> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟯𝟮

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Der nächste Morgen ist alles andere als normal. Mir ist klar, dass es eigentlich ein gewöhnlicher Donnerstag ist, aber irgendwie werde ich dieses komische Gefühl nicht los. Es ist schon merkwürdig, mit Mom den Truthahn und den Sußkartoffelauflauf vorzubereiten, statt mit Leah den Tisch zu decken. Dieser Aufgabe hat sich nun Dad gewidmet. Er hat sich wirklich Mühe gegeben, das muss man ihm lassen. Trotzdem musste ich einige Sachen verändern, als er den Raum verlassen hat. Mit Tischschmuck hat er es nämlich nicht so. Deswegen macht er sonst auch immer den Nachtisch.

Wir brauchten den ganzen Morgen und Vormittag, um alles vorzubereiten, aber das Gute daran ist, dass Mom mit unserem Ergebnis zufrieden ist und das muss schon etwas bedeuten. Diese Frau zufrieden zu stellen grenzt fast schon an Unmöglichkeit.

Das bedeutet, dass war noch ein paar Stunden haben, bis die Parkers rüberkommen und mit uns essen. Da ich wenigstens eine Tradition an Thanksgiving einhalten möchte, hole ich mein typisches Feiertagsoutfit aus dem Schrank. Dabei handelt es sich um einen mittellangen hellbraunen Rock mit drei Knöpfen vorne und ein weißes T-Shirt. Zum Glück wohnen wir in Kalifornien und nicht in einem anderen Bundesland, in dem es in dieser Jahreszeit so kalt ist, dass man einen Pullover tragen muss.

Ich entschließe mich, Fiona noch eine Nachricht zu schreiben, auch wenn gerade Funkstille zwischen uns herrscht, schreibe ich ihr Happy Thanksgiving! Bevor ich runtergehe, schmeiße ich noch einen letzten Blick in den Spiegel neben meinem Schrank. Meine Haare habe ich offen gelassen und zur Abwechslung mal meine Brille angelassen statt sie durch Kontaktlinsen auszutauschen. Für dieses Essen würde sich das nicht lohnen. Außerdem hat Blake mich schon mit Brille gesehen und es ist wie eine Art Regel für mich, dass ich an Feiertagen nie Kontaktlinsen trage. Ich weiß, das ist lächerlich, aber wenn ich meine Familie um mich habe, fühle ich mich wohler, eine Brille zu tragen. Schließlich kennen sie mich nicht anders und sie würden mich nie als Nerd oder Brillenschlange beleidigen.

So gehen 17 Uhr klingelt es an der Tür. Da Mom und Dad noch beschäftigt sind, gehe ich und öffne sie. Davor steht eine freundlich lächelnde Maggie Parker mit einem Tablett in den Händen. Sie trägt eine helle Bluse und die Haare nach oben gesteckt, was sehr schick aussieht und ihr gut steht. „Hallo, Avery."

„Hallo", erwidere ich ihre Begrüßung und trete zur Seite, sodass die drei eintreten können.

Nach ihr kommt Ashton herein, der ebenfalls einen Kuchen den Händen zu halten scheint und zuletzt tritt Blake ein. Auch er hält ein Kuchenbleck in den Händen und lächelt mich an. Blake trägt eine dunkle Jeans und ein weißes Hemd, das bis zu den Ellbogen hochgekrempelt ist. Seine Haare sehen so aus wie immer und ich muss zugeben, dass er ziemlich gut aussieht.

„Jetzt haben wir auf jeden Fall genug Nachtisch", sagt er und deutet auf das Tablett in seinen Händen. Oh Gott. Ich habe ihn angestarrt. Mit heißen Wangen wende ich mich ab und schließe die Tür. „Da hast du wohl recht. Satt werden wir bestimmt." Mit einem Lächeln drehe ich mich wieder zu ihm.

„Ich habe extra gute Rezepte für die Kuchen rausgesucht."

„Na dann bin ich mal gespannt, ob es eine gute Wahl war", erwidere ich und erinnere mich daran, dass er gerne Kuchen mag.

Wir gehen in die Küche, wo Blake sein Tablett auf die Anrichte zu den anderen stellt. Der Truthahn und der Auflauf stehen bereits auf dem Tisch, sodass wir direkt essen können.

Zu Beginn des Essens schien alles wie ein normales Sonntagsessen, doch im Laufe des Nachmittags, wurde die Anspannung immer greifbarer. Ich glaube, wir vermissen alle einfach nur unsere Traditionen und Familien. Trotzdem versuchen die Erwachsenen, die Stimmung irgendwie am Leben zu erhalten. Mom, Maggie und Dad erzählen Witze, doch niemand von uns lacht. Ashton scheint generell ein Kind zu sein, das kaum lacht und einfach ein ernstes Gesicht hat. Aber um ihn mache ich mir keine Sorgen. Blake starrt nun schon seit mindestens einer Viertelstunde seinen noch vollgeladenen Teller an. Immer mal wieder nimmt er einen kleinen Bissen und starrt dann wieder vor sich hin. Ich glaube nicht, dass es ihm nicht schmeckt. Dazu vergötterte er das Essen meiner Mom zu sehr. Ich vermute eher, dass es etwas anderes gibt, das ihn beschäftigt. Gerne würde ich ihn fragen, aber am Tisch, wo alle zuhören, halte ich das für keine gute Idee. Vielleicht kann ich ihn später für eine Minute sprechen.

(𝗡𝗼𝘁) 𝗬𝗼𝘂 𝗔𝗴𝗮𝗶𝗻Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt