- Kapitel 10: Wiegenlied -

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Es wurde Abend, aber Csaba kam nicht zurück. Sie verabschiedete sich von Ed und Szloa brachte sie wie mittags zuerst zu den Toiletten, dann in ihre Zelle.

Sie lag auf ihrem Feldbett und starrte in die Dunkelheit. Ihr ging Eds Kommentar nicht aus dem Kopf und das erste Mal machte sie sich wirklich Gedanken über das Wiegenlied.

Ich bin zu meinem Tore hinausgegangen,
Blickte hinauf gen hohen Himmel.
Da sah ich die Tore des Himmels auf

Sie fragte sich, wie ihrer aller Leben eine solch zynische Wende nehmen konnte. Wie die Tore des Himmels sich über ihnen allen öffnen und den Weltuntergang bringen konnten. Und weshalb manche mit dem Verlust der Erinnerung an das Leben davor gestraft wurden. Welch göttlicher Fehler sie allesamt zu vernichten ersuchte. Weshalb ihre Mutter in Verbindung mit den Varai stand, die allem Anschein nach alles daran setzten sämtliche Widerworte mit Feuer im Keim zu ersticken, so wie Joska.

Asavi wollte sich gegen die Bilder in ihren Gedanken wehren, die sie in eine Zeit zurückwarfen, als alles, was zählte, ihr Papa war, der auf ihrer Bettkante saß und sie in den Schlaf sang. Doch sie schaffte es nicht.

Er hatte ihr viele Lieder beigebracht, aber keines stach ihr so furchtbar in der Brust, wie jenes, das er zuletzt zu ihr gesungen hatte. Könyörgés, »Flehend«.

Asavi setzte sich auf und fing leise an zu singen.

Vergib mir die Jahre
Die ich nicht mit dir verbracht habe
Und gib mir Kraft
Und gib mir Zeit

Hör dir dieses Lied noch einmal an
Hör auf meine Stimme
Hebe mein Gesicht
Und gib mir Kraft
Und gib mir Zeit

Die letzten Zeilen verschwammen in dem Schluchzen, dem sie so lange verwehrt hatte und jetzt nicht mehr halten konnte. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Armen, die sie auf die angewinkelten Knie stützte. Sie fragte sich, ob ihr Papa dieses Lied gesungen hatte, weil es ihn an Asavis Mutter erinnerte, oder, weil sie es war, die es zu ihm gesungen hatte, als sie ihn verließ.

Asavi heulte das erste Mal unbekümmert seit dem Tod ihres Papas und scherte sich nicht um den Flüssigkeitsverlust. Ihr Herz tat so weh, als sie an die Stimme ihres Papas dachte. Ihre eigene, leise hatte ihn für diesen kurzen Augenblick von den Toten zurückgebracht und ihr ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Doch ihre gemeinsame Zeit war vorüber.

Ein scharfes Klopfen schnitt durch ihr Schluchzen und Asavi hielt erschrocken die Luft an. Jemand entsperrte die Türe und Csaba öffnete. Das letzte Abendlicht fiel ihm über die Schulter und erhellte Asavi auf dem Feldbett.

Sie zog die Nase hoch und beeilte sich, ihre Tränen von den Wangen zu wischen, damit Csaba nicht sah, dass sie weinte, wenngleich er das ohnehin bemerkte. Sein Gesichtsausdruck war unleserlich, aber es brauchte keine Sekunde, eher er in die Zelle trat und zu ihr kam.

»Hey, hey«, sagte er leise und blieb unschlüssig vor ihr stehen, die Hände erhoben, als wollte er ihr damit auf die Schulter klopfen. Stattdessen beugte er sich leicht nach unten und versuchte, ihr Gesicht zu erkennen.

»Nimms mir nicht übel«, sagte Asavi und wandte den Kopf ab, »aber dich will ich grad echt nicht sehen.«

Sie hörte, wie Csaba durch die Nase ausatmete und sich dann wieder aufrichtete. »Okay. Ich wollte nur sichergehen, dass Ed anständig war.«

»War er«, nuschelte sie und wischte sich die Wange an ihrer Schulter trocken. »Szloa hingegen vertraut mir nicht.«

Csaba stand unschlüssig neben ihr, bevor er sich entschied zu antworten. »Das darf sie auch nicht. Sie ist für die Sicherheit der Klanleute verantwortlich.«

[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fälltWhere stories live. Discover now