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Ich befuhr die gewohnte Straße mit den gemütlichen kleinen Häusern rechts und links, die jeweils einen sorgsam gepflegten Vorgarten besaßen und sah nach meinen Freunden, die ich wenige Augenblicke später vor Emys Haus erblickte. Die beiden standen sich gegenüber und wedelten mit ihren Händen und ruckartigen Bewegungen in der Luft umher. Als ich meine Augen zusammenkniff während ich langsam am Straßenrand hielt, erkannte ich jedoch grinsend, dass sie sich bloß wieder ein Schere, Stein, Papier-Duell lieferten, um auf eine harmlose Art zu klären wer dieses Mal wohl die Ehre besaß vorne zu sitzen.

Scheinbar gewann Jess, denn diese hopste fröhlich zum Auto und schmiss sich auf den Beifahrersitz während Emy augenverdrehend hinten einstieg. "Hey Mädels", begrüßte ich sie schmunzelnd. "Hey Lissy!", trällerten beide wie im Chor, worauf sie sich einen Moment lang anstarrten und dann losprusteten.

Na super. Kaum saßen sie fünf Sekunden im Auto, fing der Kindergarten auch schon an. Womöglich hatte es aber auch damit zu tun, dass wir uns eine Weile nicht mehr gesehen hatten und wir aufgeregt waren in die Schule zu kommen und zu sehen, wer oder was sich über die Zeit verändert hatte. "Schnallt euch lieber an, bevor ich euch mit einer Vollbremsung bis nach Kanada katapultiere, ihr zwei Makaken", gab ich schnippisch zurück, was sie nur noch mehr zum Lachen veranlasste.

Ich fuhr los, drückte die Fenster runter und drehte die Musik so laut, dass man den Bass deutlich in jeder Faser seines Körpers vibrieren spürte. Ich vergötterte die Musik mindestens genauso sehr wie mein kuscheliges Bett morgens vor der Schule und das taten meine Freunde auch. Man konnte mit Musik all seine Gefühle ausdrücken ohne auch nur ein Wort zu verlieren oder sie rief bei einem selbst die verschiedensten Emotionen hervor. Sie nahm mittlerweile einfach einen großen Teil meines Lebens ein, ob beim Essen, fertig machen, Hausaufgaben erledigen, einfach nur im Zimmer rumliegen und an die Decke starren oder beim Sport treiben, wobei letzteres fast ausschließlich in der Schule passierte - meine Ohren blieben dabei nicht verschont.

Gerade hörten wir Danza Kuduro von Lucenzo und Don Omar, wobei ich mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte und sangen lauthals mit, als wir an der Schule ankamen. Da die Fenster immer noch offen standen und einige Schüler sich bislang draußen befanden, schenkten sie uns merkwürdige Blicke. Zwei Schülerinnen, die auf einer Stange saßen, die Straße und Schulhof trennte, erwischte ich dabei wie sie sich sofort wegdrehten und zu tuscheln begannen, was mir jedoch nichts ausmachte, da ich sie sowieso nicht kannte. Normalerweise hatten sich schon alle an uns gewöhnt, doch scheinbar haben sie sich in den Ferien wieder abgewöhnt. Das würde sich mit Sicherheit noch ändern.

Wir stiegen aus und ich schloss das Auto ab, bevor wir das große Gebäude betraten und Richtung Klassenraum liefen. Dabei beobachtete ich die beiden schmunzelnd, die fröhlich vor mir her hüpften. Die hatten aber auch einfach immer gute Laune, selbst in der Schule. Wie sowas geht? Keine Ahnung.

Nachdenklich betrachtete ich Emys schwarze lockige und Jess' blonde glatte Haarmähne von hinten, die in alle Richtungen wippten.

Emy, Jess und ich waren momentan alle 17 Jahre alt und gingen in dieselbe Klasse. Die beiden kannten sich schon von klein auf, da sie ja praktisch zusammenwohnten und waren wie zwei durchgedrehte, unzertrennliche Geschwister. Ich kam dann als etwas ruhigere Person erst in der fünften Klasse dazu, was mich bis jetzt noch manchmal wie das dritte Rad am Wagen fühlen ließ, aber das war okay. Schließlich liebten sie mich trotzdem und waren sogar in schwierigen Zeiten immer für mich da. Wobei ich dazu vielleicht noch erwähnen sollte, dass ich es sowieso mochte auch mal Zeit alleine zu verbringen und es auf Dauer in Begleitung mehrerer Menschen nicht aushalten konnte. Das wurde mir dann irgendwann doch zu anstrengend.

Als wir den Klassenraum betraten, waren die meisten schon da und unterhielten sich oder machten Unsinn wie unser Klassenclown Max, der kleine Papierkügelchen zusammenrollte und diese dann mit einem Gummi, das um seine Finger gewickelt war, abfeuerte und durch den ganzen Raum fliegen ließ, bis diese dann die Jungs in der vordersten Reihe am Hinterkopf trafen. Der kam immer auf irgendwelche verrückten Gedanken...

Kurz vor den Sommerferien kam er auf die unglaublich dämliche Idee auf dem kompletten Boden des Klassenraumes Plastikbecher mit Wasser zu verteilen, was er mit seinen Freunden in die Tat umgesetzt hat. Die Schüler fanden es ganz lustig, doch wie unsere Lehrerin es fand, kann man sich ja wohl denken. Danach durfte Max alles alleine aufräumen und musste noch dazu den Boden wischen während wir in der Zwischenzeit im Computerraum alles machen durften, was wir wollten.

Er war der, der zwischen den ganzen Jungs in der Klasse das meiste Sagen hatte, sowie mein Ex-Freund. Eigentlich ein ziemlich hübscher Typ, wenn ich ehrlich war. Er hatte blonde Haare, blaue Augen, trug immer Caps und war ein wenig gebräunt - fast der typische Sunnyboy. Aber dennoch... Er war ein Arsch. Da half leider auch sein noch so gutes Aussehen nicht. Damals habe ich ihn dabei erwischt, wie er auf einer Party mit einer Fremden rumgemacht hat. Keine schöne Angelegenheit muss ich sagen. Seitdem hatte ich mich von Jungs distanziert und bin ihnen gegenüber eiskalt geworden. Max allerdings versuchte bis jetzt noch sich bei mir zu entschuldigen, verzeihen werde ich es ihm aber nie. Warum, werdet ihr noch früh genug merken.

Emy ging, kaum dass wir drinnen waren sofort wieder zu Mason, mit dem sie seit ein paar Monaten zusammen war, also blieben nur noch Jess und ich. "Komm, wir hocken uns ganz hinten hin", meinte sie und lief schon mal vor. Ich folgte ihr, wurde jedoch von Max gestoppt, der sich mir mitten in den Weg stellte.

"Lisa, lass es uns noch einmal versuchen. Neues Schuljahr - neues Glück?", er schaute mich aus seinen blauen Augen eindringlich an und biss sich verführerisch auf die Lippe, was er ständig tat, sobald ihn ein Mädchen auch nur ansah. Früher hatte mich das aus der Bahn geworfen, doch jetzt sah es nur noch lächerlich aus.

"Also erstens, dir auch einen wunderschönen guten Morgen und zweitens, wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass ich nichts mehr von dir will?", fragte ich ihn augenverdrehend und entriss ihm meinen Arm.

"Ich werde sowas nicht mehr machen, versprochen. Es war ein Ausrutscher", versuchte er sich herauszureden. "Ja klar ein Ausrutscher also", erwiderte ich skeptisch und zeigte ihm den Vogel. Was noch bescheuerteres ist ihm wohl nicht eingefallen.

Ich stieß ihn zur Seite und ging kopfschüttelnd auf meinen Platz, wo Jess schon auf mich wartete und mich fragend ansah. "Er hat's schon wieder versucht", klärte ich sie nur auf, woraufhin sie wissend nickte als auch schon Mrs Wood, unsere Klassenlehrerin reinkam und sich alle auf ihre Plätze setzten und Emy zu uns in die hinterste Reihe kam, wo sie neben Jess Platz nahm.

Mein Ex und seine Freunde saßen ebenso alle wie letztes Jahr in den hinteren Reihen, was aber auch klar war. Der Grund ist, um Mist zu bauen oder miteinander reden zu können ohne, dass einen direkt die Lehrer erwischen und ermahnen.

Wir hatten jetzt Mathe also würde es noch ziemlich langweilig werden. Ich hasse Mathe und Physik. Das waren die zwei schlimmsten Fächer auf der Welt. Ich meine wozu braucht man bitte Physik? Außer du willst beispielsweise Elektriker werden, aber sonst kann man sowas im Leben doch kaum gebrauchen, oder? Da wäre es doch viel relevanter uns irgendwas über Versicherungen und Steuern beizubringen und wie man mit seinem Geld haushaltet, um nicht pleite zu gehen. Das war wenigstens etwas, was man in Zukunft wirklich braucht, aber nicht in der Schule lernt. Außer vielleicht man geht später zum Beispiel in ein Community College.

Mrs Wood lief zum Lehrerpult und verkündete während sie ihre Unterlagen auspackte: "Ich hoffe ihr hattet schöne Sommerferien und seid jetzt wieder fit für die Schule. Gleich kommen zwei neue Schüler in die Klasse. Bitte seid nett zu ihnen und benehmt euch." Sie sah uns alle nacheinander streng an. Vor allem verweilte ihr Blick dabei aber bei Max. "Ach ja, nach der Stunde wird es eine Info geben, auf die ihr euch freuen könnt", fügte sie noch munter hinzu.

Sobald die Wörter neue Schüler über ihre Lippen kamen, wurde es schlagartig still in der Klasse. Alle waren so überrascht, dass niemand wusste, was er sagen soll, während wir zusahen wie unsere Lehrerin Aufgaben auf die Tafel schrieb. Niemand hatte damit gerechnet, dass wir Zuwachs bekommen würden und informiert wurden wir vor den Ferien auch nicht.

Kurze Zeit später klopfte es auch schon an der Tür und zwei Jungs kamen herein.

His Secret ✓Where stories live. Discover now