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Doch wo ich im ersten Moment dachte ich sei normal. Schwankte mein Gedanke wieder zu dem Haus.

Nein. Nicht zu dem Haus in dem ich mich gerade befand und einem Mädchen dabei zusah wie die Liebe aus ihr schwand.

Sondern zu dem Haus, wo ich auf dem Dach stand. Also ich stand nie wirklich auf dem Dach. Ich dachte nur immer daran wie es wäre wenn ich auf diesen Dach stehen würde.

Wie es wäre wenn ich auf diesem Dach stehen würde und mich... hinunterstürzen würde.

Die Kette mit dem Flügel hing immer noch von meinem Hals herunter. Die Kette die mich daran erinnern sollte, dass ich frei war. Die Kette die einst so bedeutend für mich war.

Die Kette die das einzige ist was ich von meiner Mutter hatte. Die immer noch so bedeutend für mich war, nur mit dem falschen Zeichen.

Ich solle meine Flügel ausbreiten und fliegen.

Es war moralisch gemeint. Doch es wurde zur Realität.

Ich musste nur noch fliegen.

Engel können fliegen, dachte ich.

Ich ging einen Schritt vor und starrte noch einmal die Straße hinunter. Dann ließ ich mich fallen.

Und noch während des Fallens wurde mir klar, selbst Engel können nicht Fliegen. Dann kam ich am Boden auf und der Gedanke verpuffte in der Luft.

Inzwischen hatte ich wieder zu tanzen begonnen.

Umso schlimmer der Schmerz wurde, desto größer und tiefer wurden meine Bewegungen.

Auch dieser Gedanke fügte mir Schmerz zu. Denn ich erinnerte mich an eine ähnliche Erfahrung die ich wirklich erlebt hatte. Nur, dass es danach nicht verpuffte.

Doch ich möchte mich nicht wiederholen.

Ich hatte meine Augen unbewusst wieder geschlossen.

Als ich die Augen wieder öffnete musste ich mich erst an das blaue Licht gewöhnen.

Dann konnte ich schwache Umrisse von Menschen erkennen. Von zwei Menschen um genau zu sein. Von zwei Menschen die sich küssten.

Der Schmerz kroch von meinen Zehen bis zu meinen Kopf hoch.

Ich find zu schreien an. Ich schrie so laut ich konnte. Doch niemand schien mich zu bemerken.

Ich wollte mich auf den Boden legen und komplett hysterisch werden.

Doch ich musste mich beherrschen.

Auch wenn der Schmerz nur innerlich war, musste ich mich äußerlich beherrschen.

Ich hatte aufgehört zu schreien. Was aber nicht bedeutet, dass der Schmerz nachließ.

Und erneut fragte ich mich wie lange wollte ich mit diesem Schmerz leben? Auch wenn ich den Menschen keine Liebe gab, die Liebe würde trotzdem existieren.

Und nun tauchte in meinem Gedanken ein Bild auf. Ich saß da. Ich saß da und hatte einen Pfeil in der Hand. Es sah fast so aus als wären meine Augen mit Tränen gefüllt, während ich über meine sorgfältig eingearbeiteten Muster im Pfeil fuhr.

Dann war der Gedanke verschwunden und ich konnte ihn nicht mehr herholen.

Nun kam mir etwas anderes in den Sinn. Etwas was ich auch schon zweimal gehört hatte.

„Sie schreien die schlimmsten Dinge im Leben sind umsonst denn wir alle werden immer nur untergebuttert und drehen durch wegen ein paar Gramm und wir wollen heute Nacht nicht rausgehen"

Die schlimmsten Dinge sind umsonst...

Ja, das war ein schönes und zugleich auf wahres Zitat.

Ich drehe mich in einem Halbkreis auf die andere Seite des Raumes.

Und dort erkannte ich das Mädchen mit dem bauchfreien Nieten-Top wieder. Und sie unterhielt sich während sie tanzten mit einem Mädchen. Sie hatte ihr Liebe gefunden.

Doch nun war ich nicht mehr der Engel, der die Liebe gab. Nun nahm ich Liebe. Nun nahm ich Liebe, und setzte meinen eigenen Willen durch.

Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschen um zu ihr zu gelangen.

Doch ich konnte sie nicht erreichen ohne, dass es auffällig war.

Aber ihre Freundin konnte ich erreichen. Ich nahm mir einen Pfeil und rammte ihn ihr in den Rücken.

Sie bemerkte den Pfeil nicht wirklich. Er löste sich gleich wieder auf und mein Blick wurde von jemand anders angezogen.

Sie saß auf dem Boden. Sie saß dort und weinte.

Ich sah in ihren Augen den Schmerz den sie spürte. Nun wusste sie, dass sie nicht mehr liebte.

Es war das Mädchen, dem ich als aller erstes die Liebe genommen hatte.

Und ich war ein kleines Bisschen erleichtert.

Nein, ich war nicht erleichtert, dass sie weinte.

Und nein, ich war auch nicht erleichtert, dass sie wirklich keine Liebe mehr spürte.

Sondern ich war erleichtert, dass ich nicht die Einzige war die das Leid der Liebe ertragen musste.

Vermutlich gab es tausende Menschen auf dieser Welt, die es genau in diesem Moment ertragen müssen.

Doch mir wurde das jetzt das erste Mal bewusst.

Ich dachte immer ich sei die Einzige. Auch wenn ich den Schmerz ganz anders erlebt als jeder andere, war es doch das Leid der Liebe. Es war nicht dieselbe Form von Leid und Schmerz. Aber doch gehörte es in die Kategorie „Herzschmerz".

Und irgendwann trifft es uns alle. Irgendwann trifft uns alle das Leid der Liebe.

An Angel Will DieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt