03

15.3K 948 105
                                    

Schon wieder holten mich meine Gedanken ein. Um von ihnen wegzukommen erhob ich mich vorsichtig von meiner Matratze und stellte mich zu meinem Herd. Ich hatte ihn einmal auf einem Flohmarkt gestohlen. Ich nahm eine Plastikflasche die ich sorgfältig mit Wasser gefüllt hatte und goss den Inhalt in eine Verrostete Teekanne. Daraufhin streute noch Teeblätter die ich im Sommer im Hyde Park gepflückt hatte darüber und rührte kräftig um.

Langsam drehte ich den Knopf um und der Tee begann zu kochen. Während die Teekanne ein brummendes Geräusch von sich gab ging ich zu meinem Ventilator. Ich drückte auf den kleinen Knopf und ein paar Sekunden begann er sich zu drehen und Luft herauszupusten dabei wirbelte er den ganzen Staub der auf der Fensterbank war auf und es entstand eine kleine Staubwolke.

Staubwolke.

Ein Wort von vielen die mein Leben beschrieben.

Eintönig aber trotzdem gab es Stellen die dunkler als andere waren, die Tiefpunkte im Leben.

Sichtbar aber doch durchsichtig. Ich war sichtbar doch ich wette kein einziger Londoner hatte mich bis jetzt gesehen, oder sich mein Gesicht bemerkt.

Gehasst. Alle dieser wenigen Personen die ich bis jetzt kennengelernt habe hatten mich gehasst.

Verloren. Alleine.

Staubtrocken. Mein Leben war staubtrocken.

Nun drang auch die Puste des Ventilators zu mir herüber.

Obwohl es hier ziemlich kalt war, war es ein angenehmes Gefühl. Ich schaltete ihn oft ein, da ich der Meinung war dass er meine Gedanken wegbläst.

Ich war schon immer abergläubisch gewesen. Mit 6 sagte ich mir in zehn Jahren werde ich einen Jungen gefunden haben, ein gutes Zuhause haben, hübsch sein und von ein paar Menschen beachtet werden.

Ja, Aberglaube kann man nur sagen.

Die kühle Luft des Ventilators traf mich ins Gesicht. Wie ein Faustschlag.

Wumm.

Die Gedanken waren weggeblasen. Ich dachte an nichts und genoss ein kleines bisschen das Gefühl frei zu sein. Doch dann drehte er sich wieder in eine andere Richtung und die Gedanken holten mich wieder ein.

Ich war ja frei.

Ich war weder vorgestraft (was wenn mich jemand bemerken würde anderes wäre) noch hatte ich eine Staatsbürgerschaft.

Doch ich war eben nicht frei.

Ich hatte keinen Wasseranschluss sondern musste mich immer an den Fluss halten.

Strom bekam ich von einem Stromverteiler dort wo ich alles anstecken konnte und das Kabel beim Fenster rein legen konnte. Ich hatte aber ein Verteilungskabel herein gelegt und so hatte ich auch Steckdosen herinnen.

Mir war bewusst dass ich ein gutes Los gezogen hatte. Ich hatte Strom, konnte an einem Brunnen Wasser holen, hatte ein Dach über dem Kopf und das alles ohne Geld. Mit dem Essen hatte ich Schwierigkeiten aber letztendlich war ich doch nicht verhungert.

Als die Teekanne zu kochen aufhörte füllte ich den Tee in ein Glas bei dem der Rand schon zersplittert war, aber man konnte noch daraus trinken. Vorsichtig nippte ich an dem Getränk dass eine grüne Farbe angenommen hatte.

Brennende Lunge, saurer Geschmack, war alles was ich fühlte.

Meine Lunge fing zu brennen an als ich das viel zu heiße Getränk in meinen ausgekühlten Körper schüttete. Der saure Geschmack breitet sich in meinen ganzen Körper aus. Rein aus Reaktion spuckte ich den Tee wieder auf den Boden.

Dieses Gefühl war grauenhaft.

Heute Abend also keinen Tee.

War mir auch recht.

Ich schüttete den restlichen Tee in ein Erdloch das an der Ecke des Raumes entstanden war und stülpte das Glas in einen Korb. Schon saß ich wieder auf meiner Matratze. Die Beine abgewinkelt, die Hände, die die Kette fest umklammerten, lagen auf meinem Oberschenkel.

Meine Blicke schweiften durch den Raum und ich dachte wie gewöhnlich nach. In letzter Zeit hatte es zugenommen. Jeden Tag saß ich hier.

Stundenlang.

Ich beobachtete alles hier im Raum und nahm es genau unter die Lupe.

Neben meinem Bett lagen zwei große Rohre. Sie lagen schon immer da, doch ich wusste nie für was sie gedacht waren.

Nun durchfuhr mich ein Schauer. Es war herinnen sehr kalt. Ich bekam schon Gänsehaut, doch ich machte mir nicht die Mühe den Ventilator auszuschalten. Mir war sowieso immer kalt.

Allerdings gab es in der Stadt ein Restaurant wo nur Automaten drinnen waren. Da ich sowieso nie Geld hatte konnte ich mir nie was kaufen aber es war warm drinnen und deshalb verbrachte ich viel Zeit dort.

Sogar am Tag.

Doch auch da war mir kalt, aber um einiges wärmer als sonst.

Auf einen anderen Tisch hatte ich alle arten an Messern, Feilen und Zangen. Doch ich hatte sie nie wirklich an mir selbst benutzt.

Ich hatte Angst davor wieder so Qualen zu erleben wie bei meinem ersten Versuch. Das ist auch der Grund warum ich keinen zweiten startete. Angst war auch der Grund warum ich nie nach draußen ging. Angst war der Grund warum ich mich nicht in Bekanntschaften stürzte.

Angst.

Das einzige Gefühl, das ich fühlte.

Denn ich fühlte weder Hass, Fröhlichkeit, Trauer und schon gar nicht Liebe.

Doch ich hatte Angst.

Vor meinem Leben.

An Angel Will DieWhere stories live. Discover now