> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟰

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Als ich am Sonntagvormittag endlich aus dem Bett steige und mich angezogen und gewaschen habe, ziehe ich meine Vorhänge zur Seite und öffne das Fenster, um friste Lust ins Zimmer herein zu lassen. Obwohl sich der Sommer so langsam dem Ende naht, ist es immer noch ziemlich warm. Währenddessen vernehme ich eine Stimme, die ich leider nur allzu gut erkenne und ich bemerke, dass das gegenüberliegende Fenster ebenfalls geöffnet ist. Natürlich ist das sein Zimmer. Etwas anderes hätte mich jetzt auch gewundert. Wann hat sich mein Leben eigentlich in ein riesiges Klischee verwandelt? Wenn ich später in den Garten gehe und einen trainierenden halbnackten Blake im Nachbargarten sehe, werde ich sofort zu meinen Eltern laufen und einen erneuten Umzug verlangen. Das wäre definitiv zu viel für mich. Aber vielleicht enttarnt sich dann auch ein Kamerateam, das sich versteckt hat und mich für eine neue Folge von dieser Serie, wo Leuten ständig Streiche gespielt werden, zur neuen Attraktion erkoren hat.

Ich wende mich von dem Fenster ab, schnappe mir ein Buch und gehe nach unten. Meine Eltern sitzen beide auf der Terrasse und trinken Kaffee. Mit einem „Morgen" begrüße ich beide.

„Guten Morgen, Schatz. Wenn du etwas frühstücken möchtest, kann ich dir gerne etwas machen", schlägt Mim wieder voll in ihrem Element vor.

„Danke, Mom, aber das ist nicht nötig. Ich mache mir einfach ein Sandwich." Sie rümpft die Nase und wendet sich wieder ihrem Kaffee zu. Im Gegensatz zu ihr bin ich viel einfacher gestrickt und brauche nicht immer ein fünf-Sterne-Gericht, um glücklich zu sein.

Nachdem ich in die Küche gegangen bin und mir ein Sandwich gemacht habe, setze ich mich zu den beiden nach draußen.

„Und bist du schon aufgeregt wegen morgen?", fragte Dad, als er seine Zeitung zuklappt und zur Seite legt.

Heute ist der letzte Tag der Ferien, was bedeutet, dass morgen der erste Schultag an meiner neuen Schule ist. „Ein bisschen", gebe ich zu. Natürlich bin ich aufgeregt, aber es ist eher eine positives aufgeregt sein, als ein negatives. Ich freue mich schon, mir endlich ein neues Image aufzubauen und neue Leute kennenzulernen.

„Wenigstens kennst du schon einen deiner neuen Mitschüler", schmeißt Mom ein.
Verwirrt sehe ich sie an, woraufhin sie nur mit den Augen rollt. „Hast du gestern nicht zugehört? Blake ist doch in deinem Alter. Vielleicht führt er dich ein wenig herum und zeigt dir alles, wenn du nett fragst." Bloß nicht. Ich habe mir fest vorgenommen, ihn zu meiden. Na ja, so gut man einen Mitschüler, der ebenfalls ein Nachbar ist, eben aus dem Weg gehen kann.

„Ja, bestimmt", erwidere ich und widme mich meinem Sandwich. Als ob Blake Parker mich freiwillig durch die Schule führen würde. Als ob ein Senior sich die zeit nehmen würde, irgendeinem Junior alles zu zeigen. Wir mögen zwar Nachbarn sein, aber das war's dann auch schon. Blake hing damals schon immer mit Älteren und den Beliebten ab, da wird er sich sicher nicht auf mich herablassen. Das hat er ja schon einmal mehr als deutlich gemacht.

Nach meinem Frühstück bringe ich meinen Teller in die Küche und lege mich im Garten mit meinem Buch auf die Liege. Es ist schön ruhig. Die einzigen Geräusche, die man hört, sind Nachbarn, die sich leise unterhalten oder in einem Pool schwimmen. Bei so einer Atmosphäre kann ich mir kaum vorstellen, in einer lauter Stadt wohnen zu wollen.

*

„Du bist viel zu schnell, Blake! Da komme ich doch gar nicht mit", höre ich eine quengelnde Jungenstimme.

„Ist nicht meine Schuld, wenn du zu langsam bist, Ash."

Sofort schlage ich meine Augen wieder auf. Mein Buch liegt neben mir im Gras. Ich muss eingeschlafen sein.

„Du hast viel längere Beine."

„Ach was. In deinem Alter konnte ich schon locker mit Dad mithalten. Du bist einfach nicht richtig in Form."

„Nur weil du in deiner Schulmannschaft bist, heißt das noch lange nicht, dass ich auch so fit sein muss wie du." Er spielt also immer noch Football. Das wundert mich nicht, schließlich war er damals schon wirklich gut. Jetzt ist er bestimmt noch besser und ich wette, er gehört auch hier zu den Beliebten. Es würde mich sehr wundern, wenn es nicht so wäre.

„Avery! Fiona ist am Telefon", reißt mich die Stimme meiner Mom aus meinen Gedanken und ich falle fast von Liegestuhl. Super. Hoffentlich denkt Blake nicht, ich hätte ihn und seinen Bruder beim Footballspielen belauscht.

„Mom, erschreck mich doch nicht so." Ich stehe auf, nehme ihr das Telefon aus der Hand und gehe nach oben in mein Zimmer.
„Was gibt's, Fio?"

„Oh mein Gott, Avery Harrison, warum gehst du den ganzen Tag nicht an dein Handy?!", schreit sie mir so laut ins Ohr, dass ich das Telefon kurz ein Stück von meinem Ohr weghalten muss, damit mein Trommelfell nicht platzt.

„Sorry. Ich war im Garten und..."

„Ist ja auch egal. Ich muss dir unbedingt etwas erzählen. Gestern war ich auf Amy McHarons Party und – oh mein Gott – Trevor war auch da. Wir haben geredet und dann habe ich mit ihm und noch anderen aus der zwölften Bierpong gespielt. Trevor und ich waren in einem Team und wir haben gewonnen..."
Fiona steht schon seit längerem auf Trevor Porter, hat sich aber bisher nicht getraut, sich ihm irgendwie anzunähern, obwohl man deutlich merkt, dass er ebenfalls Interesse hat. Ich bin zwar alles andere als eine Expertin auf diesem Gebiet, aber das ist selbst mir aufgefallen. „Und dann haben wir uns in einer Ecke auf Amys Terrasse, wo wir ungestört waren, geküsst. Seine Lippen sind so unfassbar weich."

Sie kann gar nicht mehr aufhören, von Trevors traumhaften Lippen zu schwärmen, aber ich unterbreche sie nicht. Es ist schön zu hören, dass meine beste Freundin glücklich ist.

„Wir haben uns sogar für morgen früh vor der Schule verabredet, sodass wir gemeinsam hereingehen können. Ist das nicht toll?"

„Klingt super", antworte ich begeistert, klinge dabei jedoch nur halb so glücklich wie Fiona.

„Oh Mann, bin ich ein Trottel. Bist du schon aufgeregt wegen morgen?", fragt sie.

„Ist schon okay. Ein bisschen, ja, aber so schlimm wird's schon nicht." Ich entscheide mich dagegen, ihr von Blake zu erzählen. Das würde nur ihre Stimmung kaputt machen. Und eigentlich gibt es ja auch nichts zu erzählen. Wir sind Nachbarn, okay. Nein, eigentlich ist es nicht okay, aber ich kann es nicht ändern. Außerdem bin ich mittlerweile selbstbewusst genug, um ihn zu ignorieren oder ihn wie jeden anderen Mitschüler zu behandeln. Und verliebt in ihn bin ich auch nicht mehr. Meine Chance auf einen Neuanfang werde ich mir nicht nehmen lassen.

„Da hast du bestimmt recht. Sie werden sich auf dich stürzen, Ave. Glaub mir, alle werden mit dir befreundet sein wollen."

Unwillkürlich muss ich auflachen. „Übertreib's mal nicht. So beliebt bin auch nicht."

„Du bekommst das hin. Sei einfach du selbst und du wirst die richtigen Leute schon finden", erwidert meine beste Freundin überzeugt.

„Wow, Fio, wie erwachsen und fast schon poetisch für deine Verhältnisse."

„Du weißt ja, was man sagt. Liebe macht einen guten Poeten aus oder so ähnlich", lacht sie am anderen Ende der Leitung.

„Ja, oder so ähnlich", wiederhole ich und stimme in ihr Lachen mit ein.

Sie hat recht. Das wird schon. Außerdem sind es nur noch zwei Jahre, die ich auf der Highschool aushalten muss und nur noch ein Jahr davon ist Blake hier. Dann wird er sicher wegziehen und auf ein gutes College gehen und ich habe ein entspanntes letztes Schuljahr.
Knapp zwei Jahre Gelächter habe ich schon überlebt, dann werde ich die restlichen zwei auch noch locker durchstehen.

(𝗡𝗼𝘁) 𝗬𝗼𝘂 𝗔𝗴𝗮𝗶𝗻Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt