51. Jim

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"Melody!"
Die Stimme dringt im Schlaf zu mir, da wache ich auf und öffne verschlafen die Augen. Ich liege noch immer auf dem Sofa im Wohnzimmer, allerdings ist es mittlerweile ganz dunkel geworden.
Plötzlich taucht Jim vor mir auf und zieht mich sofort in seine Arme. Erst reagiere ich nicht, doch dann atme ich seinen vertrauten Geruch ein und erwidere die Umarmung.
"Melody", murmelt Jim immer wieder leise und streicht mir mit einer Hand über den Kopf. Er trägt seinen Mantel und scheint gerade nach Hause gekommen zu sein, denn an ihm haftet noch die nächtliche Kälte von draußen.
"Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?", fragt er mich nun besorgt und schaut mich intensiv an. Langsam schüttele ich den Kopf, denn nun fällt mir der gestrige Tag wieder ein. Und Henry...
"Ich bin unverletzt, falls du das meinst, aber gut geht es mir nicht", antworte ich mit leiser Stimme und Jim hockt sich vor mich hin. Sein Blick huscht zwischen meinen Augen hin und her während er wartet dass ich weiterspreche. Doch das habe ich nicht vor, stattdessen frage ich ihn etwas anderes.
"Wie kommt es dass du so schnell hier bist?"
"Sebastian hat mich angerufen und ich habe mich sofort auf den Weg gemacht."
Kurz schweigt er und sieht mich prüfend an, dann seufzt er und kratzt sich am Kopf.
"Komm, du solltest in einem Bett schlafen und nicht hier."
Er steht auf und reicht mir die Hand. Wortlos lasse ich mich von ihm auf die Füße ziehen und wir gehen zur Treppe. Jim zieht sich noch seinen Mantel aus und nimmt mir auch meinen ab, erst dann laufen wir die Treppe hoch. Sanft dirigiert Jim mich in sein Zimmer, denn sein Bett ist etwas größer als das im anderen Zimmer, und ich lasse mich auf die Matratze fallen. Irgendwie fühle ich mich seltsam, kühl und als wäre ich nicht wirklich da. Mit einem Seufzen schließe ich die Augen, da legt Jim sich neben mich und ich öffne meine Augen wieder. Er schaut mich schweigend an, dann drehe ich mich zu ihm und kuschele mich an ihn. Sein vertrauter Geruch beruhigt mich und ich fühle wie er mich enger an sich zieht.
"Ich habe mir solche Sorgen gemacht als Seb angerufen und mir von deinem Besuch bei Henry erzählt hat", sagt er leise und küsst mich auf die Stirn. Einen Moment herrscht Stille zwischen uns und Jim streicht mit einer Hand langsam über meinen Rücken. Ich spüre dass ich jetzt nicht mehr werde schlafen können und lege eine Hand auf Jims Brust.
"Können wir kurz reden?", frage ich leise und Jim nickt sofort.
"Kannst du nicht schlafen?", fragt er und ich schmunzele kurz, dann nicke ich.
"Ich fürchte ja."
"Kein Problem. Worüber willst du denn reden?"
Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Mein Geist und mein Verstand sind nur aufgewühlt und ich kann noch immer nicht wirklich glauben was passiert ist. Dass Henry... so geworden ist. Dass er mich quasi angelogen und mein Leben bedroht hat.
"Wie viel hat Sebastian dir erzählt?", frage ich schließlich und schaue Jim an.
"Nicht viel, er weiß ja selbst kaum was. Er meinte, dass er gerade reinkam als Henry mit einer Pistole auf deinen Kopf gezielt hat, und er ihn außer Gefecht gesetzt hat."
Bei diesen Worten spannt Jim sich an und zieht mich so eng wie es geht an sich.
"Naja, er hat nur die Hälfte mitbekommen", nuschele ich in Jims T-shirt und er lockert seinen Griff wieder ein wenig.
"Warum hast du dich eigentlich mit ihm getroffen?"
In seiner Stimme schwingt Eifersucht und auch Wut mit und ich zucke zusammen.
"Henry bat mich darum, auf der Eisfläche damals. Ich habe mir dabei nichts gedacht, ich meine, er war doch mal mein Freund. Ich hätte nie gedacht dass er..."
"... dass er dich töten wollen würde", beendet Jim meinen Satz ruhig und ich vergrabe mein Gesicht an seiner Brust.
Er hat ja recht, aber das so auszusprechen macht es nicht besser.
"Was wollte Henry denn von dir?", hakt Jim nach einer Weile nach und ich spreche weiter.
"Er hat mich Sachen gefragt, über mich und dich. Er hat mich schon wieder vor dir gewarnt und schlimme Sachen gesagt..."
Kurz überlege ich ob ich Jim erzählen soll was das für Sachen waren, doch ich entscheide mich aus irgendeinem Grund dagegen.
"Außerdem wollte er wissen ob wir schon... miteinander geschlafen haben. Er meinte nämlich, dass du mich wohl nach einem Mal verlassen würdest."
Das Gefühl hatte ich ja nach der einen Nacht, aber das hat sich ja als unbegründet erwiesen.
Jim beginnt auf einmal leise zu lachen und ich schaue ihn verdutzt an.
"Sorry, aber... das ist so absurd. Der kennt mich nicht mal! Warum sollte ich dich verlassen? Als wärst du ein Spielzeug!"
Er schnaubt und küsst mich wieder auf die Stirn.
"Naja, Henry war von meiner Antwort nicht begeistert, und dann hatte er plötzlich diese Waffe in der Hand. Wäre Sebastian nicht gewesen wäre ich jetzt nicht hier."
Den letzten Satz flüstere ich schon fast und Jim legt mir eine Hand an die Wange, sodass ich ihn anschaue.
"Deswegen gibt es Bodyguards", meint er, dann küsst er mich liebevoll auf den Mund. Ich schließe meine Augen und gebe mich ganz der zärtlichen Berührung hin, vergesse alles andere um mich herum. So kommt es dass, als Jim sich von mir lösen will, ich ihn wieder zu mir ziehe und den Kuss einfach fortsetze. Doch er lässt es sich gefallen und erwidert den Kuss solange bis wir Luft brauchen. Leicht außer Atem unterbrechen wir den Kuss und ich kuschele mich wieder an Jims warmen Körper.
"Danke dass du hier bist", murmele ich müde und schließe die Augen.
"Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch, Mel. Und ich werde immer für dich da sein."
Mit diesen Worten im Ohr schlafe ich doch noch ein und Jim hält mich sanft fest.

~~~

Helles Sonnenlicht flutet am nächsten Morgen das Zimmer und blendet mich als ich die Augen öffne. Schnell stelle ich fest dass Jim nicht mehr im Zimmer ist und ich setze mich im Bett auf. Verschlafen reibe ich mir die Augen, streiche mir durch die Haare und schaue mich nach Jim um, doch ich kann keine Spur von ihm entdecken. Da kommt er die Treppe hoch, ein Tablett in den Händen, und lächelt als er mich sieht.
"Guten Morgen."
Ich schmunzele schwach.
"So gut ist der Morgen nicht."
Er stellt das Tablett aufs Bett und ich sehe dass er Frühstück für uns beide zubereitet hat. Tee für mich, Kaffee für ihn, ganz viel Aufstrich und sogar Brötchen liegen vor mir und heben meine Laune ein wenig. Ich habe Hunger.
"Naja, er wird gerade besser", füge ich hinzu und gebe Jim einen Kuss. Lachend setzt er sich neben mich und wir genießen das leckere Frühstück.
Allmählich spüre ich dass sich meine Stimmung bessert und dass die gestrigen Ereignisse in den Hintergrund rücken. Henry ist irgendwo anders, er weiß nicht wo ich wohne und Jim ist bei mir. Außerdem sorgt Sebastian dafür dass uns beiden nichts passiert.
Den ganzen restlichen Tag lenkt Jim mich ab, bringt mich zum lachen, schaut mit mir fern und am Abend gehen wir essen. Er verhält sich so süß und liebevoll, dass ich kaum Zeit habe über Henry und das ganze Zeug nachzudenken, auch wenn das dringend nötig wäre.
In mir brennt die dunkle Vorahnung dass die Dinge, die Henry über Jim sagte, gar nicht so weit hergeholt sind. Andererseits bin ich versucht das einfach als Lüge abzutun, immerhin hat Henry mich die ganze Zeit belogen. Wahrscheinlich ist er auch irgendwie eifersüchtig oder sowas und versucht mich deshalb von Jim wegzubringen. Das macht doch Sinn, oder?
Sebastian ist, sobald wir das Haus verlassen, die ganze Zeit bei uns und gibt mir dadurch das ungute Gefühl in Gefahr zu sein. Bisher kenne ich nur Seb als Jims Bodyguard persönlich, aber heute bemerke ich auch einen anderen Mann, der kurz mit Sebastian redet und uns dann ebenfalls, aber in einigem Abstand, folgt.
"Warum so viele Bodyguards?", frage ich Jim mit leiser Stimme während wir händchenhaltend eine belebte Straße entlang gehen und er flüstert an meinem Ohr:
"Sebastian hat den Tipp erhalten dass Henry auf der Suche nach dir ist. Offensichtlich ist er eine Art Auftragskiller."
Ich nicke langsam und lasse mich von meinem Freund in ein Restaurant lotsen. Es ist irgendwie interessant zu sehen wie Jim mit der Tatsache umgeht, dass man hinter mir her ist und uns Bodyguards folgen.
Allerdings ist er das gewohnt, sonst hätte er die Bodyguards ja nicht.
Durch Henry bekomme ich einen ganz anderen Einblick in Jims Alltag, und irgendwie bin ich ihm deswegen sogar dankbar. Es ist auch angenehm wenn Jim sich so liebevoll um mich kümmert, allerdings komme ich nicht umhin intensiver über diesen Mann nachzudenken, der so plötzlich in meinem Leben aufgetaucht ist. Als Fremder, der mir helfen wollte und das sogar geschafft hat, der mich aufgebaut hat als alles um mich herum zusammenbrach und in den ich mich verliebt habe. Als James Moriarty.
"Warum ich?", platze ich plötzlich mit der Frage heraus und Jim schaut mich überrascht an. Wir sitzen im Restaurant und haben schon unser Essen bekommen.
"Hm?", fragt Jim mit vollem Mund nach und hebt beide Augenbrauen.
"Warum hast du mir damals geholfen? Also ich meine auf dem Flughafen und auch danach. Warum hast du, James Moriarty, ein reicher Mann mit eigener Firma, ein solches Interesse an mir gezeigt?"
Er schluckt und grinst.
"Achso, und ich dachte schon jetzt kommt eine tiefgründige philosophische Frage warum du auf der Welt bist oder sowas."
Ich lache und schüttele den Kopf.
"Nein, das kommt später."
Lachend stützt Jim seine Ellenbogen auf den Tisch und schaut mich an.
"Ich habe dir geholfen weil du Hilfe brauchtest, weil du alleine warst und ich wusste dass du sonst zusammenbrechen würdest. Du hast jemanden gebraucht der dich wieder aufbaut, und ich wollte dich kennenlernen."
Er zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck Weißwein.
"Und wann hast du... dich in mich verliebt?", frage ich weiter.
"Das muss nach der Feier gewesen sein. Bei dem Kuss habe ich gemerkt dass es mir gefiel und ab da wollte ich mehr. Aber ich wusste dass du das nicht zulassen würdest, deswegen habe ich mich damit begnügt dir ein guter Freund zu sein."
Mit einem liebevollen Lächeln legt er den Kopf schief, dann essen wir weiter. Er ist so süß.

***

Moriarty In Love Where stories live. Discover now