{ 58. Kapitel }

1.6K 190 46
                                    

Am nächsten Tag sah ich sowohl Brax als auch Cyrion kaum. Lediglich beim Frühstück konnte ich kurz mit ihnen reden.

Das Lernen fiel mir an diesem Tag nicht so schwer wie gedacht. Tatsächlich half es, einen Plan zu haben und zu sehen, dass man Fortschritte machte. Natürlich konnte ich nicht sagen, wie viel von dem jetzigen Gelernten am Ende des Jahres noch in meinem Kopf hängen bleiben würde, aber es war erstaunlich schön mit einem Tag abzuschließen und zu wissen, dass man etwas Produktives geleistet hatte, etwas, das mir ein Stückchen auf dem Weg zu einer Zukunft mit Aryan helfen würde. Eine Zukunft, die du so eigentlich gar nicht möchtest, wisperte das altbekannte Stimmchen des Zweifels in meinem Kopf.

Am Abend lag ich verkehrt herum in meinem Bett und starrte zum dunklen Nachthimmel empor. Wolkenlos blinzelten mir unzählige Sterne entgegen.

Warum musste es so kompliziert sein? Warum konnte ich nicht meinem Traum nachgehen und für das Wohl der Neyen und der Umwelt kämpfen und gleichzeitig Aryan Sýntrofa sein? Ich fühlte mich entzwei gerissen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, den lieben langen Tag nur meine Kinder zu umsorgen und nichts...Aufregendes zu tun.

So sehr mich das Training mit Brax und Cyrion auch gequält hatte, so sehr hatte ich es genossen, die kleinen Fortschritte zu sehen, die ich gemacht hatte. Wieder erinnerte ich mich an das Gefühl des Triumphes von vor zwei Tagen, als ich es geschafft hatte, Cyrion zu Fall zu bringen und automatisch breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Hitze stieg jedoch in mir empor, als sich meine Gedanken unweigerlich weiter drehten und mich an seine nachfolgenden Berührungen erinnerten.

Der Gedanke an Aryan führte jedoch dazu, dass die Impressionen schnell wieder verschwanden und sich auch mein Lächeln verflüchtigte. Ich sollte nicht ständig an den muskulösen Layphen denken müssen. Rasch stellte ich mir vor, den quecksilberäugigen Oreaden in meiner Nähe zu haben und verbannte die Gedanken an Cyrion in einen hinteren Winkel meines Kopfes. Aryans Präsenz wahrzunehmen, seine Hände an den meinen zu fühlen. Seinen sanften Atem an meiner Wange zu spüren. Das war es, was ich wirklich wollte. Was ich wollen musste.

Doch selbst mein Vorstellungsvermögen schaffte es nicht, eine Besserung meiner Gefühlslage herbei zu führen. Meine Hände verblieben kalt und ohne die Wärme anderer Finger und mit ihnen verweilte auch mein Geist in seinem Zwiespalt.

***

Am nächsten Morgen hatten sich meine Gefühle nicht verändert, geschweige denn meine Zweifel verflüchtigt. Nach einem kurzen Frühstück, an dem weder Brax noch Cyrion teilnahmen, weil sie schon früh mit zwei anderen Layphen aufgebrochen waren, um nach einem Menschenmädchen zu suchen, bemühte ich mich wieder darum, mir neuen Lernstoff anzueignen.

Doch eine innere Unruhe hielt mich in ihren unnachgiebigen Klauen und zu meinem beständigen Zwiespalt gesellte sich eine tiefe Sorge um Brax und Cyrion. Was war, wenn ihre mysteriösen Angreifer heute wieder auftauchten? Wenn sie Brax wieder anschossen? Möglicherweise in der Nähe seines Herzens? Oder was war, wenn sie stattdessen Cyrion trafen?

Der Layph mit dem goldblonden Haar hatte mir erzählt, dass es durchaus möglich war, einen Layphen selbst mit einer normalen Schusswaffe ohne Gift zu töten, wenn das Geschoss nur richtig traf. Diese Gedanken trugen nicht gerade dazu bei, mich zu beruhigen und immer wieder rieselte ein unangenehmes Frösteln über meine Haut.

Aufgewühlt gab ich es gegen Mittag auf, lernen zu wollen, schnappte mir meinen Schwimmanzug und tauchte in die kühlen Wellen ein. Wie immer half das Meer mir mit seiner Wirkung, ein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, aber ich wusste, dass die Ruhe verblassen würde, sobald das Wasser an meiner Haut trocknen würde.

Nymphenkuss Where stories live. Discover now