18. Ein Kuss

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Während Jim gerade Getränke für uns holt, setzt sich plötzlich eine junge Frau neben mich und lächelt mich freundlich an. Sie hat pechschwarze Haare, wasserblaue Augen und ist nur dezent geschminkt.
"Hallo!", begrüßt sie mich fröhlich und ich grinse zurück.
"Hallo."
"Entschuldige falls ich dich störe, aber ich habe dich gerade mit den beiden Herren tanzen sehen, und ich wollte dir nur sagen, dass du unglaublich gut bist! Tanzt du auf Turnieren?"
"Vielen Dank, aber nein, ich habe noch nie auf einem Turnier getanzt. Dafür fehlt mir der richtige Tanzpartner."
Obwohl Jim perfekt dafür wäre.
"Oh, schade. Ich bin übrigens Ruth, schön dich kennenzulernen."
Sie streckt mir ihre Hand entgegen und ich schüttele sie.
"Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Ruth. Mein Name ist Melody."
"Wirklich schöner Name."
Sie lächelt mich freundlich an und wir reden eine Weile lang, bis ich endlich Jim hinter Ruth entdecke. In beiden Händen hält er je ein Getränk und hebt überrascht eine Augenbraue als er die junge Frau an unserem Tisch sieht.
"Hast du dir so schnell Ersatz für mich gesucht?", fragt er grinsend und stellt ein Getränk vor mir ab.
"Nein, wo denkst du hin. Ruth, das ist Jim, Jim das ist Ruth."
Jim lächelt ihr freundlich zu, setzt sich auf den freien Stuhl zwischen uns und reicht ihr die Hand.
"Sehr erfreut."
Ruth strahlt ihn breit an und ich erkenne, dass er ihr gefällt. Irgendwie versetzt mir das einen kleinen Stich.
"Ich habe dich und Melody tanzen sehen, einfach unglaublich. Seid ihr zusammen?"
"He, nein."
Verlegen greift Jim mach seinem Glas und nippt an der Flüssigkeit.
"Also bist du Single?", hakt Ruth weiter nach und Jim nimmt noch einen Schluck.
"Ja", sagt er gedehnt und grinst verschmitzt.
"Das trifft sich gut, ich nämlich auch."
"Ach so, schön...", meint Jim unsicher und schaut mich hilfesuchend an, doch ich bin ganz in Gedanken versunken. Ich trinke mein Glas aus, stehe auf und lächle die Beiden leicht an.
"Entschuldigt mich kurz. Ich gehe mich etwas frisch machen."
Alarmiert schaut Jim mich an und hebt beide Augenbrauen, gleichzeitig schaut er mich bittend an. Fast hätte er den Kopf geschüttelt.
"Nein", formt er mit den Lippen, doch ich wende mich ab und bahne mir einen Weg durch die Anwesenden aus dem Raum.
Auf dem Gang halte ich erst mal inne, außer mir ist keiner hier und ich lehne mich gegen die Wand. Seufzend schaue ich auf meine Hände. Verflucht, warum bin ich nur so schüchtern und verdammt vorsichtig. Es tut mir seltsamerweise weh zu sehen, wie eine andere Frau mit Jim flirtet. Zwar ist eine feste Beziehung jetzt nicht gerade das, wonach ich suche, aber ich merke, dass ich Jim mehr mag als ich es mir eingestehen will.
Aus dem Saal dringen die Musik, Gesprächsfetzen und Lachen zu mir. Nach kurzer Zeit gehe ich den Gang weiter und entferne mich von der feiernden Gesellschaft. So ganz gehöre ich nie dazu, auch wenn ich mich versuche einzuordnen, ich bin immer irgendwie fehl am Platz. Ich habe meinen Platz im Leben noch nicht gefunden.
Ich weiß nicht wie lange ich schon in dem Gang stehe, als mich plötzlich Jims Stimme aus meinen Gedanken reißt.
"Melody!"
Er kommt auf mich zu, einen verzweifelten Ausdruck im Gesicht. Bittend, ja fast flehend schaut er mich an.
"Bitte hilf mir."
Ich hebe eine Augenbraue.
"Wegen Ruth? Wieso, ihr scheint euch doch prächtig zu verstehen."
Er verdreht die Augen.
"Bitte Mel."
"Ich finde sie eigentlich ganz nett, ich weiß gar nicht was du hast", beharre ich und er streicht sich nervös mit der Hand durch die Haare.
"Ich weiß, aber es ist so... dass ich momentan nicht an einer festen Beziehung dieser Art interessiert bin."
"Dieser Art?"
"Oh, bitte Mel, du weißt was ich meine."
Ich seufze.
"Jim?"
Ruths Stimme nähert sich uns und ich gebe mir einen Ruck.
"Na gut, aber das hat nichts zu bedeuten, klar?"
Jim nickt, ich überwinde mich und ziehe ihn am Kragen seines Anzugs zu mir. Seine Lippen berühren meine und Jim wirkt kurz überrascht, dann lässt er sich darauf ein.
Der einzige Weg Ruth von Jim abzubringen, ist, ihr weiszumachen er sei schon vergeben.
Vorsichtig erwidert Jim den Kuss und legt seine Hände an meine Taille, gerade als Ruth uns sehen kann und zieht mich ein wenig enger an sich. Erst spanne ich mich an, dann lasse ich es zu und beginne es sogar zu genießen. Jims Lippen sind weich und sein Kuss ist ganz behutsam.
"Oh", macht Ruth und ich löse mich von Jim. Um die Tarnung aufrecht zu halten greife ich nach Jims Hand und unsere Finger verschränken sich ineinander. Ein merkwürdiges Kribbeln breitet sich von dieser Stelle aus und ich werde ein wenig nervös.
"Ich glaube, ich muss meine Aussage noch mal ändern", meint Jim verlegen und fährt sich mit der anderen Hand durch die Haare.
"Ich bin doch nicht Single."
Er lächelt Ruth schief an und sie nickt.
"Okay."
Sie lächelt zurück und unwillkürlich tut sie mir ein wenig leid.
"Naja, aber ihr passt echt gut zusammen."
Das habe ich doch schon einmal gehört. Henry und Ruth müssen sich abgesprochen haben.
"Danke", meine ich und Ruth geht den Gang wieder hinunter.
Kaum ist sie ausser Sicht, lasse ich Jims Hand los und trete von ihm weg. Schwer atmend lehne ich mich wieder gegen die Wand und versuche eine Panikattacke abzuwehren.
"Ist alles in Ordnung, Mel?", fragt Jim und ich höre die Besorgnis aus seiner Stimme heraus, aber er kommt nicht näher.
"Mhm", mache ich mit geschlossenen Augen und hole tief Luft.
"Ich habe nur... naja, du bist der erste Mann den ich küsse, seit... du weißt schon."
Ich öffne die Augen, schaue Jim an und lächle schief.
"Nur damit das klar ist: Du schuldest mir einen Riesen-Gefallen."
"Absolut! Ich danke dir dass du das gemacht hast, ich weiß wie schwer das für dich ist."
Er lächelt und ich beruhige mich allmählich.
"Ich brauche jetzt frische Luft", murmele ich und Jim nickt.
"Komm, ich bring dich raus."
Wir gehen durch den Gang in einen Raum und von da aus auf eine Terrasse. Draußen ist es angenehm kühl und der Himmel ist dunkelblau mit einzelnen fernen Sternen. Jim lehnt sich mit den Ellenbogen gegen die Brüstung und schaut mich an. Ich stelle mich neben ihn und lege meine Hände auf den kühlen Stein.
"Aber dann hat das doch was gebracht."
"Was?", frage ich verwirrt und schaue ihn an.
"Das alles, dass wir befreundet sind."
Ich runzele die Stirn.
"Sag bloß du hast darauf hingearbeitet dass ich dich küsse."
"Nein! Nein, wo denkst du hin, das würde ich nie tun. Ich meine nur, dass du weniger Angst hast als vorher und dass du dich auch unter lauter fremden Männern wohlfühlen kannst."
"Ja, okay. Vielen Dank übrigens."
Er grinst und schaut auf seine Hände.
"Sag mal, eine Frage hätte ich da doch..."
"Spuck's aus", fordere ich ihn auf und er schaut mir grinsend in die Augen.
"Wie fandest du den Kuss?"
Überrumpelt von dieser Frage starre ich ihn an, mein Mund öffnet und schließt sich wieder.
"Ähm, naja... i-ich hatte noch nicht viele Vergleiche... a-aber..."
"Ja?"
Sein Grinsen wird breiter und ich reiße mich zusammen.
"Du küsst wirklich... ausgesprochen gut."
Ich senke den Blick und höre wie Jim sich richtig hinstellt.
"Danke. Und was ist mit Henry?"
"Was soll mit ihm sein?"
"Ward ihr mal zusammen oder so?"
Er bemüht sich beiläufig zu klingen, doch ich höre seine angespannte Neugier und merke dass er mich unverwandt ansieht.
"Ich und Henry? Nein, niemals! Wir beide sind bis auf das Tanzen vollkommen verschieden. Außerdem bin ich nicht sein Typ", antworte ich und schaue ihn wieder an. Sein Gesicht entspannt sich ein wenig und ich sehe gerade noch wie seine zur Faust geballte Hand sich wieder lockert.
"Wieso fragst du?", erkundige ich mich und mustere ihn aufmerksam.
"Nur aus Neugier. Es... wirkte irgendwie so", weicht er aus und ich nicke langsam. Wenn das nur Neugier ist fresse ich einen Besen.
"Meinst du... wir müssen weiterhin so tun als ob wir... zusammen seien?", frage ich und weiß nicht so recht, ob ich jetzt will, dass wir das tatsächlich tun müssen, oder ob ich das auf gar keinen Fall will.
"Ich glaube schon. Aber nicht so extrem, weißt du. Keine Sorge, ich kenne mich da aus."
Er schmunzelt und bringt mich unwillkürlich auch zum grinsen.
"Dann ist ja gut."
Ich schaue auf meine Hände.
"Jim, ich vertraue dir."
Ich schaue ihn ernst an und er nickt.
"Ich fühle mich geehrt. Danke, Mel."
Nach einer Weile Schweigen gehen wir wieder hinein, bis wir kurz vor dem Saaleingang stehen. Da nimmt Jim vorsichtig meine Hand und lächelt mich warm an. Dann treten wir in den Saal und tauchen in die gedämpfte Atmosphäre.
"Wollen wir tanzen?", erkundigt sich Jim nah an meinem Ohr um mich nicht anschreien zu müssen und ich nicke. Er zieht mich mit sich auf die Fläche und wir tanzen, doch es ist nicht wie vorher. Jim zieht mich manchmal näher zu sich, beugt den Kopf zu mir herunter und flüstert leise irgendwelche Sachen, mal sind es Bemerkungen dass Ruth zu uns schaut oder er versucht mich zum lachen zu bringen, was er auch schafft.
Nach einer Weile entspanne ich mich tatsächlich und genieße es mit Jim zu tanzen. Auch diese Nähe zu ihm genieße ich, seinen angenehmen Geruch in meiner Nase, seinen warmen Körper an meinen und wie er mich festhält.
Doch irgendwann muss ich gähnen und Jim schmunzelt.
"Ich bin auch müde. Wollen wir gehen?"
Ich nicke und Jim bringt mich von der Tanzfläche. Im vorbeigehen winke ich Henry zum Abschied zu und er hebt grinsend sein Glas, doch Jim zieht mich fast schon weiter.
An der Tür angekommen nimmt Jim meinen Mantel vom Haken und legt ihn mir um die Schultern.
"Danke", murmele ich und lasse mich von ihm herausführen.
"Gern geschehen."
Jim lächelt und wir steigen in seinen Wagen, dann fahren wir auch schon los.

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Moriarty In Love Where stories live. Discover now