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Als ich es hervor zog sah ich nur rot.

Dann bemerkte ich kleine weiße Flecken hervorblitzen.

Es war weiß mit rot überzogen.

Man musste kein Genie sein um zu wissen, dass das rote Blut war.

Das weiße war in einer gewissen Weise weich, doch auch nass, durch das Blut eben.

Das Weiße war eine Feder.

Ich hatte keine Ahnung was es mit der Feder auf sich hatte, aber ich wusste, dass etwas war (man zog ja nicht jeden Tag eine Feder aus dem Rücken).

Als ich mich von der Matratze erhob musste ich erstmal  meine Arme ausstrecken um das Gleichgewicht verlagern zu können.

Irgendwas war wirklich anders.

Ich tapste zu dem sehr kaputten Spiegel.

Dort sah ich das übliche, blasses Gesicht, weiß-blonde Haare, traurige Mimik, abgemagerten Körper.

Doch da fiel mir etwas Besonders auf. Meinen Rücken zierte etwas Weißes.

Es war eine Feder.

Mehrere Federn.

Ganz viele Federn.

Es waren zwei Flügel.

Zwei Flügel die meinen Rücken zierten

Es fühlte sich seltsam an etwas so Weiches, flauschiges an meinem ausdruckslosem Körper zu fühlen.

Doch diese Flügel machten mehr mit mir.

Ich hatte das Gefühl der Welt endlich zeigen zu müssen wer ich bin.

Leuten helfen zu müssen.

Endlich frei von der Vergangenheit sein und in der Gegenwart leben.

All das verspürte ich, und machte mir nicht mal Gedanken darüber wieso um Gottes Willen ich eigentlich Flügel hatte.

Inzwischen war die Morgendämmerung schon eingebrochen.

Die Sonne blendete ein wenig durch das Fenster, doch heute brachte sie mich dazu sie zu genießen, nicht mich dazu mich noch weiter in einer Ecke zu verkriechen.

Die Glocke läutete, was hieß, dass es nun 5 Uhr morgens war

Ab heute wird sich mein Leben verändern, ins Positive.

Ich stieß die Tür auf, Staub wirbelte auf und ich stand im Licht. Jetzt werde ich der Welt beweisen was in mir steckt.

Doch keine einzige Person war in Sichtweite. Niemand.

Ich fühlte mich alleine. Sehr sogar.

Diese ganze positive Energie von vorhin war verschwunden und ich war wieder dieselbe Person wie vorher.

Sie war einfach weg.

Puff.

Einfach so weg, wie eine Pusteblume, einfach weggeblasen.

Aus dem Nachbarhaus hörte ich eine Frau mit jemand anderen diskutieren: „Doch es ist schwer die Miete zusammen zu bekommen..."

Auch wenn ich  keine Hoffnung mehr hatte, dass es mir besser gehen wird hatte ich Hoffnung dass es der Welt besser geht. Ich wollte dieser Frau helfen. Ich wollte ihr helfen ihr Leben so weiterzuführen wie sie es gewohnt war.

Ich wollte das erste Mal in meinem Leben in den Kontakt mit Menschen treten. Auch wenn es nicht persönlich war, diese Frau wusste, dass ich exestierte.

Ich ging wieder in den Schuppen und holte meine Ersparnisse der letzten Wochen heraus. Es waren 10€. Das hatte ich alles aus Brunnen gefischt und auf der Straße gefunden.

Ich wickelte es in Zeitung ein und schrieb "Es ist nicht viel, aber vielleicht helfe ich ihnen ja ein wenig" darauf.

Die Tür öffnete sich wieder mit einem Knarren. Ich schlich auf Zehenspitzen im Sonnenschein zum Nachbarhaus hinüber. Vorsichtig öffnete ich die Klappe und legte sorgfältig die Zeitung mit dem Geld hinein.

Ich ließ die Klappe zufallen und rannte schnellen Schrittes wieder in meinen Schuppen hinüber.

Ich wusste nicht warum ich es gemacht hatte, allerdings fühlte es sich richtig an.

Es fühlte sich richtig an etwas Gutes zu tun. Natürlich hatte ich selbst nicht viel Geld, aber ich brauchte es offensichtlich nicht.

Eigentlich wollte ich ja heute mit diesen Ersparnissen wieder einkaufen gehen, doch ich brauchte Geld wirklich nicht, ich überlebte auch so.

Umso länger ich über meine Tat nachdachte umso skurriler und unverständlicher kam sie mir vor. Doch umso länger ich darüber nachdachte umso stolzer war ich darauf dieser Frau das Geld gegeben zu haben.

Ich hatte nicht mal nachgedacht und ich wusste selbst nicht warum ich es gemacht hatte aber ich hatte das Bedürfnis es zu tun.

Den Drang es zu tun.

Einfach den Mut es zu tun.

Doch man kann es nicht wirklich Mut nennen. Ich war noch nie in meinem Leben mutig.

Ich hätte mich einmal in meinem Leben zusammennehmen müssen und sagen: „Du wehrst dich jetzt"

Ich hätte mich gegen meine Stiefmutter wehren müssen, vielleicht wäre ich jetzt 16 und glücklich.

Ich hätte mir sagen müssen: „Mach was aus deinem Leben"
Doch nun war ich 16 und unglücklich.

Ich hätte zu mir sagen müssen: „Such dir Freunde und mache Bekanntschaften"
Doch nun war ich 16 und es war zu spät.

Das einzige was ich hätte tun müssen, wäre mich querstellen.

Alles um 180 Grad drehen.

Alles nehmen und dein Leben verändern.

Das hätte ich alles tun müssen. Das hätte ich schon mit 12 tun müssen. Schon mit 13. Schon mit 14. Doch nun war ich 16 und es war zu spät.

Denn nun  hatte sich mein Leben in eine besondere Art und Weise geändert. In eine Art und Weise wie es sich bei keinem anderen Menschen geändert hat.

Es war übernatürlich, spirituell. Doch es war so. Ich machte mir keine Gedanken darüber es war einfach da und ich nahm es so wie es ist.

Ich hatte Flügel.

An Angel Will DieWhere stories live. Discover now