- Kapitel 19: Verbotene Erinnerungen -

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Csaba starrte dem Engel nach, der wiederum dem Kampfhubschrauber hinter her jagte, bis er schließlich am Horizont verschwand und auch das Beben der Erde langsam verebbte. Dann fluchte er und ließ sich kurz im Schatten des in der Erde verkeilten Transporters gegen das aufgeheizte Metall der Karosserie sinken. Joska würde ausrasten. Nicht nur, weil Izabela Asavi einfach so aus dem Wald geangelt hatte, sondern auch, weil der Transporter geschrottet und Zar entkommen war.

Er rieb sich die Stirn und starrte in den kristallblauen Himmel hinauf, der am Horizont ein kräftiges Gewitter versprach. Dann nach unten in die Brachwiese, die hier selbst bis zu seinem Bauch in die Höhe wucherte und wunderte sich, wie man Wissen einer Welt haben konnte, an die man sich nicht erinnerte.

Seit Kindheitstagen folgte er seinem Halbbruder, dem militärischen Kämpfer, der nicht nur sich, sondern auch Csaba schon von klein auf aus sämtlichen Problemen herausgezogen hatte. Vielleicht gehorchte er Joska alleine aus dem Grund, weil er es schon immer getan hatte. Und obwohl er überzeugt davon war, dass die Engel seit er denken konnte jederzeit irgendwo in tiefer Nacht, dunklen Häuserschluchten und verlassenen Wäldern lauerten, war es ihm, seit er Asavi das erste Mal gesehen hatte, unmöglich, ihre Wahrheit als Lüge abzutun. Ihr Anblick alleine warnte ihn davor, sie in Izabelas Besitz gelangen zu lassen und derselbe Abgrund, aus dem sich diese dumpfen Regungen wanden, warnte ihn ebenso davor, Zar zu vertrauen.

Mit ihm stimmte etwas nicht, seine sonnige Art war eine Fassade, eine bemalte Wand, die nur dazu geschaffen war, um abzulenken. Wovon war Csaba unklar, aber es genügte, zu wissen, dass dem so war. Zar war nicht, wer er vorgab zu sein. Und diese Wahrheit würde ihnen früher oder später zum Verhängnis werden. Seinem gesamten Klan, Asavi und womöglich sogar den Varai.

Mit Joska teilte er diese Sorgen selbstverständlich nicht. Csaba war nicht lebensmüde. Seinen Halbbruder auf die Vergangenheit anzusprechen, überhaupt anzudeuten, dass er Zweifel hegte, hätte den Tod bedeutet.

»Das nächste Mal, wenn du mich oder meine Regeln in Frage stellst, kleiner Bruder, bespanne ich einen Sessel mit dir. Dann würdest du um das Erschießungskommando unter Izabelas Führung betteln, das Leute wie dich und mich auszurotten versucht.« Mehr war nicht notwendig gewesen, um seine Sachen zu packen und Joskas fanatischem Vergeltungsdrang zu folgen. Sechs Jahre später war Joska nicht nur der gefürchtetste Klanfürst Mitteleuropas, sondern auch der einzige, der seine Städte unter grausamer Ausübung diktatorischer Gewalt so weit im Griff hatte, dass er den Engeln und den Varai tatsächlich die Stirn bot. Das Erschießungskommando, vor dem Joska damals gewarnt hatte, befehligte er nun selbst.

Und Csaba blieb mit seinen entwurzelten Erinnerungen alleine. Woher, wenn nicht aus einem Leben, in dem er studiert hatte, kam sein Verständnis für die Werte in Asavis Tabellen? Weshalb sollte er sonst in jenem militärisch finanzierten Genlabor ein Praktikum absolviert haben, das durch den Einschlag eines gigantischen Kometen dem Erdboden gleichgemacht wurde?

Der Brief bot ihm erste Anhaltspunkte seit er mit Joska, in dem daraus resultierenden Chaos, mitsamt seiner militärischen Truppe bewaffnet bis an die Zähne die Stadt verließ.

Verwandtschaftskoeffizient: 0.998; Niederfall: 48.033899 – 22.785502

Verwandt mit wem?

Csaba stieß einen weiteren Fluch aus und kratzte sich die Bartstoppel. Er hasste es, wie dicht dieser schon nach wenigen Tagen wucherte – beinahe genauso ungezügelt wie die Flora der Neuen Wahrheit.

Ein Teil in ihm wollte sich erinnern. Verstehen, weshalb ihm die Begriffe »rezessive Vererbung« und »genetische Marker« bei den Zahlenwerten in den Tabellen in den Kopf schossen und weshalb das perfekte Oval in roter Tinte, der diese Werte tief in das Papier des Briefes gegraben umrahmte, so unheilvoll aussah.

[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt