Kapitel 39

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Wir saßen beim Essen und redeten über alles Mögliche. Das heißt, die Mädchen redeten über alles Mögliche, ich saß nur daneben und aß schweigend mein Rührei. Ich hatte gestern einen Brief an meine Pflegeeltern geschrieben und erzählte ihnen von meinen Fortschritten. Die Kampf- und Kate-wäre-fast-entführt-worden-Details ließ ich aber aus. Ab und an telefonierten wir auch, doch da hielt ich mich meistens kurz.

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als sich Tina McWheel über Christal beugte, um auch nur Ansatzweise in meine Nähe zu kommen. Zur Information: Chrissy saß mir schräg gegenüber und war gerade dabei ihr Rührei zu essen. Zu schade, dass es ihr nicht von der Gabel und somit auf Tina fiel.

"Kate?", fragte sie und blickte mich neugierig an. "Was wolltest du da oben auf dem Dach?" Ich schluckte und suchte fieberhaft nach einer Ausrede.

"Den Rubin suchen, vielleicht?", keifte Jessy sie an und warf ihr einen bösen Blick zu.

"Ach komm schon, wir wissen alle, dass sie das nicht da oben gemacht hat. Los, spuck's schon aus. Wir wollen die Wahrheit wissen.", entgegnete sie energisch und ich spähte an Jessy, die neben mir saß, vorbei und entdeckte mindestens fünf erwartungsvolle Augenpaare, die auf mich gerichtet waren.

"Und ob sie das da oben gemacht hat!", fauchte Jessy plötzlich. "Aber wenn wir schon dabei sind, was war denn das mit dir und Joey in Umkleide letztens, hm?" Sofort verdunkelte sich Tinas Blick und sie warf einen misstrauischen Blick auf uns zwei.

"Was auch immer ihr da verheimlicht, ich finde es raus.", meinte sie und jetzt schaltete sich auch Amanda ein.

"Ist ja nicht so, dass du genug verheimlichst, Tina.", sagte sie abfällig und Tina zog sich mit einem Schnauben ganz zurück.

"Danke.", murmelte ich leise und Jessy lächelte mich nur an. Sie alle wussten Bescheid und ich war ihnen dankbar, dass sie mich deckten.

"Ich geh schon hoch.", informierte ich die anderen, stand auf und trug mein Tablett zu dem dafür vorgesehenen Ständer. Dann lief ich durch den Speisesaal und begegnete Jasons Blick. Er war schwer zu deuten und so wandte ich meinen Blick wieder ab. Ich stieß die schweren Türen auf und flüchtete in den Gang.

Ich lief nicht zu unserem Zimmer, sondern stieg die Stufen zu den Dienstbotenkammern hinauf. Nach allem was passiert war, rechneten wir nicht mehr wirklich mit einer Rache der Jungs, aber dennoch hörten wir sie ab. Oder besser gesagt, ich tat es. Ich wollte wissen, ob Jason irgendwelche Informationen, die er mir vorenthielt - was er zur Genüge auch tat - seinen Freunden erzählte. Aber auch diesmal war es nur langweiliges Gequatsche und ich hörte das Band nur mit halben Ohr ab.

Ich saß noch eine Weile in der dämmrigen Kammer und zog die Knie an. Mr. Millers worten nahmen mich ziemlich mit. Schon im Krankenflügel hat er mir klar gemacht, dass er stinksauer war. Aber das Video vor der ganzen Klasse zu präsentieren und quasi per Wink mit dem Zaunpfahl verstehen zu geben, dass ich schlecht war und nur reines Glück hatte (was ja auch alles stimmte), war ziemlich mies gewesen. Und Mr. Miller wusste das. Ich stand auf, klopfte mir den Staub von den Beinen und zum ersten Mal, seit ich hier war, stieß ich einen lauten und ziemlich heftigen Fluch auf meinen Direktor aus. Das hatte ich bisher noch nie getan.

Dann ging ich wieder nach unten und traf dennoch noch vor meinen Freundinnen ein. Der Abend war für uns recht kurz, da wir alle ziemlich müde waren. Als meine Freundinnen eingeschlafen waren, stand ich leise auf und zog mich wieder an. Dann schlüpfte ich durch die Tür und schlich durch den Gang weg vom Mädchentrakt.

Als ich mich den Jungsräumen näherte, zögerte ich kurz und überlegte, ob ich Jason nicht doch Bescheid sagen sollte, aber dann schüttelte ich den Kopf. Letztes Mal hab ich das auch ohne ihn geschafft.

Also schlich ich mich aus dem Schloss und an den Wachen vorbei. Ich trug hauptsächlich schwarz und verschmolz fast schon mit den Schatten. Unwillkürlich lächelte ich. Ich liebte die Nacht und ich liebte es unsichtbar zu sein. Dann fühlte ich mich über unbesiegbar.

Schnell huschte ich dann auf die Straße und rannte die ersten Meter von Baum zu Baum, bis ich außer Sichtweite war. Dann drosselte ich mein Tempo und schlenderte auf der Straße nach Penzance.

Die Nacht war ruhig und leise und so wurden meine Gedanken laut und tosend. Ich hatte Jason geküsst. Oder vielmehr, er hatte mich geküsst. Bis jetzt hatten wir wenig mit einander gesprochen und ich hätte ihn gern gefragt, ob er das nur wegen meiner aufkeimenden Panikattacke getan hat oder ... auch aus anderen Gründen.

Dabei mochte ich ihn nichtmal sonderlich. Er war arrogant und stur. Trotzdem rettete er mich jedes Mal aus irgendeinem Schlamassel, wofür ich ihm eigentlich dankbar sein sollte.

Genervt raufte ich mir die Haare und begann zu rennen. Und dann kam ich endlich an der Promenade von Penzance an und vor der Bank vom letzten Mal sah ich ihn. Luke.

Mit einem Aufschrei warf ich mich ihm in die Arme und er plumpste lachend auf die Bank.

"Kates.", murmelte er und vergrub seine Nase in meinen Haaren. Auch ich kuschelte mich enger an ihn und genoss seine Nähe.

"Und, wie läuft es mit Bond Junior?", fragte er und entlockte mir so ein Kichern.

"Wir treten uns gegenseitig in den Arsch", antwortete ich und löste mich von ihm. Ich setzte mich neben ihm auf die Bank und ließ die Beine baumeln. Und dann erzählte ich ihm alles. Von dem Kampf, meiner Mutter, dem Kuss.

"Hat er dich seitdem nochmal geküsst?", fragte Luke interessiert.

"Nein.", sagte ich und schüttelte leicht den Kopf.

"Was für ein Idiot.", lachte Luke plötzlich und ich musste ebenfalls lächeln.

"Wie läuft es bei dir so?", fragte ich nun und er begann zu erzählen. Von den immer gleichen nervenden Lehrern und dass die Schule ohne mich nicht mehr dasselbe sei. Dass er jetzt mit Mitsie ausging, und ins Footballteam eingetreten ist.

"Football?!", rief ich entsetzt.

"Klar. Die Partys sind der Hammer.", entgegnete Luke und wich meinem Schlag aus.

"Nein nein, ich mach nur Spaß. Das Team ist echt okay und ich bin auch ganz gut.", dann grinste er mich mit einem schiefen Lächeln an, dass mir die Spucke wegblieb.

"Luke Summers. Werden wir jetzt etwa ... heiß?", stieß ich ungläubig, aber auch frech grinsend hervor.

"Ich war schon immer heiß!", beschwerte er sich und stieß mich spielerisch an der Schulter weg. Das nahm ich als Kriegserklärung, sprang auf die Bank, brüllte laut "Touchdown!" und ließ mich augenblicklich auf ihn fallen. Luke parierte, in dem er mich durch kitzelte und so kämpften wir eine Weile, bis wir schwer atmend vor der Bank kauerten.

"Kates, versprich mir eins. Bitte, lass nicht zu, dass sie dich mir komplett wegnehmen.", flehte er und strich mir eine Locke zurück hinter die Ohren.

"Das werden sie nicht.", versicherte ich ihm und hielt sein Handgelenk fest. Er legte seine Hand an meine Wange und ich schmiegte mein Gesicht hinein. Wir saßen eine Weile so, aber schließlich stand er auf und zog mich mit hoch.

"Ich muss los.", sagte er und ich nickte nur. Ich begleitete ihn noch zum Auto und bevor Luke einstieg, umarmten wir uns noch einmal innig. Er küsste mich auf die Stirn, stieg dann ein und brauste schließlich davon. Ich sah ihm nach und spielte an meinem Armband herum.

"Ich werde immer bei dir bleiben, Luke. In meinem Herzen werde ich immer deine Kates bleiben.", murmelte ich und lächelte traurig. Ich drehte mich um und lief die Gassen entlang, um zurück zum Schloss zu gelangen. Als ich durch eine unbeleuchtete Gasse lief, wollte ich fast schon wieder umkehren, doch ich verbat mir die Hirngespinste über Axtmörder, die hinter der nächsten Ecke auf mich lauerten und stapfte tapfer weiter.

Plötzlich schlangen sich zwei kräftige Arme um meinen Oberkörper und ich keuchte erschrocken auf.

"Sind wir wieder unartig, Katie?", hauchte mir jemand ins Ohr und schlagartig rutschte mir mein Herz in die Hose.

Jason.

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