{ 5. Kapitel }

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Draußen angekommen, befreite ich meine Hand vorsichtig aus Aryans Griff. So ganz glauben konnte ich es immer noch nicht und nun, als wir aus der Höhle der Löwen entkommen waren, wirkte auch der Oreade an meiner Seite überfordert.

Wie behandelte man nun den Jungen, der vor fünf Minuten noch ein klar abgegrenzter, bester Freund gewesen war und der nun die Liebe des Lebens werden sollte? Den man auf eine romantische Weise berühren sollte, der der Einzige für einen sein sollte?

Ganz ehrlich, ich hatte absolut keinen blassen Schimmer.

Natürlich sah Aryan gut aus. Mit seinen dunklen, meist wild verwuschelten Haaren und den ausdrucksstarken, silbrigen Augen verdrehte er allen Mädchen der Akademie den Kopf. Zusätzlich war er humorvoll und würde – um es poetisch auszudrücken – einer jeden Jungfrau in Not zur Hilfe eilen. Im Grunde genommen konnte man sich in so einen jungen Mann nur verlieben. Aber ich war mir relativ sicher, dass meine Gefühle für ihn im Augenblick lediglich auf freundschaftlicher Basis beruhten. Natürlich war es mir nicht zuwider, mir vorzustellen, ihn zu küssen, aber mein Herz vollführte vor Freude darüber keinen dreifachen Salto. Es war mehr der Gedanke an einen neuen Schritt in unserer Beziehung, der nun meine Knie leicht zittern ließ.

Irgendwie hoffnungslos überfordert – unsere Planungen vor der Anhörung waren niemals in eine solche Richtung gegangen, stand ich vor ihm, Lilya an meiner Seite, und strich unruhig mit meinen Zehen über die Erde unter meinen Füßen, den Blick leicht gesenkt.

Aryan, der unschwer erkennen konnte, wie aufgewühlt ich war – und dem es sicher selbst nicht anders ging, setzte zu einer Umarmung an, hielt sich jedoch im letzten Moment zurück und hob nur locker die Hand. „Wir sehen uns, Sea, Lilya."

Dann lief er leichtfüßig davon und war nach wenigen Augenblicken aufgrund der nahenden Dämmerungschatten kaum noch zu erkennen.

Ratlos blickte ich Lilya an und sie fasste mich bei meiner Hand und zog mich den Weg entlang, den in ein kleines Waldstückchen führte. Mir blieb nichts anderes übrig, als meiner besten Freundin hinterherzulaufen. Offenbar wollte sie mit mir reden und suchte nun ein geschütztes Plätzchen. Ihre Überlegung war mir nur Recht – ich wollte mir nicht vorstellen, was die anderen Neyen und Neyinnen in meinem Gesicht lesen könnten, wenn sie mich nun erblicken würden.

Nach wenigen Minuten zog sie mich in ein Dickicht. Ich bahnte mir mit ihr zusammen einen Weg durch Äste, Blätter und Zweige und ließ mich schließlich neben Lilya auf einem Baumstamm nieder.

Eine ganze Weile lang schwiegen wir, hingen wohl jeder seinen Gedanken nach und lauschten auf das fröhliche Zwitschern der Singvögel des Waldes. Mein Blick fiel auf einen kleinen Bach, der nur wenige Meter von uns fröhlich dahinplätscherte und ich spürte, wie mein Hinterkopf von den untergehenden Sonnenstrahlen beleuchtet wurde, die sich an den Baumstämmen vorbei ihren Weg auf den Boden suchten.

Irgendwann sah ich mich zu meiner Dryadenfreundin um. „Lilya?" Behutsam zupfte ich an ihrem Top. „Ist alles in Ordnung?"

Auf einmal spürte ich nur noch, wie mein Kopf an ihren Hals und ihre weichen Haare gedrückt wurde.

„Ach Sea!", schluchzte sie. „Ich bin ja so froh, dass du hier bleiben kannst!"

Ein Lächeln glitt über mein Gesicht und ich schloss die Augen. „Ich auch", wisperte ich. „Ich auch."

Wir verharrten einige Momente in unserer Umarmung, dann löste sie sich von mir und sah mir prüfend ins Gesicht, während sie sich flüchtig einige Tränenspuren von den Wangen wischte.

„Aber sag mal, wie geht es dir denn jetzt?" fragte sie mich einfühlsam und ich wusste, dass sie auf die Sache mit Aryan anspielte.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht genau." Ich überlegte. „Ich hab mit so etwas einfach nie gerechnet! Normalerweise erwählen sich die Neyen in unserem Alter noch keine Gefährtinnen. Es ist einfach alles so merkwürdig. Ich kann mir nicht vorstellen, mehr mit Aryan zu tun, als ihn zu umarmen."

Nymphenkuss Where stories live. Discover now