> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟯𝟵

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Haare offen lassen oder zusammenbinden? Jeans oder vielleicht doch ein Kleid? Nein, das wirkt zu gestylt und so möchte ich definitiv nicht rüberkommen. Das würde zu sehr auffallen und das ist das letzte, was ich will. Also entscheide ich mich für eine Jeans und ein weißes T-Shirt. Ein ganz normales Outfit an einem ganz normalen Morgen. Jedenfalls rede ich mir das ein.

Nachdem ich gestern von Brianna nach Hause kam, habe ich mich in meinem Zimmer versteckt, meine Vorhänge zugezogen und die Rollos runtergelassen, damit Blake auch keine Chance hatte, mich zu sehen und andersherum auch nicht. Ich kann nur von Glück reden, dass die Parkers dieses Wochenende nicht bei uns zum Essen eingeladen waren, denn ich hätte nicht gewusst, wie ich mich Blake gegenüber hätte verhalten sollen. Nicht, dass ich es heute weiß, aber wenn wir mit unseren Eltern nach unserem Kuss am Samstag gemeinsam am Tisch gesessen hätten, hätte ich der Tomatensoße unserer Spaghetti Konkurrenz gemacht.

Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass es Zeit ist, mich aus dem Haus zu wagen und Blake unter die Augen zu treten. In dem Moment, als ich die Haustür hinter mir schließe, kommt er ebenfalls heraus. Als ich mich seinem Auto nähere, lächelt er mich an und steigt ein. Oh Gott, wie soll ich diese Fahrt überstehen? Ich hätte doch besser den Bus nehmen sollen, aber das hätte die Situation nicht besser gemacht. Also überwinde ich mich, ignoriere meine Nervosität und steige ein.

Die ersten Minuten spricht keiner von uns und wir hören nur All Time Low zu, bis wir an einer Ampel zum stehen kommen.

Blake räuspert sich. „Hör mal, Avery. Wegen Samstag..." Ich hatte bereits befürchtet, dass er es ansprechen würde, aber ich möchte darüber nicht reden.

„Es ist alles okay, Blake. Es war deine Pflichtaufgabe und die hast du durchgezogen", unterbreche ich ihn und zwinge mich zu einem Lächeln. Er betrachtet mich kurz, ehe er wieder losfährt.

Bis zum Schulparkplatz sagt er nichts mehr und ich bin mehr als erleichtert, dass er das Thema fallengelassen hat. Doch als er den Motor ausstellt, bleibt er noch sitzen und hält die Autotüren noch geschlossen, obwohl ich aussteigen möchte.

„Ja, das war nur ein Spiel", beginnt er erneut. „Aber... es tut mir leid, dass ich nicht gefragt habe, ob du damit einverstanden warst."
Noch immer liegt meine Hand auf dem Türöffner, bereit, sofort runtergedrückt zu werden, damit ich ganz schnell hier weg kann.
„Avers", spricht er sanft. Ich weiß nicht, was es ist, aber dieser Spitzname löst etwas in mir aus, von dem ich nicht möchte, dass es existiert.

Mein erstarrter Körper gibt nach und ich lasse die Tür los. Bevor ich mich zu ihm umdrehe, atme ich tief durch. In seinen Augen ist Sorge zu erkennen. Was geht ihm gerade durch den Kopf?

„Du hast verängstigt gewirkt. Warum? Das war doch nur ich." Er sagt es mit einer Leichtigkeit die sich wie eine Schwere in meinem Magen ausbreitet. Ja, er war es. Aber genau darin liegt das Problem.

„Ich war nur... keine Ahnung, ich war überfordert... und, und dann haben uns alle angestarrt. Da bekam ich Panik", antworte ich und kann das Zittern in meiner Stimme nicht verbergen. Dass es sich dabei um meinen ersten Kuss handelte, sage ich ihm nicht. Das ist wirklich das Letzte, was er wissen soll.

Blake betrachtet mich immer noch kritisch. „Ist alles in Ordnung zwischen uns?", fragt er schließlich und scheint wirklich verunsichert zu sein. Ich erwische mich dabei, wie ich mich frage, ob er bei unserem Kuss auch etwas Gefühl hat, schlage mir diesen Gedanken jedoch direkt wieder aus. Er hat eben wortwörtlich gesagt, dass es nur ein Spiel war, also glaube ich wohl kaum, dass es ihm so ging wie mir. Außerdem war er doch der Erste, der gegangen ist. Ich weiß nicht genau, was ich gefühlt habe – es war alles viel zu viel auf einmal für mich – aber irgendwas war es. Das ist mir letzte Nacht klargeworden, so sehr ich mich auch dagegen gesträubt habe.

„Ja, es ist alles in Ordnung", bestätige ich und zwinge mich zu einem Lächeln, um meine Lüge wenigstens schön zu verpacken. „Es war nur ein blödes Spiel." Ich habe nicht damit gerechnet, wie bitter diese Worte schmecken würden, bevor ich sie aussprach.

Blake erwidert mein Lächeln. „Gut. Wir sehen und." Er öffnet die Türen und ich steige endlich aus.

Draußen habe ich endlich wieder das Gefühl, atmen zu können. Hinter einem Auto halte ich inne und hole tief Luft. Was war das gerade? Hat er etwas bemerkt? Gab es überhaupt etwas zu bemerken? Keine Ahnung. Das Wichtigste jedoch ist, dass ich meine Freundschaft zu Blake gerettet habe. Hoffe ich jedenfalls.

*

„Werde ich langsam paranoid oder starren die anderen mich wirklich an?", frage ich an Bri gerichtet, als wir uns in der Mittagspause in der Mensa treffen. Den ganzen Morgen schon spüre ich Blicke in meinem Rücken, doch immer, wenn ich mich umdrehe, wenden die anderen sich ab und tun so, als wäre nichts. Doch ich kann es deutlich spüren und das verunsichert mich ungemein.

„Nein, die starren dich wirklich an", bestätigt sie und beißt in ihren Burger.

„Aber wieso?"

Meine Freundin hebt ihren Kopf und schmeißt mit einen bedeutungsvollen Blick zu. „Komm schon, Ave. Die Highschool lebt von Gossip. Das müsstest du doch am besten wissen."

Bevor ich etwas erwidern kann, setzen sich Maeve und Mackenzie neben uns und schauen mich an, als hätte ich etwas Wichtiges zu verkünden.

„Äh... ist irgendwas?", frage ich nervös und blicke zwischen den beiden hin und her. M&M haben seit Wochen nicht mehr wirklich mit mir geredet, also was wollen sie ausgerechnet jetzt?

„Ist es wahr, dass du auf Sarah Montgomerys Party am Samtag mit Blake rumgemacht hast und jeder zugesehen hat?", fragt Mave gossipdurstig.

„Ähm... nein. Doch. Na ja, wir haben nur Wahrheit oder Pflicht gespielt, nichts weiter", sage ich leichthin tue es mit einem Lächeln ab, obwohl schon bei de Erwähnung des Kusses Nervosität in mir aufsteigt.

Maeve sieht enttäuscht, aber auch erleichtert aus. „Ach so. Wir waren nicht lange da und sind dann noch zu einer anderen Party, deswegen haben wir nur davon gehört. Dann wird es wohl spektakulärer erzählt als es wirklich war. Ist ja nicht so, als wärst du die erste gewesen, die Blake bei so einem Speil küssen musste."

Es wäre eine Lüge, würde ich sagen, dass diese Worte leicht zu verdauen sind, aber ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen und meine Fassade zu wahren. Natürlich hat Blake schon andere Mädchen geküsst. Das war mir schon immer klar, aber das zu hören, nachdem der mich geküsst hat, setzt mir zu. Ich bin nicht anders als die anderen. Ich bin nur ein anderes Mädchen. Was genau habe ich da eigentlich gedacht?

„Können wir dann wieder in Ruhe essen, ohne angestarrt zu werden?", schaltet sich nun Bri ein und ich bin ihr mehr als dankbar dafür.

Maeve und Mackenzie wenden ihre Blicke von mir zu Brianna und schauen fast schon angeekelt auf ihren Teller mit dem halb aufgegessenen Burger. „Natürlich. Eine schöne Pause noch."

Nachdem die beiden weg sind, trifft mein Blick den von Blake einige Tische weiter hinter uns und ich muss mich zwingen, wegzusehen. Maeves Worte wiederholen sich in meinen Gedanken wie ein Lied auf repeat. Wenn ich daran denke, wo Blakes Lippen vorher schon waren, möchte ich mich übergeben. Wie ist es eigentlich möglich, dass ein einzelner Kuss die Macht hat, alles durcheinander bringen zu können?

„Avery? Geht's dir gut?" Meine Freundin schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

Erneut setze ich ein Lächeln auf und bemerke, dass ich das heute schon viel zu oft getan habe. „Ja. Ich musste gerade nur daran denken, dass ich als nächstes Chemie habe", antworte ich und verdrehe die Augen, um meine Genervtheit zu unterstreichen.

„Okay." Sie klingt wenig überzeugt, aber das kann ich gerade nicht ändern. Was ich aber ändern kann, sind meine Gefühle für Blake. Es war nur ein Spiel; nur ein Kuss. Mehr nicht und das sollte mich nicht so aus der Fassung bringen. Ihm hat es nicht bedeutet, also sollte es mir genauso wenig bedeuten. Eine Berührung von zwei Mündern, was ist das schon? Menschen machen das ständig, ohne dass es eine Bedeutung haben muss. Es ist etwas absolut normales. Und doch war es das nicht.

(𝗡𝗼𝘁) 𝗬𝗼𝘂 𝗔𝗴𝗮𝗶𝗻Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt