- Kapitel 20: In Sicherheit -

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»Du kannst ihn nicht wie einen Gefangenen behandeln«, protestierte Asavi, als zwei bewaffnete Soldaten Zar die Hände auf den Rücken fesselten und ihn nach hinten in den Lagerraum des Militärhelikopters schleiften. Sie selbst wurde nach vorne zum Cockpit geschoben und verrenkte sich den Nacken, um Zar nicht aus den Augen zu verlieren.

Doch die hoch gewachsene Frau in marineblauer Uniform stellte sich taub. Ihre Stiefel schlugen präzise bei jedem Schritt hart auf dem Boden auf, als erwartete Izabela sogar, dass sich der Grund, auf dem sie ging, ihr unterordnete. Und kurz darauf wurde Asavi in eine Nische vor der Tür zum Cockpit geschoben. Sie wollte erneut protestieren, doch Izabela schloss sie heftig in die Arme und drückte sie an sich.

»Asavi«, hauchte sie und vergrub ihr Gesicht an Asavis Nacken. »Meine Kleine, wie sehr habe ich dich vermisst.«

Asavi erstarrte. Ihre Mutter schloss sie so herzlich in die Arme, als hätten sie einander tatsächlich gekannt, bevor die Welt den Bach runterging. Das hier war ihre Mutter, sollte sie sich nicht freuen, sie endlich gefunden zu haben? Nach all den turbulenten Jahren erschien es ihr wie ein unwirkliches Wunder, dass sie mit einem Schlag ihr Ziel erreicht hatte. Wie lächerlich einfach ihre Flucht vor dem Engel gewesen war, in Anbetracht seiner Zerstörungswut. Sie dachte an ihren Papa und Opa, an den blutbeschmierten Brief in Csabas Händen und Joskas Vergeltungsdrang. Es war vorbei.

Versuchsweise hob sie ihre Arme und erwiderte die Umarmung zaghaft.

»Wo ist dein Vater?«, fragte Izabela und löste sich endlich von Asavi. Sie ging leicht in die Hocke, um ihr ins Gesicht zu sehen, und wischte sich dabei die feuchten Augen.

Asavi starrte versteinert zurück und fand nicht einmal die Kraft, den Atemzug zu nehmen, um zu beschreiben, wie sie sich fühlte. Nicht wo ist Gergő oder mein Mann, sondern dein Vater. Als wäre der Mann, mit dem sie ein Kind in die Welt gesetzt hatte ein Fremder. Auch fragte sie nicht nach Opa und Asavi beschlich ein unangenehmes Bauchgefühl. Wie habe ich dich vermisst. Sie setzte mehrmals zum Sprechen an, doch brachte kein Wort der Erklärung hervor.

»Ich möchte mit Zar sprechen«, sagte sie dann stattdessen leise, aber fest.

Izabela atmete tief durch und strich Asavi die losen Strähnen hinter die Ohren. »Ich denke, wir haben einander viel zu erzählen.« Sie rang sich ein kleines Lächeln ab. »Du bist jetzt in Sicherheit, Schatz«, flüsterte Izabela und Asavi erkannte von nah dieselben unzähligen Sommersprossen auf Nase und Wangen, die auch ihr Gesicht bedeckten.

»In Ordnung. Setz dich zuerst hier hin.« Izabela drückte Asavi auf einen gepolsterten, mit Leder bezogenen Sessel und zog die Sicherheitsgurte über ihre Brust, als wäre sie ein Kleinkind.

»Juraj fliegt uns zurück zum Stützpunkt, dort kannst du dich erst einmal erholen.« Izabela drückte Asavis Schulter. »Ich bin stolz auf dich.«

»Zar hat mir das Leben gerettet«, sagte sie blechern, als ihre Mutter sich wieder aufrichtete. »Er verdient keine Fesseln.«

Izabela kniff kurz die Lippen zusammen und blickte dann nach hinten in den Lagerraum. »Ich verstehe. Darum kümmere ich mich schon. Ruh dich aus, ich bringe dir gleich noch etwas zu trinken. Dann solltest du schlafen.«

Asavi nickte und ließ sich zögerlich in den Sessel sinken. An Schlaf war gar nicht zu denken. Schließlich wusste sie immer noch nicht, was mit Jazmin, Helene und Csaba passiert war, ob der Engel umdrehen würde und warum ihre Mutter Zar verhaften ließ.

Wie sehr habe ich dich vermisst. Asavi schluckte und gab sich selbst eine Antwort auf die rhetorische Frage ihrer Mutter. Gar nicht. Izabela hatte sie gar nicht vermisst, ansonsten hätte sie nach ihr suchen lassen und es nicht bei einem läppischen Brief belassen, der Asavi beinahe das Leben gekostet hatte. Wenn sie laut Csabas Bauchgefühl wirklich so wichtig war für die Varai, dann hätte Izabela anstatt eines Briefes einen Helikopter geschickt. Oder, überlegte Asavi, sie hatte damals noch keinen Helikopter. Asavi kaute solange auf der Innenseite ihrer Wangen, bis sie blutete. Warum sollte Izabela diesen Laborbefund überhaupt an ihren Vater schicken? Warum hatte sie nicht angerufen? Wer hatte den Brief eineinhalb Jahre nach dem Weltuntergang überhaupt zugestellt?

Als Izabela ihr eine Flasche Wasser brachte, trank sie dennoch gierig und mit zitternden Händen. Es gab so viele Dinge, die sie Izabela fragen wollte, doch nur wenige Minuten, nachdem die sie Wasserflasche geleert hatte, wurde Asavi schrecklich müde. Die Erschöpfung nahm überhand und drückte sie unnachgiebig in den Schlaf.

~

Asavi wachte kurzzeitig auf, als das monotone Dröhnen des Transporthubschraubers aussetzte. Sie waren gelandet und die Welt draußen vor den Fenstern dunkel. Izabela legte ihr ihre Uniformjacke über die Schultern und half Asavi, aus dem Helikopter zu steigen.

Man eskortierte sie inmitten einer Traube an gepanzerten Soldaten über den Landeplatz des Hubschraubers in einen unterirdischen Gebäudekomplex, dessen Wände weiß getüncht und steril unter dem warmen Licht lagen.

Asavis Muskeln waren schwach, weich wie Pudding und sie drohte erneut einzunicken.

»Juraj, nimm sie bitte«, drang Izabelas Stimme dumpf an Asavis Ohren und keinen Augenblick später hob sie jemand auf die Arme. Sie wollte protestieren, aber stattdessen sackte sie gegen die Brust ihres Piloten und hielt mühsam die Augen offen.

Die Wachen führten sie schier endlose Korridore entlang, bis Asavi die Orientierung komplett verlor. Irgendwann gingen sie durch eine doppelte Feuerschutztür und verließen die sterilen Gänge. Sie hörte Stimmen und erkannte Schemen, die am Rande ihres Blickfelds umher tanzten.

»Wo?«, murmelte sie, schaffte es aber nicht, die Frage so auszuformulieren, wie sie es gerne getan hätte. Ihre Zunge war ebenso schwer und müde, wie ihre Gliedmaßen und Asavi stellte mit Unruhe fest, dass sie sich mit Vehemenz gegen die Schlaftablette wehrte, die Izabela ihr in die Wasserflasche gerieben hatte.

Der Brustkorb unter ihrer Wange vibrierte und Asavi vernahm eine Antwort auf ihre Frage. »In Sicherheit.«

Sie stiegen in einen Aufzug, der mit einem leisen Klingeln losfuhr und sie abwärts brachte. Beim Verlassen dezimierten sich die uniformierten Wachen und ließen sie mit ihrer Mutter und Juraj allein. Der Gang, den sie nun betraten, war mit hellroten schalldämpfenden Teppichen ausgelegt und die in regelmäßigen Abständen montierten Lampen an der Seitenwand sprangen sanft an.

Asavi versuchte, den Kopf zu heben, um sich genauer umzusehen, doch es gelang ihr nicht. Sie wurde bis zum Ende des Korridors getragen und dann hinter eine der sieben identisch aussehenden, weißen Türen.

Das Zimmer, in das man sie brachte, hatte eine breite Fensterwand, die zu einem Balkon hinaus führte. Schwaches Licht erhellte das Geländer, doch Izabela zog die dicken Vorhänge zu, alsbald sie dem Piloten den Befehl gab, Asavi in dem großen Raum auf das breite Bett zu legen.

»Fürs Erste bleibst du hier«, sagte sie sanft. »Ruh dich aus, wasch dich. Ich komme in der Früh, wenn ich es einrichten kann.«

»Wo ist Zar?«, murmelte Asavi erschöpft und blinzelte an der verschwommenen Gestalt Jurajs vorbei, der sie auf das federweiche Bett legte, um ihre Mutter ins Visier zu nehmen.

Izabelas Mundwinkel zuckten leicht nach unten, doch dann lächelte sie wieder. »Ihm geht es gut, das verspreche ich.«

»Und was ist mit Csaba? Mit Jazmin und Helene?«, wollte Asavi weiter wissen. »Da waren noch drei Menschen bei uns im Wald.«

Izabela verschränkte die Finger ineinander und betrachtete ihre Tochter eingehend, ehe sie einen Seitenblick mit dem Piloten wechselte. »Als der Engel angegriffen hat, haben wir nur euch zwei gesehen.«

»Verstehe«, brachte sie hervor und schluckte gegen das brennende Gefühl in ihrem Hals an.

Izabela seufzte und strich sich die kinnlangen Haare hinter die Ohren. »Ruh dich aus, Liebes. Nimm ein Bad, komm zuerst an, dann sehen wir weiter.«

Asavi nickte träge und versuchte zu lächeln. Sie hatte keinerlei Beziehung zu der Frau, die hier stand und sich als ihre Mutter ausgab, also reagierte sie auch dieses Mal nicht auf Izabela, die ihr unbeholfen über den Kopf strich. Sie deutete dem Piloten ihr zu folgen und Asavi sank zurück in einen traumlosen Tiefschlaf.


[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fälltOnde as histórias ganham vida. Descobre agora