sehr gut, du solltest öfter fahren", meint Jim lachend und schnallt sich ab.
"Damit du nicht fahren musst?", frage ich ihn grinsend und steige aus.
"Exakt!"
"Wenigstens bist du ehrlich", erwidere ich lachend und wir gehen mit den Einkäufen zu seiner Haustür. Ich gebe ihm den Autoschlüssel wieder und er verneigt sich spielerisch.
"Vielen Dank."
Lachend gehe ich nach drinnen und ziehe meinen Mantel aus. Die Wolken haben dicht gehalten bis wir zu Hause sind.
"Und was machen wir jetzt?", frage ich Jim und er zieht sich die Sonnenbrille endlich aus.
"Ich weiß nicht, normalerweise würden Menschen einen Film gucken, denke ich. Oder Fernsehen, vielleicht auch telefonieren oder lesen. Musik hören eventuell auch."
Er fährt sich mit einer Hand durch die Haare und legt den Kopf schief. Heute ist er ein wenig seltsam.
"Ich wäre für Film gucken", meine ich und gehe ins Wohnzimmer um einen Film auszusuchen. Da ertönt ein Donnergrollen und es beginnt in Strömen zu regnen. Einen Moment betrachte ich die Wassermassen die vom Himmel stürzen, dann schalte ich den Fernseher an. Es ist merkwürdig wie sehr ich mich an Jims Haus gewöhnt habe.

***

Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt