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Strahlend blau-grüne Augen bohrten sich in meine und ließen einen kalten Schauer über meinen Rücken wandern.

Ich schreckte mit pochendem Herzen hoch, riss meine Augen auf und fasste reflexartig an die kleine graue Feder, die an meiner silbernen Kette ging. Nein. Nicht schon wieder, dachte ich, fasste mir an die verschwitzte Stirn und atmete genervt aus.

Seit sieben Jahren verfolgte mich dieser Traum wie ein lästiger Fluch. Ich wusste bis heute nicht, ob die Hälfte der Geschehnisse über die Zeit bloß meiner Fantasie entsprungen waren oder ob das alles wirklich so passiert ist, obwohl die Feder eigentlich Beweis genug sein sollte. Einerseits war es ein wunderschöner Traum, aber andererseits jagte er mir ein wenig Angst ein, weil es immer wieder derselbe war und ich darin jedes Mal Panik bekam, sobald ich anfing meine Familie zu suchen. Doch als wäre das nicht schon genug, sah ich diese Augen immer wieder vor mir, die mich so sehr in ihren Bann zogen und mich gleichzeitig so anstarrten, als würden sie tief in mein Inneres schauen und das war mehr als nur beunruhigend.

Wie auch immer. Ich schüttelte meinen Kopf in der Hoffnung diese Gedanken loszuwerden und ließ meine Beine über das Bett gleiten, um mit den nackten Füßen auf den kühlen Boden aufzukommen. Gähnend erhob ich mich und schlenderte augenreibend ins Badezimmer, um mich für die Schule fertig zu machen, da ich sowieso bald aufstehen müsste. Heute war nämlich der erste Schultag nach den Sommerferien, auf den sich alle immer unglaublich freuen. Hoffentlich hört man die Ironie raus... Höchst motiviert blickte ich also in den Spiegel und würde mich am liebsten gleich wieder ins Bett schmeißen.

Meine Güte, ich könnte glatt Teil eines Horrorfilms sein. Blasse Hautfarbe, glatte hellbraune lange Haare, die jetzt komplett in alle Himmelsrichtungen abstanden, dunkelbraune Augen und natürlich meine Augenringe nicht zu vergessen. Ich hatte nicht immer welche, aber heute konnte ich mal wieder nicht viel schlafen, was ich meiner besonders tollen 6-jährigen Schwester Lena zu verdanken hatte, die es sich zum Ziel gemacht hat, mir die ganze Nacht über irgendwelche Streiche zu spielen.

Ja genau Streiche spielen, richtig gelesen. Und das nicht auf diese harmlose Art, die es kleine Kinder normalerweise tun, indem sie einen zum Beispiel erschrecken, sondern auf eine dezent originellere Weise.

Heute Nacht hatte sie mir einen Becher Wasser über das ganze Gesicht gekippt, woraufhin ich keuchend aufgewacht bin und sie aus meinem Zimmer scheuchen musste. Aber Lena wäre ja nicht Lena, wenn sie sich nicht noch einmal in mein Zimmer schleichen würde nachdem ich wieder eingeschlafen bin und mich lautstark mit einem Air Horn aufwecken würde.

Unsere Mutter schlief unten und bekam deshalb keinen Ton davon mit, leider.

Dad war schon seit fünf Jahren spurlos verschwunden. Er ging eines Tages wie immer zur Arbeit, kam jedoch nicht mehr wieder. Die Polizei hat ein Jahr lang ihre besten Suchtrupps losgeschickt, gab es dann aber auf. Mittlerweile wurde er als tot abgestempelt, obwohl man ihn nicht gefunden hat. Natürlich tat es immer noch unfassbar weh an ihn und an das zu denken, was mit ihm passiert sein könnte, aber das Leben ging nunmal weiter... Dad würde niemals wollen, dass ihm seine Familie Jahre lang hinterher trauert und unglücklich durchs Leben marschiert. Und genau der Gedanke war es, der Mom und mich nicht mehr in Trauer versinken ließ.

Da meine Mutter Lena seit diese nur ein Jahr alt war alleine großziehen musste, half ich ihr dabei so gut es eben ging. Sie war ein kleines Biest mit grünen Glubschaugen und braunen langen Haaren und konnte jeden um ihren kleinen Finger wickeln, wenn sie es wollte, aber ich hatte sie trotzdem lieb.

"Lissy, ich muss aufs Klo! Bist du bald fertig?", hörte ich plötzlich meine Schwester fragen, die vor der Badezimmertür stand und anfing ungeduldig dagegen zu hämmern.

Wenn man vom Teufel spricht.

Ich schnaufte, schloss die Tür auf und schon kam sie in ihrem Oversized Pullover hereingetapst, den sie wohlbemerkt von mir stibitzt hatte. "Ich habe dir doch schon tausend Mal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst. Das ist böse", knurrte ich und verließ das Bad. Ich wusste nicht warum, aber ich hasste es einfach Lissy genannt zu werden. Liss ging noch, Lissy war hingegen ein absolutes Tabu.

"Ich mag es aber böse zu sein!", hörte ich sie sichtlich amüsiert hinterherrufen, bevor ich in meinem Zimmer verschwand. "Das ist nichts Neues", murmelte ich leise zu mir selbst.

Ich kämmte mir die Haare, schminkte mich ein klein wenig, wobei ich hauptsächlich die tiefen Schatten unter meinen Augen abdeckte oder es zumindest versuchte, zog mir eine enge Jeans, ein schwarzes Top und darüber einen grauen Cardigan an und betrachtete mich skeptisch im Spiegel. Wenigstens hatte ich eine schöne, schlanke Figur und einen relativ guten Style, ansonsten würde ich mein Aussehen aber eher als langweilig quittieren. Mein Gesicht war nämlich genau das - stinklangweilig. Da brachte auch keine Schminke der Welt was, außer man will aussehen wie James Charles höchstpersönlich. Zwar hing ich schon eine Weile dem Gedanken nach, zur Abwechslung meine Haare schulterlang zu schneiden oder pastellfarben zu färben, doch dafür war ich im Moment noch zu feige.

Als ich die Treppen runter und in die Küche schlenderte, um zu frühstücken, sah ich schon alle am Tisch sitzen, das heißt, meine Mom und Lena, die gleich von Mom zur Grundschule gefahren wird.

Sie saß seelenruhig und ausgeschlafen auf ihrem Stuhl, hatte das Handy von unserer Mutter in der Hand und stöpselte sich die Kopfhörer in die Ohren, dann bemerkte sie mich und streckte mir frech die Zunge raus. Ich wusste genau, was sie da mit dem Handy tat: sie sah sich YouTube Videos an, um neue Prank-Ideen zu sammeln, die sie dann mit Genugtuung an mir testet. Ich kniff die Augen zusammen und schenkte ihr einen bösen Blick, den sie aber nicht weiter beachtete. Kleines Monster.

Missmutig wünschte ich meiner Mutter einen guten Morgen und aß etwas, bevor ich meine weißen Schuhe anzog, mir meine Tasche schnappte und mit einem Bis später das Haus verließ.

Normalerweise regnete es hier ohne Ende und war meistens kalt. Dieses Jahr war es jedoch relativ warm, da die Sonne öfters schien, was mich umso mehr freute. Ich liebte die warmen Sonnenstrahlen und den sanften Wind, der mir ins Gesicht wehte. Nachdem ich einen Moment lang mit geschlossenen Augen die Sonne genossen und die frische Luft tief ein und aus geatmet hatte, stieg ich in meinen weißen Audi RS5 und fuhr ohne zu zögern los.

Meine besten Freunde Emilia, Jessica und ich wollten damals zusammen Geld für dieses Auto sparen und haben damit schon angefangen als wir ungefähr zwölf Jahre alt waren. Da später aber doch lieber jeder sein eigenes Auto haben wollte und meine Mutter den Rest bezahlt hat, gehörte es nun mir und Jess hat sich ein anderes Auto gekauft während Emy noch keins besaß. Da die beiden im wahrsten Sinne nebeneinander wohnten und ich sowieso an ihnen vorbei fuhr, wenn ich zur Schule musste, nahm ich sie meistens mit - so wie jetzt.

Wir sind die verrücktesten Hühner der Schule, das sag ich euch. Also macht euch auf was gefasst...

His Secret ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt