> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟱𝟮

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Als ich noch jünger war, habe ich Weihnachten geliebt. Ich fand es toll, Zeit mit meiner Familie zu verbringen und Weihnachtslieder zu hören. Von dem Weihnachtsessen meiner Mom muss ich gar nicht erst anfangen. Doch je älter man wird, desto weniger aufgeregt ist man und ich glaube, so langsam bin ich auch an diesem Punkt angekommen. So wenig in Weihnachtsstimmung wie in diesem Jahr war ich noch nie. Trotzdem versuche ich es so gut ich kann, dass die anderen mir das nicht anmerken können.

Blake, Bri und Fio habe ich heute Morgen schon eine SMS mit Weihnachtsgrüßen geschickt und von allen welche zurückbekommen. Die Nachricht von Blake kam zuerst. In den letzten Tagen habe ich so gut wie keinen Kontakt mit ihm gehabt. Er hat mich zwar gefragt, wie es mir gehe und wie es mit der Familie so laufe, doch meine Antworten bestanden nur aus kurz angebundenen Sätzen. Irgendwie fühle ich mich deswegen ein bisschen schlecht. Aber andererseits ist Weihnachten und da habe ich andere Dinge zutun und mich mit anderen Leuten zu beschäftigen, als mit Blake. Auch, wenn ich unglaublich gerne wieder mit ihm reden würde.

Meine Cousine stupst mich an und ich zucke erschrocken zusammen. „Ich habe gefragt, ob du auch noch etwas von dem Tiramisu möchtest."

Verwirrt blinzle ich sie an, ehe ihre Worte zu mir durchdringen. „Äh, ja. Aber ich nehme mir selbst ein Stück.

Wir beide stehen auf und gehen in die Küche, wo der Nachtisch auf der Anrichte steht: verschiedene Puddingsorten, Kuchen, Muffins und Tiramisu. Wie gesagt, wir haben nie zu wenig von irgendwas.

Während ich mir mit dem Löffel ein Stück Tiramisu rausschneide, betrachtet Leah mich von der Seite. „Ist irgendwas?", frage ich und belade meinen Teller.

„Du bist in den letzten Tagen total abwesend. Gibt es irgendwas, das ich wissen müsste?"

Ich übergebe ihr den Löffel. „Nein." Damit drehe ich mich um und gehe zurück ins Wohnzimmer. Solange den Erwachsenen nicht auffällt, dass ich mich anders verhalte als sonst, komme ich damit klar, dass Leah mich ständig argwöhnisch ansieht.

*

Zwei Tage nach Weihnachten fahren Fiona und ich ins Kino. Leider muss sie kurzfristig arbeiten, weil ihr Kollege Michael sich heute Morgen den Fuß gebrochen hat und nun im Krankenhaus ist. Doch ich habe es nicht länger mit meiner Familie ausgehalten und brauche unbedingt Ablenkung. Von daher ist es mir egal, dass ich eigentlich nur an der Snackbar sitze und mit Fio rede, wenn gerade niemand Popcorn oder Nachos möchte, was gar nicht so oft passiert, wie ich verwundert feststelle. Um Weihnachten herum gehen wohl nicht so viele Leute ins Kino wie sonst, oder die Filmauswahl ist nicht allzu gut.

„Du weißt, dass du dir auch einen Film anschauen kannst, während ich hier arbeite, oder? In ein paar Stunden ist meine Schicht sowieso vorbei, dann können wir noch etwas unternehmen."

Ich schüttle den Kopf und stopfe mir eine Hand voll Popcorn in den Mund. „Ist schon okay. Außerdem brauche ich eine Pause vom Filmeschauen." Denn in den letzten Tagen habe ich kaum etwas anderes gemacht, denn das ist an einzige, was mich von meinen Gedanken ablenken kann.

„Okay." Fiona gibt einem kleinen Mädchen eine Tüte Popcorn und wendet sich wieder mir zu. „Wie geht's dir?"

„Gut", sage ich und nehme mir noch mehr Popcorn.

Seufzend zieht meine beste Freundin mir die Popcorntüte weg. „Du tust es schon wieder, Ave. Du frisst alles in dich hinein. Wortwörtlich."

Ich verschränke meine Arme auf der Theke und lasse meinen Kopf darauf nieder. „Ich weiß, aber ich weiß nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll. Ja, ich bin in ihn verliebt, aber ich will das nicht. Ich will Abstand von ihm, aber gleichzeitig fühlt es sich wie Folter an, wenn ich nicht mit ihm rede oder ihn nicht sehe."

Bevor ich eine Antwort bekomme, gibt Fio einem Kunden Popcorn raus. „Hör zu, Ave. Du vertraust ihm doch, oder? Dann sag ihm die Wahrheit."

Mein Kopf schießt so schnell in die Höhe, dass ich fast mein Gleichgewicht verliere und vom Stuhl falle. „Niemals."

„Dann leide weiter darunter."

„Fio!"

„Was denn?" Sie zuckt mit den Schultern und nimmt einen Schluck von ihrer Cola. „Du hast genau zwei Möglichkeiten. Entweder du sagst es ihm und schaust, was passiert, oder du sagst es ihm nicht und du musst gucken, wie du mit deinen heimlichen Gefühlen klarkommst."

Das nenne ich mal brutale Ehrlichkeit. „Ich weiß, wie das läuft, wenn ich Blake meine Gefühle gestehe."

„Vielleicht auch nicht." Verständnislos sehe ich sie an. „Ihr seid mittlerweile befreundet. Es ist etwas anderes, wenn man jemandem, den man gut kennt, sagt, dass man ihn mag, als jemand fast fremdes. Außerdem würde ich die empfehlen, es unter vier Augen zu machen, damit nicht unangenehm wird." Hätte sie mir das nicht vor zwei Jahren sagen können?

„Unangenehm wird es sowieso. Egal, für was ich mich entscheide."

„Die Frage ist, ob du den Mut zur Wahrheit hast."

Mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich meine beste Freundin an. „Seit wann bist du denn so philosophisch drauf?"

„Man wächst mit seinen Aufgaben, beste Freundin", lächelt sie stolz. „Aber mal ehrlich. Ich habe mir deine Situation genau durch den Kopf gehen lassen und obwohl ich nach wie vor unglaublich wütend auf Blake bin, finde ich, dass du ihm alles sagen solltest."

Denn nur die Liebeserklärung reicht nicht aus. Selbst, wenn ich ihm nur sagen würde, dass ich jetzt in ihn verliebt sei, wäre es nur ein Teil der Wahrheit, weil die Vergangenheit viel zu sehr in allem verstrickt ist. Ahh! Ich bin erst 16 Jahre alt. Warum muss die Liebe für mich jetzt schon so kompliziert sein?

Mit einem lauten Seufzer lasse ich rutsche ich tiefer in meinen Stuhl. Das Schlimme daran ist, dass ich weiß, dass sie recht hat. Und trotzdem befürchte ich, vor Blake an meinen unausgesprochenen Worten zu ersticken.

„Du schaffst das, Ave." Fio legt mir eine Hand auf den Unterarm. „Du hast das schon einmal durchgezogen, also wirst du es auch noch ein zweites Mal schaffen. Ganz sicher."

(𝗡𝗼𝘁) 𝗬𝗼𝘂 𝗔𝗴𝗮𝗶𝗻Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt