> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟮𝟵

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Am Freitagabend gibt Mom sich mit dem Abendessen noch mehr Mühe als sonst, was für mich ein Grund zur Beunruhigung ist. Sie hat Steak mit Brit und Salat gemacht. An sich scheint es ein ganz normales Essen zu sein, aber dass es bei uns Steak gibt, ist eine Seltenheit und das macht sie eigentlich nur zu besonderen Anlässen, aber für heute fällt mir keiner ein. Niemand hat Geburtstag, niemand ist zum Abendessen eingeladen und der Jahrestag meiner Eltern war bereits.

Mit einem unguten Gefühl setze ich mich an den gedeckten Tisch und betrachte das Essen vor mir. Wie immer hat sich Mom viel Mühe gegeben. Misstrauisch betrachte ich meine Eltern. Irgendwas stimmt nicht und ich habe Angst, ein Gespräch anzufangen, doch ich habe das Gefühl, wenn ich es nicht tue, wird es niemand. Also lege ich meine Gabel hin und räuspere mich. Mom und Dad schauen von ihren Tellern auf.

„Was ist los? Seit wann machst du einfach so Steaks?", frage ich zuerst an Dad gewandt, dann an Mom.

Zögernd legt sie ebenfalls ihre Gabel hin. „Es gibt da etwas, das wir dir sagen müssen." Mom sieht zu Dad rüber.

„Und was?", dränge ich. Diese Worte lösen bereits Angst in mir aus und ich kann nicht anders, als von Schlimmsten auszugehen. Ich hoffe nur, dass niemand gestorben ist.

„Wir haben ja gesagt, dass wir an Thanksgiving zurück nach Hanford fahren", beginnt Mom.

„Stimmt. Wir wollten das Wochenende über zur Familie und Fiona", unterbreche ich sie.
Auf ihrem Gesicht zeichnet sich Bedauern ab.

In meinem Gehirn beginnt es zu rattern. „Nein", flüstere ich, als mir klar wird, was sie mir versucht zu sagen. „Das stand doch schon von Anfang an fest."

„Es tut mir leid, Schatz, aber wir können nicht zu ihnen fahren." In diesem Moment verpuffen all meine Vorstellungen. Statt mich gemeinsam mit meiner Familie und meiner besten Freundin an Thangsgiving, sehe ich nur noch ein schwarzes Bild. Bisher haben wir jedes Thangsgiving mit meiner Tante Erica, ihrem Mann und meiner Cousine Leah gefeiert. Also was ist dieses Jahr anders?

„Wieso denn nicht?", frage ich und kann meine Enttäuschung nicht verstecken.

Mom wirft Dad einen kurzen Blick zu. „Erica und ihre Familie sind bei Onkel Adams Vater in Colorado."

„Wieso feiern wir denn nicht einfach alle zusammen? Sein Vater kann doch einfach so wie wir zu ihnen kommen und Problem ist gelöst."

Diesmal übernimmt Dad das antworten. „Er kann nicht mehr fliegen. Es geht nicht, Avery."

„Was ist das denn für eine Antwort? Es geht nicht. Das ist doch nur eine lausige Ausrede für etwas, das ihr mir nicht erzählen wollt", erwidere ich aufgebracht. „Warum sind wir nicht mehr willkommen? Wir haben Thanksgiving immer gemeinsam gefeiert!"
Keiner der beiden sieht aus, als würde er mir eine Antwort geben wollen. „Was habt ihr gemacht?" Zuerst schaue ich Dad an, dann Mom.

„Es herrschen gewisse Spannungen", beginnt Dad vorsichtig, doch ich schnaube nur. „Du willst mich doch nur verarschen." Ich rücke den Stuhl nach hinten und stehe auf. „Ich gehen in mein Zimmer. Ich habe nämlich keine Lust, mit Lügnern an einem Tisch zu sitzen." Ich stampfe die Treppe nach oben und schließe lautstark meine Tür. Eigentlich wollte ich meinen Teller noch leer essen, aber och konnte bei ihnen nicht ehr sitzen bleiben. Wieso können wir nicht nach Hanford fahren? Als ob es irgendwelche Spannungen geben würde. Mom und Tante Erica sind so eng miteinander wie beste Freundinnen und haben sich noch nie gestritten. Wenn es Streit geben würde – da bin ich mir sicher – hätte ich das gewusst. War haben Leah und ich nicht die beste Beziehung zueinander, aber wir schreiben hin und wieder miteinander. Wenn etwas gewesen wäre, hätten wie sicher darüber gesprochen.

Eine eingehende SMS unterbricht meine Gedanken. Fiona hat mir ein Bild von unserem Lieblingscafé geschickte und darunter Bald sitzen wir wieder gemeinsam hier geschrieben.

Meine Wut verwandelt sich in ein schlechtes Gewissen. Wie soll ich meiner besten Freundin erklären, dass wir uns erst Wochen später sehen als geplant? Sie wird garantiert wütend und verletzt sein. Untypisch für mich, lasse ich ihre Nachricht unbeantwortet.

*

Am Frühstückstisch am nächsten Morgen ist die Stimmung immer noch angespannt und niemand ergreift das Wort. Still kauen wir vor und hin, bis Dad sich räuspert. „Es tut mir leid, dass du Fiona nicht sehen kannst, Avery." Kurz hebe ich meinen Blick, senke ich dann jedoch wieder auf mein Brot. „Aber an Weihnachten werden wir zurückfahren. Indianderehrenwort." Indianerehrenwort. Was denkt er, wie alt ich bin? Acht?

„Schon okay, Dad", erwidere ich, ohne ihn anzusehen. „Eigentlich könnte ich doch auch alleine zu...", beginne ich, komme jedoch nicht weit, da Mom mich unterbricht. „Auf keine Fall, Avery. Du bist 16!" Sie sagt es mit solch einer Entschlossenheit, dass ich sofort weiß, dass eine Diskussion zu nichts führen wird. Also entscheide ich mich, es auch nicht zu versuchen.

„Du brauchst mich auch nicht so bockig anzusehen. Ich lasse dich bestimmt nicht stundenlang alleine in einem stickigen Bus fahren. Wer weiß, was da alles passieren kann."

Ich atme tief durch und setze ein falsches Lächeln auf. „Okay, Mom."

Damit hat sie wohl nicht gerechnet. Ihrem überraschten Blick nach, dachte sie wohl, ich hätte mit ihr diskutieren wollen. Irgendwie ist dieser Blick eine kurze Genugtuung für mich.

Den restlichen Tag gehen wir uns aus dem Weg und ich schreibe Fio eine Nachricht, dass ich nicht mit ihr skypen könne, weil es mir ziemlich mies gehe. Was genau genommen nicht gelogen, aber trotzdem irgendwie eine Lüge ist. Ich bin noch nicht dazu bereit, ihr die Wahrheit zu sagen.

Am Sonntag kommt Familie Parker wieder zu uns und es gibt Lasagne. Mom und Maggie reden durchgängig  über irgendwas, Dad und Blake sprechen hauptsächlich über das Footballspiel, das im Hintergrund läuft und Ash isst still sein Stück Lasagne, genau wie ich. Obwohl ich mein Stück eher auseinanderzupfe und es auf meinem Teller hin- und herschiebe. Ganz darin versunken, bemerke ich zuerst nicht, dass Ashton mir angestupst hat, bis er meinen Namen sagt.

Überrascht blicke ich auf.

„Ist alles okay?", fragt er mit zusammengezogenen Augenbrauen. mit diesem Blick erinnert er mich an Blake. Beide haben die gleiche Augenfarbe, obwohl sie bei Blake ganz anders wirkt. Irgendwie durchdringender und verschlossener und weniger neugierig und offen wie Ashtons.

„Ja, und bei dir?", gebe ich mit einem bemühten Lächeln zurück. Argwöhnisch mustert er mein Gesicht. Ich habe das Gefühl, all könnte er in meine Gedanken sehen und wende meinen Blick wieder der Lasagne zu.

„Bei mir schon. Ich hoffe, dir geht es bald auch wieder gut", antwortet er und scheibt sich das letzte Stück seiner Lasagne in den Mund.
Erstaunt sehe ich ihn leicht von der Seite an. Die Jungs dieser Familie überraschen mich wimmer wieder und irgendwie scheinen sie immer mehr mitzubekommen, als man denkt.

(𝗡𝗼𝘁) 𝗬𝗼𝘂 𝗔𝗴𝗮𝗶𝗻Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt