- Kapitel 26: Gefallener Stern -

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Das aller Erste, woran Zar sich erinnerte, waren die fehlenden Sterne. Er erwachte inmitten einer nach Blüten duftenenden Lichtung in tiefster Nacht. Sein Körper fühlte sich schwer an, seine Glieder schmerzten, als hätte er soeben einen Berg bestiegen, oder eine Wüste durchquert.

Jetzt starrte er in dumpfe, beängstigende, sternenlose Endlosigkeit. Die Regung in seiner Brust war ihm fremd, doch er konnte sie eindeutig der Furcht zuordnen. Er wusste nicht, wie er auf die Lichtung des bedrohlich stillen Waldes gekommen war, noch, wieso der Himmel keinen Stern mehr beherbergte. Und noch weniger verstand er, wieso ihn das irritierte, wenn ihm doch sonst alles entfallen war.

Sein Atem hob und senkte seinen Brustkorb in der unheimlichen Stille, die nur durch das sanfte Rauschen ferner Blätter im Wind durchbrochen wurde. Seine Finger, die im nachtfeuchten Gras lagen, wurden langsam kühl und er grub sie behutsam in die Erde. Es war wichtig, dass er den Halt nicht verlor, so wie die Sterne den ihren verloren hatten.

Zar hieß nicht Zar oder Balthazar. Es war der Name, den er sich selbst gab, weil er schon bald feststellte, dass namenlos zu sein unter Menschen gefährlich war. Vor allem, wenn der Begriff der Wahrheit so tief im Sein eines jeden von ihnen verwurzelt war. Doch bevor er sich unter seinesgleichen mischte, erlebte er das, was später dazu führen sollte, wie er sich der Welt präsentierte.

Gleich hier auf der Lichtung, auf der er die Augen aufschlug, teilten sich die zarten Rosenhecken und sein Blick huschte von der endlosen, blauen Weite hinab auf die unscharfen Umrisse der Hainbuchen.

Aus der Düsternis des Waldes trat eine weiße Gestalt, so ätherisch anmutend wie ein Engel. Die Haare seidig und weiß wie Schnee, kein einziger Makel auf dem glatten und zeitlosen Gesicht, in dem zwei helle Augen lagen, die langsam auf ihn fielen. Sie war nackt, doch die langen Haare verdeckten ihre Blöße großzügig, flossen wie stilles Wasser durch die Rosenhecke, über ihre Schultern, ihre Hüften und bis zu ihren kräftigen Füßen, die zu spitzen Klauen geformt waren.

Zar richtete sich auf und betrachtete die außerirdische Schönheit schweigend.

Sie legte den Kopf schief und die Haare glitten von ihren Schultern. Zar stockte der Atem. Auf ihrem Kiefer erfassten ihn zwei weitere Augenpaare, allesamt blass wie ihre Haut.

Ein heller Ton, einem Zirpen gleich, rollte aus ihrer Kehle und entkam ihrem Mund, der sich nun öffnete und den Blick auf lange, spitze Zähne freigab. »Wer bist du?«

Zar hob beide Augenbrauen, als die Kreatur in heller, klarer Stimme zu ihm sprach.

Sie hatte sich aus den Rosenbüschen befreit und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, die Zars um einiges übertraf. Hinter ihren Schultern flimmerte die Luft wie das ehemalige Sternlicht, an das er sich erinnerte, und feine Splitter aus Perlmutt wanden sich schillernd in der dunklen Nacht, als leuchteten sie von innen heraus.

»Keine Ahnung«, sagte Zar und rappelte sich auf.

Doch die engelsgleiche Gestalt machte einen Satz, der so rasch ausgeführt wurde, dass er erst merkte, wie sich die feuchte Wiese erneut in seinen Rücken grub, als ihre langen klauenbewehrten Finger kalt auf seinem Schultergürtel ruhten.

Sie beugte sich zu seinem Hals nach unten und sog die Luft scharf durch ihre feine Nase. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Verlangen in meiner Brust anfangen soll«, flüsterte sie und ihre rasiermesserscharfen Krallen zerteilten den schwarzen Mantel über seinem Herz. Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Körper.

»Alles an dir riecht appetitlich«, fuhr das Monster fort und ihre Stimme rutschte in ihren Brustkorb, anders konnte Zar die plötzliche Änderung ihrer Sprechmelodie nicht erklären.

[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt