47. Erster Weihnachtstag

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Es ist schon seltsam wie sehr man sich über die Zeit verändern kann. Noch vor wenigen Monaten hätte ich nicht im Traum daran gedacht dass ich irgendwann einmal mit einem Mann schlafen würde, geschweige denn dass es mir gefällt. Denn hätte ich davon geträumt, wäre es wahrscheinlich ein Albtraum geworden.
Doch das war es nicht, ganz und gar nicht.
Mit einem warmen Gefühl im Bauch und einem Lächeln auf den Lippen liege ich am Weihnachtsmorgen in meinem kuscheligen Bett, in den Armen von Jim und döse vor mich hin. Es ist schon hell, aber ich verspüre kein Bedürfnis jetzt aufzustehen und die friedliche Stimmung zu stören. Seltsamerweise bin ich immer vor Jim wach, jedes Mal wenn er bei mir schläft warte ich bis er aufwacht. Doch mich stört das nicht, ich habe dann die Gelegenheit ihm beim schlafen zuzuschauen oder einfach seine Wärme zu genießen.
Schließlich aber wacht Jim auf und bewegt sich vorsichtig. Er küsst mich kurz auf den Nacken und mein Lächeln wird stärker.
"Guten Morgen Jim."
"Guten Morgen Honey", antwortet er und ich kann das Schmunzeln aus seiner Stimme heraushören. Behutsam drehe ich mich zu ihm um und schaue ihn an. Seine Haare sind verwuschelt, wie immer wenn er gerade aufgewacht ist, und seine Augen leuchten.
"Ich bin immer vor dir wach", bemerke ich und er grinst.
"Bist du dir sicher dass ich immer geschlafen habe?", flüstert er an meinem Ohr und ich lache.
"Ziemlich. Das würdest du doch deiner Freundin nicht antun."
"Naja, wenn sie süß aussieht beim schlafen..."
Sanft küsst er mich und das glückliche Kribbeln in meinem Körper wird stärker.
"Wie geht es dir?", fragt er mich danach und stützt seinen Kopf in seine Hand.
"Sehr gut", antworte ich lächelnd und er schmunzelt während seine Finger über meine Wange streichen.
"Sehr gut? Das freut mich aber", meint er grinsend und küsst mich erneut. Ich lege meine Hand an seinen Hinterkopf und erwidere den Kuss liebevoll, dann lösen wir uns und ich stehe vorsichtig auf.
"Ich gehe mich eben duschen."
Ich nehme mir Klamotten aus meinem Schrank und lächle Jim nochmal an, dann gehe ich ins Badezimmer.
Als ich wieder herauskomme und nach Jim schaue, befindet er sich noch im Bett und scheint vor sich hinzudösen.
"Jim, du kannst duschen", wecke ich ihn sanft wieder und er schaut mich mit seinen dunkelbraunen Augen an. Einen Moment lang sagt er nichts, doch dann setzt er sich auf und fährt sich mit einer Hand durch die Haare.
"Okay."
Irgendwie wirkt er gar nicht mehr so fröhlich wie noch vor etwa zwanzig Minuten. Seine Miene hat etwas ernstes, nachdenkliches, und er scheint mit den Gedanken ganz woanders zu sein.
Ich lasse ihn alleine und gehe in die Küche um Frühstück zu machen. Vielleicht muntert ihn das ja wieder auf.
Unwillkürlich nagt jedoch die Ahnung an mir, dass es mit der letzten Nacht zu tun hat und ich bekomme Angst. Was ist wenn Jim... jetzt genug hat? Wenn ich ihm gegeben habe was er will und ich ihm jetzt nicht mehr wichtig bin? Es würde mich zerstören wenn Jim nur das im Sinn hatte, und meine Angst wird immer größer.
Andererseits, kein Mensch ist fast zehn Monate so lieb, charmant und hilfsbereit wie Jim, nur um eine Frau ins Bett zu bekommen, oder? Vorallem nicht so eine Frau wie mich, eine deren Vertrauen man erst mühsam gewinnen muss um überhaupt mit ihr befreundet sein zu können. Da ist es doch einfacher die Frauen zu nehmen, die einem hinterherrennen.
Meine Gedanken schweifen ab.
Nun bedrückt beginne ich Tee zu kochen und einige Eier für Omelett aus dem Kühlschrank zu holen, sowie eine Pfanne aus dem Schrank und noch andere Zutaten.
Nach einer Viertelstunde duftet es in der Küche nach Omelett und ich stelle die Teekanne auf den Tisch, zusammen mit zwei Tassen, Tellern und Besteck. Da kommt Jim herein und ich schaue zu ihm. Er trägt die Hose von gestern, aber den Pulli den ich ihm geschenkt habe und er sieht tatsächlich unglaublich niedlich darin aus. Allerdings wirkt er noch immer so ernst und abwesend und meine Angst verstärkt sich.
"Ist alles in Ordnung?", frage ich und Jim nickt, dann nimmt er seine Tasse und gießt sich Tee ein. Dabei sehe ich seine Anspannung und auch dass er die Stirn runzelt.
"Bist du sicher?"
Meine Stimme hört sich ganz leise und traurig an und Jim dreht den Kopf zu mir. Ängstlich schaue ich ihm in die Augen und schlucke. Bitte, lass es irgendetwas anderes sein, aber nicht ich.
Doch Jim sagt nichts, sondern schaut mich nur schweigend an. Allerdings wirkt er nun weniger ernst, sondern nur noch nachdenklich, auch wenn die Anspannung noch immer da ist.
"Habe ich etwas falsch gemacht?", flüstere ich nach einer Weile und meine Stimme versagt beinahe. Da entspannt sich Jim wieder und sein Blick wird liebevoll, aber gleichzeitig wirkt er auch überrascht.
"Nein, ganz und gar nicht. Wie kommst du darauf?"
"Naja, ich hatte die Befürchtung dass... dass du mich nicht mehr willst nachdem... nach gestern Nacht. Dass du einfach gehen würdest und wir uns nie wieder sehen würden."
Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe und Jim reißt überrascht die Augen auf.
"Das befürchtest du?"
Sein Blick wird sanfter und mitfühlend als er die ehrliche Angst in meinen Augen sieht.
"Honey, ich verspreche dir dass ich dich nicht verlassen werde, egal was geschieht. Gestern Nacht war wunderbar und ich habe keinen Grund dich zu verlassen. Im Gegenteil, ich liebe dich nur noch mehr. Tut mir leid dass ich das Gefühl gegeben habe, aber ich musste über etwas nachdenken", sagt er mit sanfter Stimme und holt Luft als wolle er noch weitersprechen, doch das tut er nicht. Stattdessen geht er auf mich zu und nimmt mich behutsam in den Arm. Erleichtert schmiege ich mich an ihn während Jim mir mit einer Hand über den Rücken streicht. Zwar spüre ich dass ihn noch immer etwas beschäftigt, aber wenigstens weiß ich dass es nichts mit mir zu tun hat.
Nach einer kleinen Weile lässt er mich wieder los und wir essen unser Frühstück. Plötzlich wirkt Jim wieder fröhlich und lächelt, nimmt meine Hand und bringt mich zum lachen, so als wäre vorher gar nichts gewesen. Dennoch merke ich dass ihn das, was auch immer es war, im Hintergrund beschäftigt, auch wenn er versucht es nicht zu zeigen.
Wir verbringen noch einen wunderschönen Tag zusammen und allmählich vergesse ich dass Jim vorher noch so komisch war. Mittags rufen Katie und Dave bei mir an, wünschen uns frohe Weihnachten und wir reden zu viert ein bisschen, bis die Beiden aufhören müssen. Katie wusste von meinem zweiten Geschenk an Jim und muss sich zurückhalten um nicht offen mit der Frage rauszuplatzen. Auf eine indirekte Weise signalisiere ich ihr dass alles gut gelaufen ist und es mir super geht. Allerdings weiß ich schon jetzt dass sie mit mir schreiben will sobald Jim weg ist.
Am Nachmittag machen wir einen Spaziergang in der Kälte, in warme Sachen gekuschelt, und genießen die frische Luft und die friedliche Stimmung. In manchen Wohnzimmerfenstern kann man Lichterketten und geschmückte Tannenbäume sehen, und ab und zu begegnen uns Familien mit ihren Kindern, die wie wir einen Spaziergang machen. Ich liebe es mit Jim unterwegs, oder generell bei ihm zu sein und mit ihm zu reden. Er gibt mir das gute Gefühl von Zugehörigkeit und Liebe.
Später am Abend sind wir wieder bei mir zu Hause und ich kann Jim dazu überreden mit mir einen Film zu schauen, auch wenn ich weiß dass er das ungern macht. Meistens sind Filme für ihn langweilig, und mit Krimis sollte man bei ihm gar nicht erst anfangen. Es ist da ja alles so 'vorhersehbar' und 'unlogisch'.
Aber für mich schaut er mit und wir machen es uns auf dem Sofa gemütlich während ich den Fernseher einschalte. Auf einem Kanal läuft gerade das Weihnachtsspecial von Doctor Who und ich beschließe dass wir das gucken. Katie hat mir vor Ewigkeiten mal diese Serie gezeigt und seitdem schaue ich es ganz gerne. Auch Jim scheint es interessant zu finden, denn er protestiert nicht sondern schaut sogar zu. Normalerweise versucht er mich immer abzulenken wenn ihm ein Film nicht gefällt, und zwar so lange bis ich umschalte. Doch dieses Mal schaut er mit mir zu, auch wenn er Doctor Who nicht wirklich kennt. Er versteht recht schnell worum es geht und will sogar weitergucken als die Folge vorbei ist, was ich irgendwie niedlich finde, aber ich sage nichts sondern genieße es mit ihm Fernsehen zu schauen.
Es ist schon sehr dunkel als wir auf dem Sofa liegen, ich mit dem Kopf auf Jims Brust, und schläfrig vor uns hindösen. Mittlerweile laufen keine Folgen Doctor Who mehr und der Fernseher ist auch aus.
"Jim?", frage ich mit geschlossenen Augen und lausche seinen Atem.
"Ja Mel?"
Seine Stimme vibriert durch meinen Körper und ich schmunzele unwillkürlich.
"Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch."
Er schlingt beide Arme um mich und ich kuschele mich enger an ihn. Auch wenn der Pulli neu ist hat er schon Jims Geruch angenommen und ich atme ihn tief ein. Ich fühle mich sicher und geborgen, so geborgen wie ich mich zuletzt bei meiner Mutter gefühlt habe. Das war auch Weihnachten gewesen und ich hatte bei ihr im Bett geschlafen. Damals war ich sieben Jahre alt gewesen und meine Mutter hatte mich im Arm gehalten.
Ganz langsam gleite ich in einen ruhigen und tiefen Schlaf hinüber, eingelullt von Jims gleichmäßigen Atemzügen und seinem vertrauten Geruch, und bekomme nur am Rande mit dass Jim noch etwas murmelt. Kurz fühle ich seine Hand auf meinem Hinterkopf, dann schlafe ich ganz ein.

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Moriarty In Love Where stories live. Discover now